96 Back – Sugilite (Local Action)
Der junge Produzent Evan Majumdar-Swift alias 96 Back durfte als erste*r Künstler*in des Sheffielder Labels Central Processing Unit für sich beanspruchen, aus derselben Stadt zu stammen. Wo er sich als Electro-Wunderkind einen Namen machte, mit viel Liebe zu den rhythmisch vertrackteren und insgesamt verspielteren IDM-Entwicklungen der Neunziger. Auf seinem Debüt für das Londoner Label Local Action erweitert er seinen Ansatz in den vier dargebotenen Tracks noch einmal, gestattet den einzelnen Nummern reichlich innere Bewegungsfreiheit, lotet die Kombinationsmöglichkeiten von Electro und Bassmusik aus, schaltet vorübergehend auf Viererbeat bei erhöhter Geschwindigkeit um und lässt an anderer Stelle die Club-Tauglichkeit völlig außer Acht. Breaks, Klänge, Aufbau haben alle etwas durch und durch Frisches. Das Wunderkind wird erwachsen (aktuell Anfang 20), ohne sich niederzulassen. Hier scheint jemand gerade richtig aufzubrechen. Tim Caspar Boehme
Dengue Dengue Dengue – Fiebre EP (NAAFI)
Beinahe zurückhaltend klingt die neue EP des Duos Dengue Dengue Dengue. Die Stilmittel der vibrierenden Tracks sind minimalistisch, in den vielen Zwischenräumen scheint Nebel zu liegen, so dick, dass er die Klänge in stotterndem Hall zurückwirft. Dazu passen die schlurfenden Rhythmen, die unter anderem auf Cumbia aufbauen. Zusammen mit unheimlichen Synthesizer-Flächen und rumorenden Bassläufen entfalten die Hybride aus Dub, elektronischer Musik und Cumbia hypnotisches Potenzial, das trotz seiner Zurückhaltung eine Menge Energie freisetzt. Mit ihrer ersten EP auf dem Label des Kollektivs NAAFI aus Mexiko City zeigen Dengue Dengue Dengue damit, wie gut Cumbia und Hardcore Continuum zusammenpassen. Fiebre kann damit ein Einstieg in den starken Labelkatalog von NAAFI sein, das nach vielfältigen, teils lärmigen Elektronikmusikexperimenten und Clubmusikentgrenzungen zuletzt zusammen mit dem Londoner Gaika eine fordernde digital-(de)konstruktivistische Vision von Club-Pop präsentiert hat. Philipp Weichenrieder
Eduardo De La Calle & Varsoom – Our Planet (Nebur)
Our Planet ist das erste Release auf Nebur Recordings, ein Label des bisher unbekannten Acts Varsoom. Wer dahinter steckt, bleibt geheim; der oder die DJ und Produzent*in soll aus Berlin kommen, postet spanische Grafiken und teilt somit die Sprache von Eduardo de la Calle. Der spanische Produzent und Live-Act hat deutlich mehr Techno-Kilometer auf dem Buckel und unter anderem auf Carl Craigs Planet E veröffentlicht. Er liefert die ersten beiden Tracks dieser Split-EP und startet mit dem minimalen „Loosing my Cohn Mind 2”: hypnotisch wie ein Traum, der nicht mehr loslässt. „New Neoliberal Ideas” weckt mit einem erratischen Sound daraus wieder auf: Als würde jemand um sich schlagen und zufällig ein Stück Blech treffen, um dann mit großer Geste und nach Aufmerksamkeit heischend irre weiter darauf zu schlagen und dran zu ratschen. Die Spannungsbögen, also die Arbeit, schaffen unauffällige Hi-Hats, die auftauchen, vor sich hin pluckern und sich dann und wann zu Höhepunkten verdichten. Neoliberale Arbeitsteilung: die Kleinen machen die Arbeit. De la Calles Tracks sind deep in jeder Hinsicht, Varsooms im Vergleich hell und heiter: Our Planet kommt mit schönen Melodien, ist facettenreich und recht beliebig. Martina Dünkelmann
Robert Hood – Nothing Stops Detroit (Rekids)
Ein neues Album der Detroit-Legende Robert Hood ist auf dem Weg, und Nothing Stops Detroit ist der erste Vorbote auf Radioslaves Label Rekids. Der Titel verdeutlicht, wo es lang geht: eine kraftstrotzende EP voller Detroit-Techno, purer Minimalismus mit maximaler Durchschlagskraft. Wenige Elemente mit einfachen Rhythmen überlagern sich und verändern dadurch die Wahrnehmung, der Gesamteindruck wird komplexer. Der Titel „7 Mile Dog” verweist auf Straßen-Sprech: die 7 Mile ist als eine der härtesten Straßen Detroits legendär; Hoods Ex-Mitstreiter, Underground-Resistance-Mitgründer Mad Mike Banks beschreibt sich selbst als „Seven Mile!! And Hard Working.” Auch akustisch erinnert Hoods Track an seine Anfangszeit bei Underground Resistance: die Bassdrum hämmert unter einem kurzen, knackigen Synthie, wird dann von einer Snare gedoppelt – sehr aggressiv und sehr simpel, bei Robert Hood groovt es trotzdem. Mit „Ignite A War” sind die 90er vollends auferstanden: eine Cowbell, der ikonische Techno-Sound der frühen 90er – bimmelt ohne Pause und trägt den ganzen Track. Wer die Zeit verpasst hat: hier ist das Beste davon, ganz neu. Martina Dünkelmann
Scuba – This Is For You Remixes (Hotflush)
Dub-House und Dub-Techno waren Mitte und Ende der Neunziger des Autoren große Liebe. Maurizios „M 6” und „M 7” nehmen in diesem Kontext eine zentrale Rolle auf der Technoseite ein, Rocker Hi-Fis „Push Push” trat einiges los im housigen Sektor. Was weltweit eine kreative Zeit, viele tolle Produktionen und massenweise stilistische Verästelungen zur Folge hatte. Und dann den irgendwann unweigerlich folgenden Ideenstillstand, dessen ungeachtet aber noch mehr Platten mit dem tiefen Offbass. Kennt man auch von anderen Hypes und Neuentwicklungen – angekommen im Mainstream, nennt’s das Feuilleton. Umso erfreulicher dann, wenn es Künstler*innen gelingt, den (natürlich freiwillig) eng definierten stilistischen Rahmen wieder mit Leben und Inspiration zu füllen. Luke Slater erschafft auf dieser Remix-EP gleich zwei solcher Glücksmomente mit Scubas „This Is For You”, die perfekt Epigonentum und Selbstverleugnung ob aller Ehrfurcht umschiffen. Mix eins segelt unter Slaters Alias L.B. Dub Corp und kommt lässig und verspielt daher mit treibenden rhythmischen Variationen und einnehmendem Unterwasser-Synthie-Geblubber. Der eigentliche Luke-Slater-Mix ist dann ein sich langsam entwickelnder, irrer Trip, der nach und nach einen unwiderstehlichen glücksspendenden Sog erzeugt. Und weil diese Qualität Slater wohl recht gut bewusst war, spendierte er dem Hotflush-Labelboss zu der gut achtminütigen „Short Version” auch noch eine 23-minütige, die es verdient hätte, alle Post-Corona-Raves zu eröffnen, wenn der große Feiertag eines Tages endlich gekommen ist. Mathias Schaffhäuser