Bernafon Viron (Grafik: Bernafon)

Dieses Zitat gilt nicht nur für Musiker*innen, sondern gleichermaßen für jede*n Musikliebhaber*in. Denn nur wer detailliert hört, kann Musik als das wahrnehmen, was sie ist: etwas Großes. Wenn sich das Gehör aber im Laufe der Jahre oder durch zahllose Konzerte, Gigs und Nächte im Proberaum verschlechtert, ändert sich auch die Art und Weise, wie wir Musik wahrnehmen: Sie verliert an Größe. Carsten Braun, Leiter der Audiologie der Hörgeräte-Experten von Bernafon in Berlin, steht Rede und Antwort zum Thema Hörverlust bei Musiker*innen und Musikliebhaber*innen und erklärt, wieso sich Bernafon-Geräte insbesondere für Akteur*innen der für das menschliche Gehör besonders belastenden elektronischen Musik eignen.


Bernafon Hörgeräte sind auf Musiker*innen- wie Hörer*innenseite einsetzbar. Auch in der elektronischen Musik klagen viele Künstler*innen über Hörschäden. Sind die Hörgeräte mit dem Auflegen, das sich von herkömmlichen Konzerten unterscheidet, zu vereinen?

Hörgeräte sind für Künstler und Fans der Elektroszene gleichermaßen geeignet. Insbesondere für DJs sind sie eine echte Alternative. Moderne Hörgeräte mit entsprechenden maßgefertigten Otoplastiken wirken in etwa wie ein hochwertiges In-Ear-Monitoring. Allerdings mit deutlich mehr Funktionen: Sie versorgen einerseits den Hörverlust und verbessern das Sprachverstehen im Lärm, schützen aber gleichermaßen durch Limiter und die angesprochenen Otoplastiken vor lauten Pegeln.

Sie bieten einen sehr guten, natürlichen Klang und ermöglichen dem Künstler beim Auflegen, seine Umgebungsgeräusche und aktuell gespielten Tracks zu muten, um sich auf den kommenden Übergang zu konzentrieren, oder die Playlist direkt in die Hörgeräte zu streamen. Dafür muss das Mischpult einfach mit einem kleinen Adapter gekoppelt werden, der dann den gewünschten Sound verzögerungsfrei in die Hörgeräte streamt. Hörgeräte sind also auch noch eine sehr gute Alternative zu den gängigen Kopfhörern und ermöglichen DJs, ihren Beruf optimal und trotz teils hochgradiger Hörminderung fast ohne Einschränkungen auszuführen.

Wie steht es um die Clubgänger*innen? Ist es sinnvoll, auf dem Dancefloor auf die Hörgeräte zurückzugreifen, oder sollte man lieber auf die bewährten Ohropax setzen?

Wie in eben beschrieben, sind Hörgeräte gleichermaßen für Künstler und Zuhörende geeignet. Wenn wir über Clubbesucher sprechen, die unter einer spürbaren Hörminderung leiden, würden wir natürlich zu einem Hörgerät raten. Denn Ohropax lassen alles – Musik und Gespräche – schlichtweg dumpf klingen. Als Clubbesucher möchte man aber genau das Gegenteil: die bewegenden Klänge in ihrem vollen Umfang genießen und sich zudem in der Gruppe oder mit seiner Begleitung unterhalten. Sofern man als Clubbesucher seinen Fokus auf die Prävention legt, können Ohropax einen Beitrag leisten. Besser geeignet ist jedoch ein hochwertiger und maßgefertigter Gehörschutz mit frequenzneutralen Filtern.

Welche Vorsichtsmaßnahmen fürs Gehör würden Sie bei Clubbesuchen und beim Produzieren elektronischer Musik allgemein empfehlen?

Das ist nicht unser Fokus. Wir richten uns an Menschen, die bereits unter einer Hörminderung leiden und Hörgeräte tragen (sollten) bzw. bereits auf diese angewiesen sind. Zur Prävention einer lärm- bzw. musikbedingten Hörminderung und bevor ein Hörgerät nötig ist, würden wir dennoch empfehlen, einen hochwertigen Gehörschutz mit einem frequenzneutralen Filter (wie z.B. Elacin 15/25) zu verwenden. Diesen nutzen beispielsweise auch Zahnärzte, um sich vor Lärm im beruflichen Alltag zu schützen und dennoch klar und deutlich mit ihren Patienten sprechen zu können. Dieser Gehörschutz bietet eine nahezu gleichmäßige Dämmwirkung im Frequenzbereich von 125 bis 8000 Hz. Damit bleibt die Klangfarbe erhalten, der Klang ist weiterhin natürlich. Zugleich tritt kein Verschlusseffekt auf. Ein sehr wichtiger Aspekt der Prävention ist zudem das Einhalten von musik- und lärmfreien Ruhepausen.

Welche Charakteristika unterscheiden elektronische Musik hinsichtlich des Klangs und ihrer Auswirkung aufs Gehör im Wesentlichen von anderen Genres? Ist sie möglicherweise potenziell gefährlicher für die Ohren?

Grundsätzlich ziehen sich musikbedingte Hörminderungen durch alle Musikgenres. Denn es ist den Frequenzen und Pegeln egal, welchem Genre man sie zuordnet. Das heißt: Ob ich Klassik-, Pop- oder Elektromusik liebe, mit einem Verlust der hohen Frequenzen ist das Musikempfinden ähnlich eingeschränkt. Was Elektromusik tendenziell gefährlicher für die Ohren macht, sind die Pegel der Beats in unmittelbarer Nähe zu den Lautsprechern oder Monitoren. Wie hoch die Pegel zum Teil sind, spürt man sogar am ganzen Körper, insbesondere bei sehr tiefen Frequenzen, die sogar bis in den Infraschall reichen. Tiefe Frequenzen werden vom Menschen aber nicht so enervierend empfunden wie hohe Frequenzen (Ozeanrauschen vs. Zahnarztbohrer). Daher hält man sie trotz der hohen Pegel länger aus und belastet somit das Gehör. Nach einem mehrstündigen Clubbesuch entsteht oft ein Temporary Threshold Shift (TTS), eine vorübergehende Verschiebung der Hörschwelle. Man erkennt diese daran, dass man sich nach dem Clubbesuch auf dem Parkplatz anschreit, aber im Glauben ist, man spreche normal. Dieser Vorgang ist für eine gewisse Zeit und bis zu einer bestimmten Schalldruckbelastung reversibel, kann aber nach zu langer Einwirkung zu einem irreversiblen dauerhaften Gehörschaden, einem Permanent Threshold Shift (PTS) führen. Besonders gefährdet sind Besucher von Clubs, da hier häufig Schallpegel abgestrahlt werden, die bis an die Schmerzschwelle reichen.

Wie genau merkt man eigentlich, dass mit dem Gehör etwas nicht stimmt?

Oftmals bemerkt man das gar nicht sofort, einem Hörverlust geht meist ein schleichender Prozess über Monate oder sogar Jahre voraus. Plötzlich fehlt es dem gewohnten Sound an Brillanz und Lebendigkeit, der Lieblingssong klingt auf einmal fade und leer. Damit schwindet die Freude am Musikhören und -spielen. Deshalb sollten DJs, Musiker und leidenschaftliche Konzertbesucher regelmäßig ihr Gehör bei einem Hörakustiker überprüfen lassen. Das ist in der Regel kostenlos und dauert nicht lange.

Was passiert während dieses Prozesses genau im Ohr?

Insbesondere bei Musikern sind die hohen Frequenzen meist zuerst betroffen und werden als leiser wahrgenommen. So wird die Hörbeeinträchtigung zunächst auch gar nicht bemerkt, da die Welt um sie herum nach wie vor als laut genug empfunden wird – nur fehlen eben die hohen Frequenzen – als ob man beim Auflegen einen High-Cut eindreht. Dies lässt Sprache undeutlich erscheinen und nimmt der Musik ihren Zauber. Das Vorstadium ist oft die sogenannte „c5-Senke”. Das ist eine lärmbedingte Hörminderung, deren Ausprägung im Bereich des fünfgestrichenen C, also bei etwa 4000 Hz, am stärksten ist. Diese Frequenz betrifft den Sprachbereich nur am Rande, sodass es im Alltag kaum auffällt. Beim Musikspielen sieht das anders aus, denn das Frequenzspektrum eines Synthesizers beispielsweise reicht viel weiter als das der Sprache. Dies kann dazu führen, dass ein Musiker plötzlich leise Passagen in hohen Tonlagen deutlich lauter spielt, um ein für ihn ausgewogenes Klangbild zu erhalten.

Verlauf C5 Senke Grafik Bernafon
Möglicher Audiogrammverlauf
1 – Hörschwelle eines „normal” Hörenden
2 – Hörschwelle mit C5-Senke (z. B. durch einen MIHL – music-induced hearing loss)

Welche Folgen zieht eine unversorgte Hörbeeinträchtigung nach sich?

Im Laufe der Zeit wird diese Senke tiefer und breiter und kann sich auf niedrigere und höhere Frequenzen ausweiten, wie Abbildung 1 illustriert. Im Jahr 2018 kam die Universitätsklinik Perugia zu dem Ergebnis, dass über ein Drittel der untersuchten 4.618 Berufsmusiker unter einem Hörverlust leidet. Rock- und Popmusiker waren mit 63,5 Prozent gegenüber ihren Klassik-Kollegen, die kamen auf 32,6 Prozent, deutlich häufiger von einem durch Musik hervorgerufenen Hörverlust oder auch music-induced hearing loss, kurz MIHL, betroffen. Berufsmusiker aller Genres haben jedoch etwas gemeinsam: Hörbeeinträchtigungen führen insbesondere bei ihnen zu einer enormen physischen und psychischen Belastung.

Betroffene verwenden Hörgeräte ja vor allem, um das Sprachverstehen zu verbessern. Von Musik war bisher eher weniger die Rede.

Da sind Sie gut informiert. Bei der Hörgeräteentwicklung und -anpassung steht tatsächlich das Sprachverstehen in den unterschiedlichsten Umgebungen im Fokus. Um dabei erfolgreich zu sein, wird, vereinfacht ausgedrückt, ein akustisches Modell der Sprache erstellt und anhand des individuellen Hörverlusts der benötigte Verstärkungsbedarf ermittelt. Das ist vorhersehbar, da Sprache ein relativ gleichmäßiges Frequenzspektrum aufweist und stets von einem menschlichen Stimmapparat erzeugt wird. Im Gegensatz zur Sprache hat Musik jedoch viele, ganz unterschiedliche Quellen. Die Frequenzbereiche elektronischer Musik und einer Bassgitarre unterscheiden sich sehr. Dazu kommen die unterschiedlichen Pegel. Kurz gesagt: Aufgrund der großen Varianz der Musik gibt es kein zuverlässiges, vorhersagbares Modell, das in der Anpassung eine generelle Anwendung finden könnte.

Dynamik und Frequenzbereich Grafik Bernafon
Pegel und Frequenzbereiche von Live-Musik und Sprache
Es wird deutlich, dass es unmöglich ist, beide Bereiche mit derselben Herangehensweise im Sinne des Nutzers zu optimieren

Wieso können Hörgeräte dann trotzdem helfen?

Musiker benötigen ein detailliertes akustisches Feedback ihrer Instrumente, um sie perfekt beherrschen zu können. Moderne Hörgeräte verfügen heute über spezielle Signalverarbeitungen, die bis zu 20.000 Verstärkungskorrekturen pro Sekunde vornehmen können. Zudem verarbeiten Live-Musik-Programme Eingangspegel von bis zu 113 Dezibel verzerrungsfrei. Diese sind beim Auflegen oder beim Clubbesuch schnell erreicht. Die Technologie ist das eine, es braucht aber immer auch noch einen Hörakustiker, der gemeinsam mit dem Musiker die optimale Einstellung der Geräte findet.

Sie haben kürzlich eine Studie mit aktiven Musikern durchgeführt. Worum ging es dabei und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?

Eine Gruppe von Audiologen, Musikern und Entwicklern im Bernafon-Headquarter in Bern hat sich dieses wichtigen Themas angenommen und in einer Feldtest-Studie untersucht, wie sich die Performance eines Hörgeräts speziell für Musiker verbessern lässt. Wir stellten fest, dass 70 Prozent der Probanden das Live-Musik-Programm unserer Hörgeräte bevorzugten. Was außerdem interessant war: Die Probanden sollten zusätzlich ihr eigenes Spiel sowie das Zusammenspiel mit anderen Bandmitgliedern bewerten. Und gerade beim Zusammenspielen machte das optimierte Programm einen signifikanten Unterschied.

Und worum geht es, wenn man Musik nur als Hörer*in genießt?

Beim passiven Musikhören gilt es, ein möglichst breites Klangspektrum abzubilden, sowohl für die Frequenzauflösung als auch für die Dynamik. Denn die Quellen variieren hier ebenfalls. Vom Live-Konzert über TV und Stereoanlage bis hin zum Streamingdienst. Auch für diesen Bedarf gibt es spezielle Programme und sogar die Möglichkeit, direkt von einer Stereoanlage oder einem Smartphone in die Hörgeräte zu streamen. Die Hörgeräte dienen sozusagen als Stereo-Kopfhörer. Kurzum: Hörgeräte, die die hohen Ansprüche eines Profimusikers erfüllen, sind für Clubbesucher und Musikliebhaber mit Sicherheit ebenfalls die beste Lösung.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es gibt für jeden DJ oder Clubbesucher eine individuelle Lösung, die den natürlichen Klang und damit die Freude an der Musik zurückbringt. Ein Hörtest wäre da der erste empfehlenswerte Schritt.

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