Marie Davidson & L’Oeil Nu (Foto: Jocelyn Michel)
Bis in weite Teile des letzten Jahres hinein war Marie Davidson ein unverzichtbarer Bestandteil der internationalen Clubmusik. Ihre Mischung aus Hardware-Ekstase, Rave- und Konzertatmosphäre und reserviertem Sprechgesang bescherte der Frankokanadierin eine exponierte Stellung in der DJ-dominierten Clubkultur.
Aus ebendieser zog sie sich vollends zurück. Konstant hoher Stress, ein Marathon-Jetset um die Welt und gesundheitliche Probleme bewogen sie zu diesem Schritt. Auf ihren vier Soloalben verarbeitete sie diese toxische Mischung und Missstände in der elektronischen Musik mit spöttischem Humor, kehrte aber ebenso schonungslos ihre eigene Verletzlichkeit nach außen.
Mit dem 2018 erschienen Working Class Woman, einem Manifest zwischen Workaholismus und psychischer Katharsis, feierte sie ihren bislang größten Erfolg. Nach einer letzten Tour im Jahr darauf folgte der harte Schnitt. Davidson zog sich in ihre Heimatstadt Montreal zurück, wo sie mit ihrem Ehemann Pierre Guerineau und Azaël Robitaille, die gemeinsam die Formation L’Œil Nu bilden, an neuem Material arbeitete.
Das Resultat, Renegade Breakdown, erschien Ende September dieses Jahres auf Ninja Tune und markiert eine Verschiebung von Tracks zu veritablen, durchkomponierten Songs. Analoge Hardware tritt hinter Saiteninstrumente und Davidsons Stimme zurück, die noch stärker in den Fokus rückt als auf ihren Soloalben. Warum Davidson jetzt lieber dramatisch-verrauchten Pop macht, wieso ihre Beziehung zu Berlin ihr künstlerisches Schaffen durchsetzt und welchen feministischen Zugang sie verfolgt, hat sie uns gemeinsam mit Guerineau erklärt.
Berlin taucht immer wieder in deinen Songs auf, obwohl du schon länger nicht mehr in der Stadt lebst. Wie hat dir deine Zeit dort gefallen?
MD: Sehr! Ich vermisse es, auch die ganzen Freunde, die ich dort habe. Es war allerdings eine etwas holprige Beziehung mit der Stadt. Ich habe es leider nie geschafft, wirklich Deutsch zu lernen. Ich bin da nicht hingegangen, um ein neues Leben anzufangen, sondern um zu arbeiten, in Europa zu touren. Aber die Stadt an sich mag ich gerne, es gibt da so viel Platz! Die Parks, die Wohnungen mit ihren niedrigen Decken!
Pierre Guerineau: Hoch.
MD: Sorry, mit ihren hohen Decken. Das vermisse ich.
Du hast damals in Kreuzberg in der Nähe des Kottbusser Tors gelebt, oder?
MD: Zumindest eine Zeit lang, ja. In einem dieser Sozialwohnungstürme. Dort war es eigentlich ziemlich schön, ich konnte alles sehen. Von meinem Balkon aus zum Beispiel die U1, wenn sie in den Bahnhof einfuhr.
Auf dem Opener deines letzten Albums, „Your Biggest Fan”, hast du die U-Bahn-Durchsage gesampelt, auf dem neuen Album findet sich mit „Center Of The World (Kotti Blues)” eine zugehörige Ballade. Was bedeutet dir der Ort denn?
MD: Na ja, der zweite Songtitel ist eher eine Art Insider-Witz mit mir selbst. Ich habe das Kottbusser Tor so genannt, weil es das Zentrum meiner Welt war. Es war eine Art, auszudrücken, dass man dort immer wieder landet. Egal ob man jemanden trifft oder umsteigt, es ist einfach ein sehr zentral gelegener Ort. Auch die Leute dort fand ich interessant; die Drogendealer, die Junkies, die Obdachlosen. Ich habe dort während meiner ersten Tour auch mal Drogen gekauft, sehr schlechte natürlich. Irgendwann wurde es für mich aber ein kultureller, sehr persönlicher, inzwischen nostalgischer Ort.
„Der Song handelt also auch von meinem Enthusiasmus, den ich für die Stadt entwickelt habe. Für ihr Nachtleben, die endlosen Partys, mein Entdecken der Welt. Ich war damals jung und naiv – ich hatte aber auch Energie!”
Wie lange hast du denn in der Wohnung gelebt?
MD: Etwa fünf Wochen, dann habe ich sie untervermietet. Trotz der kurzen Zeit hat es mich sehr empathisch gestimmt, auf so viele verschiedene Arten von Menschen zu treffen und mit ihnen zu sprechen. Besonders war das mit den Obdachlosen, die dort sehr präsent sind, der Fall. Ich dachte mir die ganze Zeit, wie schlimm das alles ist, und die Leute taten mir extrem leid. Als ich ihnen dort aber dauerhaft begegnete, merkte ich, dass sie dich trotz allem anlächeln, wenn du auf sie zugehst.
Also hatten die Begegnungen einen positiven Effekt auf dich?
MD: Ich will das nicht als herablassend verstanden wissen, doch als ich in Berlin lebte, fand ich alles echt hart. Ich tourte, war allein, meistens total ausgelaugt und habe mich über mein Leben beschwert. Und wenn ich dann vor die Tür ging, kam ich an diesen ganzen Treffpunkten vorbei und habe mich mit meinen paar Wörtern Deutsch mit den Leuten unterhalten. Das hat mich ziemlich geerdet. Ich dachte mir dann: „Wieso beschwerst du dich überhaupt über dein Leben?” Vielleicht verdiene ich nicht viel Geld, aber ich habe ein anständiges Einkommen und kann die Welt bereisen. „Kotti Blues” handelt unter anderem davon.
PG: Und wenn das Kottbusser Tor ein zentraler Knotenpunkt Berlins ist, gilt das innerhalb Europas auch für Berlin. Dort treffen sich viele Kulturen, es wird immer internationaler. Man hat dort Freunde aus den USA, aus Kanada oder Japan, aus der ganzen Welt. Es ist ein Kreislauf, mit diesem Motiv beschäftigt sich auch das Album. Du kommst immer wieder da an, wo du gestartet bist, hast dich aber jedesmal weiterentwickelt.
MD: Wenn ich in dem Lied singe: „Funny, It all finishes where it all started”, hat das auch was damit zu tun, dass ich bei meinem ersten Aufenthalt in Berlin am Kotti gelandet bin. Dort habe ich zum Beispiel Azaël [Robitaille, das andere Mitglied von L’Œil Nu, d.Red.] oder Dirty Beaches und Femminelli [Bands] getroffen. Das war an Silvester 2012, ich kam kurz vor dem Feuerwerk an, und wir haben dann drei Tage lang gefeiert. Das war meine Einführung in Berlin, die mein Leben durchaus verändert hat. Der Song handelt also auch von meinem Enthusiasmus, den ich für die Stadt entwickelt habe. Für ihr Nachtleben, die endlosen Partys, mein Entdecken der Welt. Ich war damals jung und naiv – ich hatte aber auch Energie!
„Diese ganze Schererei mit dem Gear war eine dauerhafte Stressquelle. Dieser Stress, das ständige Fliegen, die Jetlags, das Workaholische und mein Kontrollzwang haben meine Gesundheit ruiniert.”
Hast du die heute nicht mehr?
MD: Die verändert sich natürlich, du hast irgendwann andere Erwartungen. Du wünscht dir für dich selbst andere Sachen. Ich wollte anfangs feiern, entdecken, Konzerte spielen, Leute treffen. Am Ende bin ich viel mehr drinnen geblieben, habe mich in dem erwähnten Sozialwohnungsturm verschanzt und Songs geschrieben. Ich habe meine letzte Solotour in Europa dann an meinem Geburtstag im Berghain beendet, da schloss sich der Kreis einmal mehr. Das war’s dann. Ich wusste, dass ich lange nichts mehr solo machen würde und mich außerdem aus der Clubmusik zurückziehe. „Kotti Blues” schließt also mit der sieben, acht Jahre langen Zeit zwischen Montreal und Berlin ab.
PG: Wenn du die Acht um 90 Grad drehst, landest du beim Symbol für Unendlichkeit. Ich lese manchmal Tarotkarten und habe eine Schwäche für Numerologie und Symbolismus.
MD: Wir lieben das Zeug beide. Es ist das Erste, was uns zu Themen einfällt.
Dein letztes Album Working Class Woman thematisiert deinen Hang zum Dasein als Workaholic. Hast du dich bei Renegade Breakdown erneut Hals über Kopf in die Arbeit gestürzt oder ist das Album dieses Mal etwas natürlicher entstanden?
MD: Definitiv Zweiteres. Allerdings haben wir uns über dieses Projekt bereits 2015 das erste Mal unterhalten. Mein letztes Hardware-Set als elektronische Musikerin spielte ich am 21. September in Montreal. Als dieses Kapitel abgeschlossen war, wussten wir alle, dass jetzt die Arbeit am neuen Album ansteht. Das Arbeit ging dann den ganzen letzten Winter lang. Wir hatten einen Plan, und dass wir uns seit 15 Jahren kennen, hat alles extrem erleichtert. So habe ich nie empfunden, wenn ich allein an etwas gearbeitet habe.
Und du musstest dich nicht mehr so stark auf Geräte verlassen, die dir einen kompletten Auftritt zerstören können.
MD: Eine sehr angenehme Veränderung! Diese ganze Schererei mit dem Gear war eine dauerhafte Stressquelle. Dieser Stress, das ständige Fliegen, die Jetlags, das Workaholische und mein Kontrollzwang haben meine Gesundheit ruiniert – wirklich! Ich entwickelte chronische gesundheitliche Probleme. Wir nutzen natürlich immer noch Gear, aber nicht mehr so viel.
PG: Das sind hauptsächlich Computer.
MD: Oder Gitarren, aber die sind weitaus stabiler als ein Stück Hardware.
Wie habt ihr das Album denn als Band produziert?
PG: Wir bauten die Songs weitestgehend auf Click-Tracks mit Maries Vocals, Azaël und ich haben dann drumherum die Melodie eingespielt. Das war so ziemlich das Gegenteil von dem, was Marie sonst gemacht hat. Da stand das Jammen auf Maschinen am Anfang, die Lyrics kamen dann danach. Uns war wichtig, dass das dieses Mal andersrum passiert. Die Musik auf dem Album ist dafür da, die Emotionen der Texte zu verstärken.
MD: Für mich funktioniert das aber auch in die entgegengesetzte Richtung. Ich dachte mir schon, dass manche der Songs gut sind, wusste aber, dass sie um einiges besser werden, wenn die beiden mit ihnen fertig sind. Ich weiß, dass der Begriff der Supergroup cheesy ist, aber von so einer Konstellation habe ich tatsächlich geträumt.
Der Rückzug aus der Clubmusik war für dich also die richtige Entscheidung?
MD: Absolut. Ich habe mich nie so sehr an der Musik freuen können wie jetzt. Natürlich bin ich dankbar dafür, was ich als Solo-Electronic-Music-Hardware-Künstlerin erreicht habe. Dabei habe ich viel gelernt – auf technischer wie auf persönlicher Ebene. Ich habe dadurch auch den Glauben an mich selbst zurückgewonnen. Das Projekt habe ich ja überhaupt erst gestartet, weil ich depressiv war. Ich hatte damals sogar Selbstmordgedanken. An eine Karriere hatte ich da definitiv nicht gedacht. Damals habe ich mit Pierre ja eher in Bands gespielt, Essaie Pas beispielsweise. Das Solo-Ding war eher als Nebenprojekt für mich gedacht. Um mir selbst zu helfen. Um überhaupt mit anderen Leuten in einer Band spielen zu können.
Und das klappt jetzt reibungslos?
MD: Jetzt weiß ich, was ich kann. Ich genieße es mit dem gewonnen Selbstvertrauen richtiggehend, im Band-Format zu spielen. Ich weiß, worin ich gut bin und worin nicht. Das Schöne an einer Band ist, dass die Stärken der Beteiligten zusammenlaufen und etwas noch Besseres entsteht, als wir jede*r für sich erschaffen könnten. Die Idee ist schon, etwas Größeres zu erreichen. Allerdings nicht in einem kommerziellen Sinn, wir wollen niemandem zwanghaft gefallen.
Im Opener singsprichst du: „There are no money makers on this record. This time, I’m exploring the loser’s point of view.” Was kritisierst du da?
MD: Als ich diesen Track textete, fühlte ich mich wirklich wie ein Loser. Das Lied handelt davon, wie es mir während der Working-Class-Woman-Tour ging. Es geht darum, wie mein Leben nach dem Album aussah – Social Media, Festivals, Clubs, Flughäfen, Security und so weiter. Ich wachte morgens hundemüde auf und machte mich auf den Weg zum Flughafen. Vor dem Trubel dort und den ganzen Duty-Free-Shops ekelte ich mich irgendwann. Und auch vor mir, weil ich mich als Teil des ganzen Spiels begriff. Ich kam mir vor, als müsste ich auf Teufel komm’ raus Content rausballern und Leute zufriedenstellen. Irgendwann hatte ich dann keine Lust mehr, das mitzumachen. Ärzte haben mir irgendwelchen Mist verschrieben, auch das verarbeite ich in dem Song. Er drückt alle Formen von Aggression in meinem damaligen Leben aus. Ich habe mich wie ein Opfer gefühlt – auch ein Opfer meiner selbst.
PG: Das ist interessant, weil beispielsweise „Work It” ja eine ziemlich positive, selbstsichere Gewinner-Attitüde hat.
MD: Ich bekam extrem viel Lob für diesen Track. Leute meinten, wie glücklich ich doch sein müsste. Ich sagte dann immer „Ja, natürlich!”. Tatsächlich machte ich aber eine der härtesten Zeiten meines Lebens durch, ich fühlte mich, als ob ich innerlich sterben würde.
Wie hast du dann den euphorischen Soulwax-Remix aufgenommen, der letzte Saison in sämtlichen Clubs rauf- und runtergespielt wurde?
MD: Über den bin ich überglücklich! Die Typen sind großartig, meine Freunde. Soulwax sind sehr real und kümmern sich nicht um die Spielregeln der Industrie, zeigen nie ihre Gesichter und so weiter. Wir haben unsere Kräfte gebündelt und diesen Riesenhit gemacht.
„Beim Singen habe ich nicht diese Popstar-Herangehensweise – ich bin nicht Céline Dion oder Mariah Carey, und das weiß ich auch, keine Angst.”
Findest du es nicht paradox, dass aus „Work It” so eine Sommerhymne wurde?
MD: Ich fand das eher amüsant! Dass der Song so an die Oberfläche gespült wurde und ein breites Publikum erreichte, hat mich glücklich gemacht. Seine Botschaft ist ja wirklich stark. Am Ende drehe ich den Spieß um; es geht darum, für sich selbst zu arbeiten, sich selbst zu ernähren. Wenn du ein besseres Leben haben willst, musst du selbst dafür sorgen und dich vor allen Dingen selbst akzeptieren. Da geht es nicht um deine Arbeit an sich. Ich glaube nicht an diese Fake-It-Until-You-Make-It-Nummer, das finde ich lahm. Wirklich wichtig ist, sich selbst weiterzuentwickeln.
Wie war es dann, sich auf dem neuen Album mehr auf die Vocals, auf tatsächliches Singen fokussieren zu können?
MD: Das habe ich genossen. Schon in der Highschool war ich im Chor und nahm Unterricht, habe es dann aber für viele Jahre sein gelassen. Erst letztes Jahr habe ich wieder angefangen. Ich weiß allerdings gar nicht, ob es sich dabei immer um Gesang handelt. Das müssen andere beurteilen. Ich sehe den Einsatz meiner Stimme beinahe als Schauspielerei an, die Lyrics selbst sollten aber ehrlich und tiefgründig sein. Ich versuche, Geschichten zu erzählen, besonders auf dem neuen Album. Darum geht es. Beim Singen habe ich nicht diese Popstar-Herangehensweise – ich bin nicht Céline Dion oder Mariah Carey, und das weiß ich auch, keine Angst.
Für die Popstar-Herangehensweise steckt in den Songs auch zu viel Humor und Doppelbödigkeit. Könntest du ohne diese Hilfsmittel überhaupt Künstlerin sein?
MD: Absolut nicht. (lacht) Den Humor habe ich aber auch durch andere Leute entwickelt. Pierre, Azaël, meinen Exfreund. Ich bin Einzelkind, meine Eltern haben sich früh getrennt, und ich habe deswegen viel Zeit alleine verbracht – ich habe Freunde, wirklich, mach’ dir keine Sorgen! (lacht) Ich hatte allerdings nicht diese intakte Familie, zu der man nach der Schule nach Hause kommt. Das hat mich vermutlich ein wenig zerbrechlich, ein bisschen zu einem sozialen Fremdkörper werden lassen. Manchmal tue ich mich deshalb schwer damit, Witze zu verstehen. Früher habe ich Witze, die mit einem Augenzwinkern gemeint waren, persönlich genommen.
Wie ist das jetzt?
MD: Durch meine Beziehungen und das Älterwerden habe ich einen feineren Sinn für Humor entwickelt. Auch durch meine Heirat mit Pierre.
PG: Auch bei der Studioarbeit spielt Humor eine große Rolle. Manche Späße haben es sogar aufs Album geschafft, Lyrics oder eher alberne Sounds etwa, die haben wir einfach im Mix gelassen.
Zum Beispiel?
Beide: Der Slap-Bass auf „Renegade Breakdown”!
PG: Das war eine blöde Idee, die trotzdem auf dem Album gelandet ist.
MD: Sowas fängt als Witz an, und irgendwann gewinnst du’s lieb. Auch das Sounddesign von „C’est parce que je m’en fous” auf der B-Seite. Da sind so viele ulkige Sounds drin. Die digitale Gitarre.
PG: Oder die verlangsamten Vocals. Die Adlibs auf „Worst Comes To Worst”. Hier und da findet sich schon was. Wir haben eineinhalb Jahre jede Woche am Album gearbeitet, und die Stimmung blieb dabei spielerisch und experimentierfreudig. Man musste nicht laut werden, um sich bemerkbar zu machen.
MD: In der ganzen Zeit haben wir uns nicht einmal gestritten.
Wo seht ihr euch mit diesem Album eigentlich?
MD: Ich wollte mich nicht auf den Mainstream zubewegen, keineswegs. Aber zumindest aus dieser obskur-speziellen Nischenschublade rauskommen. Mir ist es echt egal, ob Musik besonders rar, besonders schwer zu finden ist. Ich möchte, dass meine Musik so viele Menschen wie möglich hören können, wenn sie sie mögen.
PG: Dieser Snobismus, der die Underground-Kultur durchzieht, ist nicht besonders interessant.
MD: Uns hat das eher gelangweilt.
PG: Uns liegt nichts daran, ein Act nur für Liebhaber*innen zu sein.
Gerade sprachen wir über die lustige Seite des Albums. Der Text des eben erwähnten „C’est parce que je m’en fous” beschäftigt sich allerdings mit Vorbehalten gegen Feminismus und Weiblichkeit. Welche Erfahrung hast du diesbezüglich während deiner Karriere gemacht, Marie?
MD: Es war ok. Es war nicht ideal, aber es war auch nicht besonders schlimm. Zuerst würde ich gerne loswerden, dass ich in der elektronischen Musik aufgrund der Hilfe von Männern überhaupt erst Fuß gefasst habe. Das war am Anfang, so gegen 2010, 2011, 2012. Wegen zwei Männern habe ich überhaupt erst damit angefangen. Einer ist Pierre, der hier sitzt, und einer ist David Kristian, mit dem ich bei DKMD zusammengespielt habe. Er ist derjenige, der mir das Produzieren gezeigt und an mich geglaubt hat, bevor ich es selbst tat.
Und wie war es dann auf Tour, in der Musikindustrie?
MD: Da bekam ich Frauenfeindlichkeit definitiv zu spüren. Viele Male. Das ist aber nicht auf die elektronische Musik begrenzt. Das passiert in jeder Sphäre, Sexismus ist noch immer sehr präsent. Es geht dabei aber nicht darum, dass nur Männer Frauen schlecht behandeln. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, Frauen gehen mit sich selbst auch extrem hart ins Gericht. In „C’est parce que je m’en fous” geht’s darum, meine Weiblichkeit, meine Vorstellung von Feminismus für mich zu beanspruchen. Es geht darum, zu beiden Geschlechtern zu sprechen. Manche Frauen geben zum Beispiel gerne Lehrstunden. Davon bin ich kein Fan. Besonders nicht von diese langen Online-Rants, wo erklärt wird, was man zu tun und zu lassen hat.
Ist dir diese Diskussion grundsätzlich zu emotional aufgeladen?
MD: Ich meine, wir führen keinen Krieg, oder? Der Begriff „Geschlechterkampf” irritiert mich zutiefst. Es gibt schon genug echte Kriege. Geschlechterkategorien sollten nicht die Wahrnehmung anderer Individuen diktieren. Die sollte davon abhängen, was diese sagen, wie sie sind, was sie tun.
PG: Wenn man sich nur ein wenig mit Psychologie befasst, lernt man schnell, dass wir alle eine feminine und eine maskuline Seite in uns haben. Es kommt auf die Balance an.
MD: Empathie, Fürsorge oder Intuition sind klassisch weiblich konnotierte Wesenszüge, die wir aber allesamt in uns tragen. Auf der anderen Seite gibt es heutzutage einen feministischen Ansatz, den ich als sehr maskulin, als sehr aggressiv wahrnehme. Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, einen Dialog zu beginnen oder ihn am Laufen zu halten. Nicht im echten Leben und besonders nicht online glaube ich an aggressives Verhalten als probates Mittel.
Auch dein Rückzug aus der elektronischen Musik lief alles andere als aggressiv ab. Welche Reaktionen darauf hast du hauptsächlich bekommen?
MD: Vor allem extrem viele Fragen der Kategorie „Wieso? Hast du keine Angst davor, dein komplettes Momentum zu verlieren?” Das hat mich tatsächlich laut Auflachen lassen.
Wieso?
MD: Wieso oder vor was sollte ich denn Angst haben? Wenn man mir diese Frage stellt, heißt das doch, dass man mir nicht zutraut, mich zu verändern und weiterzuentwickeln. (lacht) Aber das ist ok. Ich nehme das nicht persönlich, es belustigt mich nur. Wenn ich einen Schritt zurück machen muss, um meine neuen Ambitionen zu verfolgen, und das bedeutet, dass ich mein Momentum verliere, dann soll es eben so sein. Ich lebe lieber mein Leben ohne Momentum, als es mit Momentum zu zerstören.
PG: Und du wiederholst dich damit auch nicht die ganze Zeit.
MD: Ja! Ich hatte das Gefühl, dass ich mit Working Class Woman gesagt habe, was ich in diesem Rahmen, in dieser musikalischen Sprache, mit diesem Equipment zu sagen hatte.
PG: Die Leute verlangen gewissermaßen, dass du nur dieses eine Ding machst, wollen dich nur als die Marie Davidson sehen, die sie kennen.
MD: Das ist ein guter Punkt. Ich habe als Marie Davidson mindestens 40 Songs geschrieben. Aber „Work It” bleibt dann eben. Manche Leute wollen, dass ich für immer das Work-It-Girl bleibe. Die nennen mich sogar so! Auf einer Shuttlefahrt zurück zum Flughafen von einem Festival im UK aus meinte einer von den DJs, der auch mit an Bord war: „Warte mal, du bist doch das Work-It-Girl!”