Gerd Janson (Foto: Nils Müller) und Maik Pallasch (Foto: Presse)
DJs prägen die Szene, auch durch ihre Reichweite, die die von Producern bei weitem übertrifft. Auf Spotify waren sie bis vor kurzem dennoch relativ wenig präsent, höchstens mit eigenen Produktionen oder mit veröffentlichten Mixen wie denen der DJ Kicks-Serie. Das ändert Spotify jetzt mit dem Projekt track IDs, für das DJs wie Nina Kraviz oder Todd Terry regelmäßig eigene Playlists befüllen. DJ-Sets sind die track IDs allerdings nicht, denn es gibt keine gemixten Übergänge. So entsteht ein neues Format, ein Hybrid zwischen DJ-Set und Radiosendung.
Verantwortlich bei Spotify für track IDs ist Maik Pallasch, Spotify Head of Music für Deutschland, Österreich und die Schweiz. Wir haben uns mit ihm zusammen mit Gerd Janson, der auch eine track IDs-Playlist kuratiert, über das Projekt unterhalten. Im ersten Teil des Longform-Interviews wollten wir wissen, wie die DJs ihre Kompetenz auf der Plattform einbringen, wie die Zusammenarbeit genau aussieht – und wie track IDs den Blick der DJs auf ihre Musik verändert.
Maik, erzähl bitte, wie track IDs entstanden ist. Was wollt ihr den Hörer*innen damit bieten?
Maik Pallasch: Das Projekt geistert schon relativ lange in meinem Kopf herum. Launchen wollten wir 2019, noch lange vor Corona, als lokale Initiative in Deutschland. Das Interesse war dann aber international so groß, dass wir uns für einen globalen Launch in 2020 entschieden haben. Die Pandemie-Phase ist tragisch für die Szene. Die Leute können gerade nicht in Clubs und auf Festivals gehen und die DJs nicht auftreten. Track IDs ist da vielleicht hilfreich, um einen weiteren Kontakt zwischen den DJs und Hörer*innen zu schaffen – jetzt, wo nichts stattfinden kann.
Für Spotify ist die elektronische Musik mit ihrer gigantischen Zahl von Musiker*innen eine Herausforderung. Wie versucht ihr, diesem Zusammenhang gerecht zu werden?
Maik Pallasch: Uns allen war klar, dass wir mehr für die elektronische Musik und vor allem auch für die DJs machen können und auch machen wollen. In den letzten Jahren – und v.a. Monaten – sind wir immer tiefer in das Genre eingestiegen und haben angefangen, mehr und mehr Playlists für unterschiedlichste elektronische Subgenres zu kuratieren Playlists wie z.B. House Is A Feeling, Queer Spaces, Detroit Techno oder Techno Bunker und viele mehr. Wir haben sogar eine kleine Base für Vinyl-Musik geschaffen, für Chicago Juke, Baltimore Club und Jersey Club. Da geht’s also in ganz unterschiedliche Richtungen. Wenn man die DJ- und Clubkultur außen vorlässt, ist klar, dass man die Welt der elektronischen Musik in ihrer Gesamtheit noch nicht erfasst hat. Das hat auf der Plattform gefehlt, und mit den track IDs versuchen wir diese Welt zu bedienen.
Wie würdest Du den Zugang der DJs beschreiben im Unterschied zu Euren Redakteur*innen, die die Playlists betreuen?
Maik Pallasch: DJs wie Dixon, Nina Kraviz und auch Gerd, die normalerweise jedes Wochenende auf Festivals und in Clubs auflegen, haben einen anderen, direkteren Zugang zu der Welt, zu den Tracks, den Subgenres. Dazu kommt, dass viele Hörer*innen DJs als verlässliche Quelle sehen, wenn es darum geht, Musik zu entdecken. Und wir versuchen, DJs eine bessere Plattform bei uns zu bieten.
Wie greifen dann DJs und Producer auf der Plattform ineinander?
Maik Pallasch: Spotify ist so konzipiert, dass es Artist-Profile auf der Plattform gibt, denen die Hörer*innen folgen können. Die Realität ist aber, dass die meisten DJs, mit denen wir hier zusammenarbeiten, eher Underground-Tracks veröffentlichen, die nicht so viele Streams wie die Tracks von kommerziellen Producern generieren. Als DJs sind sie aber sehr erfolgreich und bekannt, einige haben eine Million und mehr Follower*innen auf ihren Social Media-Kanälen. Und das versuchen wir bei track IDs mit der Musik zu verbinden. Wir wollen die Strahlkraft der DJs und deren individuelle Kuration mit Spotifys Reichweite zusammenbringen. Auch mit der Erfahrung, die unsere Redaktion mit dem Erstellen von Playlists hat und mit unseren Möglichkeiten, Daten zu analysieren. Wir sehen hier sehr schnell, wie bestimmte Tracks funktionieren und ankommen. Das nutzen wir auch beim Kuratieren unserer Playlists. Wir beraten die DJs auf Basis dieser Informationen. Die Kuration liegt aber final bei den DJs. Das ist uns wichtig.
Wie sieht track IDs für die Hörer*innen in der App aus?
Maik Pallasch: Wir haben den ganzen Electronic/Dance Hub auf der Plattform neu gestaltet, das war auch ein Projekt der letzten Monate. Wenn man einen einzigen Hub für so ein breites Genre hat, mit so vielen unterschiedlichen Subgenres, dann wird man dem nicht so ganz gerecht. Da stehen dann sehr unterschiedliche Tracks und Playlists nebeneinander, die sich vielleicht sogar gegenseitig ausschließen. Ich glaube, da muss man für die Hörer*innen einen eigenen Zugang schaffen, um den fragmentierten Genres besser gerecht zu werden. Jetzt haben wir innerhalb des Electronic/Dance Hubs weitere Hubs für unterschiedliche Subgenres, wie z.B. Techno, House oder Electronica geschaffen. Aber eben auch einen DJ-Hub, in dem man alle track IDs-Playlists, sowie DJ bezogenen Content, wie z.B. Mix Compilations und weitere DJ Playlists findet. Da sind jetzt schon sehr viel mehr Nutzer*innen unterwegs, es wird häufiger gehört und es werden längere Sessions gehört. Das funktioniert also.
Nun zu Dir, Gerd Janson: Wie bist du Teil von track IDs geworden, und was reizt dich generell am Thema Spotify?
Gerd Janson: Erstmal bin ich dazugekommen, weil Maik mich netterweise gefragt hat. Danke dafür. Ich muss ehrlich gestehen, für mich war das auch eine Initialzündung, mich mal eingehender mit Spotify zu beschäftigen. Wenn man ein Label macht, Remixe produziert und dreimal die Woche irgendwo spielt und sich auch neue Musik anhören muss – dann fällt es so ein bisschen unter vom Tisch, dass man, salopp gesagt, privat Musik hört. Bei meinem Plattenlabel Running Back wurde das auch immer wahrnehmbarer, dass Spotify und Streaming generell eine immer größere Rolle gespielt haben. Mein Labelmanager Matthew Styles sagte irgendwann zu mir: „Jetzt mach doch mal Spotify-Listen und sowas.” Und ich immer so: „Jajaja, ich mach, ich mach.” Aber ich hab mich nie darum gekümmert bis Maik an mich herangetreten ist.
Wie ist dein Eindruck vom Angebot von Spotify in deiner Sparte?
Gerd Janson: Man findet natürlich nicht alles, es gibt immer noch die Vinyl only-Welt und bestimmte Sachen, die sich einer größeren Reichweite von vornherein verschließen wollen. Ich war dann aber doch erstaunt, was man da alles findet. Aus der DJ-Perspektive ist an track IDs toll, dass man eigentlich eine Art Radiosendung produziert: Das sind Tracks, die man momentan spielt, die schon veröffentlicht sind. Und auch Tracks, die man privat hören würde. Und auch ganz viele Dinge, von denen man denkt, dass die vielleicht einfach untergegangen sind. Und da ich überraschenderweise nicht so gerne rede, obwohl ich selbst auch mal Musikjournalist war, habe ich da die Möglichkeit, eine regelmäßige Radioshow zu machen, ohne dass ich Wortbeiträge abliefern muss.
Also wird nicht gemixt bei den track IDs?
Maik Pallasch: Bisher noch nicht. Das ist ein Thema, an dem wir arbeiten.
Wie hast Du dann deine erste track IDs-Playlist erstellt?
Gerd Janson: Ich hab nicht einfach 25 oder 50 Tracks wild angeklickt und in irgendeiner Liste zusammengestellt, ich hab das schon kuratiert. In dem Sinne, wie das vielleicht einer der Urväter des DJings, David Mancuso etwa gemacht hätte. Der ja ganz offensiv nicht gemixt hat, weil er wollte, dass die Stücke auf der Party so gehört werden, wie die/der Künstler*in das intendiert hat. Da gab’s dann auch so Streitgespräche, was denn dann mit dem Beat-Ausrufer ist, die der/die Künstler*in extra zum Mixen beigefügt hat. Aber das ist nochmal ein anderes Thema. Ich hab das dann in eine Sequenz gebracht, wie ich es wahrscheinlich auch in einer richtigen DJ-Mixtape-Form hintereinander auflegen würde. Dass es eine Dramaturgie gibt.
Verstehe. Das ist spannend, weil es ein neues Format ist. Es ist dann eher wie eine Radiosendung, oder wie ein Mancuso-Set, ein Ansatz, der ja jetzt überhaupt nicht mehr in den Clubs stattfindet.
Gerd Janson: Da achtet man dann komischerweise doch drauf als DJ, dass es eine Art Übergang gibt, der gar nicht stattfindet. Du guckst trotzdem, wie das eine Stück aufhört und das andere anfängt. Das kriegt man aus sich als DJ nicht raus, darauf zu achten, dass diese Schnitte oder Übergänge nicht zu hart sind.
Maik, Du meintest vorhin, dass die DJs eine andere Kompetenz haben, was das Kuratorische angeht, als eure Redakteur*innen. Bringen die denn auch Musik mit, die es noch nicht auf Spotify gibt?
Maik Pallasch: Das geht leider nicht. Die Musik, die in diesen Playlists stattfindet, muss auf Spotify veröffentlicht sein. Für viele kann das aber auch ein Anreiz sein, über die eigenen Labels bestimmte Songs zu lizenzieren und verfügbar zu machen, wenn die DJs diese in ihren Playlists haben wollen.
Gerd Janson: Ich hab das oft, dass mir Platten von früher einfallen, die will ich dann auflegen. Vor Corona war das ein Zeitproblem, weil man die Platte raussuchen, säubern, aufnehmen und nachbearbeiten muss. Dann such ich die Sachen natürlich oft auf den Download-Plattformen. Oft gibt es die dann dort aber gar nicht. Die gab es dann halt mal irgendwann auf Platte rausgebracht, und das war es dann. Ich versuche das dann zu revitalisieren. Ich bin ja kein Maschinenstürmer, ich finde es gut, wenn die Tracks auf allen Plattformen gleichzeitig verfügbar sind.
Maik Pallasch: Wo du gerade den Unterschied angesprochen hast zwischen Redakteur*innen und DJs: Es geht immer darum, neue Musik zu entdecken, neue Entwicklungen abzubilden. Du kreierst eine Stimmung mit der Auswahl deiner Tracks. Und meistens versuchst du das auch als DJ, genauso wie wir hier in der Redaktion zu verstehen versuchen, was die/der Hörer*in hören will. Das ist bei DJs aber nicht immer so, denn bei ihnen findet die Musik in einem anderen Kontext statt, in Clubs und auf Festivals. Das ist viel direkter. Das Schöne ist, dass der erzieherische Auftrag und der künstlerische Aspekt bei DJs noch ein Stück mehr im Vordergrund steht, weil die Kuration individueller und losgelöster vom jeweiligen Rahmen stattfindet. Ein DJ legt meistens im Club auf und hat gelernt, ein direktes Feedback aus dem Club zu bekommen und muss sehr viel schneller darauf reagieren.
Wie reagiert ihr auf das Feedback, das ihr bekommt?
Maik Pallasch: Wir gucken uns die Daten an, wenn wir eine Playlist erstellt haben. Wir analysieren das Hörer*innenverhalten über ganz unterschiedliche Daten wie Skip-Raten, wiederholte Plays, wie einzelne Tracks abgespeichert werden, wie lange die Session von einzelnen Playlists ist. Wir können dann mit ein bisschen Zeitverzögerung sehen, wie die Leute auf bestimmte Themen reagieren. Diese Daten werden schließlich von unseren Redakteur*innen interpretiert. Je nachdem wie neu ein Track oder wie leicht zugänglich er für die Hörer*innen ist, bleibt er auch länger in den Playlists, obwohl er noch keine guten Metriken zeigt. Manche Tracks brauchen einfach eine Weile bis sie bei den Hörer*innen ankommen. Unsere Interpretation der Daten – nicht die Daten selbst – teilen wir dann auch mit den DJs und gucken uns gleichzeitig die individuellen Nischen nochmal an. Jede*r DJ hat eine sehr eigene Welt und sehr eigene Klangfarbe.
Das ist auch interessant, weil der/die DJ, der/die im Club oder auf dem Festival spielt, ja immer direkt das Feedback kriegt: „Ok, gehen jetzt Leute von der Tanzfläche …” und ihr macht das auf eine komplexe technische Weise und seht nachträglich, was passiert ist.
Maik Pallasch: Wir haben auch einen Live-Moment, wir sehen die Daten und die Entwicklung der Tracks bei uns auf der Plattform durchaus in Echtzeit. Du hast immer einen direkten, aktuellen Stand, wie bestimmte Tracks performen. Aber das ist eben der Unterschied zur Live-Situation. Ich hoffe, dass die Clubs bald wieder aufmachen und alle unbeschwert auf Festivals gehen können. Und dann können unsere DJs auch wieder alles komplett zusammen bringen: ihre persönlichen Erfahrungen und das Feedback, das sie von der Plattform bekommen.
Gerd Janson: Aber es könnte ja in dem Fall genau umgekehrt passieren. Als DJ hast du ja oft den Moment, wo du merkst, das war jetzt die falsche Wahl, weil es vielleicht zu soft oder zu kompliziert war, um so eine Dancefloor-Dynamik am Laufen zu halten. Das könnte bei den track IDs genau umgekehrt der Fall sein: Wenn etwas salopp gesagt zu stumpf ist, und deshalb auf der Tanzfläche funktioniert, könnte es in der Playlist das Gegenteil hervorrufen. Und genau die Stücke wegdrücken, die zu energetisch sind oder zu unterfordernd beim Anhören. Das wäre dann interessant, auch das zu sehen. Das könnte dann die Statistik beantworten, oder Maik?
Maik Pallasch: Ganz genau.
Gerd Janson: Das könnte ja dann für den DJ eine Herausforderung sein, da genau umgekehrt zu denken.
Nächste Woche erscheint der zweite Teil des Gesprächs zwischen Gerd Janson und Maik Pallasch. Dort sprechen die beiden über die Rolle von Labels im Streaming-Kontext. Außerdem wollten wir wissen, wie Janson seinen Lockdown genutzt hat und was für Musik, Spotify-Hörer*innen in dieser Zeit besonders gerne gestreamt haben.