Azu Tiwaline – Magnetic Service EP (Livity Sound)

Azu Tiwaline - Magnetic Service EP (Livity Sound)

Beim Besprechen von Musik gibt es ja ein grundsätzliches Problem: Begeisterung für die Sache ist, in Worte gefasst, von Promo-Verlautbarungen manchmal schwer zu unterscheiden. Weil explizites Tollfinden gern gleichgesetzt wird mit Eine-Sache-verkaufen-Wollen. Zur Offenlegung sei gesagt: Verkauft wird mit diesem Text nichts. Doch die tunesische Produzentin Azu Tiwaline, die bisher mit nur wenigen Platten in Erscheinung getreten ist, gehört mit ihrer jüngsten EP Magnetic Service definitiv zum Spannendsten, was in der Clubmusik derzeit so zu haben ist. Nordafrikanische Perkussion hat bei verschiedenen Produzent*innen derzeit Konjunktur, siehe etwa Bergsonist. Bei Azu Tiwaline ist vor allem die Berbermusik ein starker Einfluss. Daraus webt sie trippig fließende Patterns, die ihre Komplexität nicht demonstrativ zur Schau stellen, sondern diskret rollen und, wenn man kurz nicht auf die polyrhythmischen Akzente aufpasst, sogar den Boden unter den Füßen wegziehen können. Was einen paradoxen Effekt hat: hypnotisierend und desorientierend zugleich geht es zu, immer auch ein bisschen mysteriös, wie ein Nebel, der sich über das Geschehen zu legen beginnt. Hochgradig anziehende Kombination. Tim Caspar Boehme

Burnt Friedman & Mohammad Reza Mortazavi – YEK2 (Nonplace)

Mohammad Reza Mortazavi & Burnt Friedman - Yek 2 (Nonplace)

Wer heute des Abends durch begrünte Begegnungszonen powerwalkt, hat sie gesehen und gehört: Trommelkreise und Midsommar-Verbünde, die auf der Suche nach den Grenzen der Transzendenz in Synergieeffekten abwechselnd zwischen mythologisch angehauchtem Regentanz und bei YouTube-Yoga perfektionierten Sonnengrüßen in die Hocke springen, um die weißen Leinenhemden ordentlich durchzuschlabbern und auf Bio-zertifizierten Vollholz-Congas rumzuscheppern, während sich ein paar hart an der Cultural-Appropriation-Ecke vorbeischrammende Blumenkinder mit drei Zügen aus dem Räucherstäbchen wegbeamen. Wenn man sich die vier neuen Cuts von Mohammad Reza Mortazavi und Nonplace-Spezi Burnt Friedman anhört, muss man das alles vergessen. Sofort! Und das ganze Abendland am besten mit dazu. Mortazavis Finger denken in Rhythmen, die sich in sich selbst verzahnen und seine Finger über die Blechtrommel jagen, als möchte er das Ding spontan abfackeln. Friedman schiebt sich mit elektronischen Interventionen dazwischen, was erst dann auffällt, wenn es nicht mehr auffällt. Sequencer gibt’s auf YEK 2 keine, dafür die ärgste Trommel-Platte mit Dub- und Dusel-Bezug seit dem letzten Tribal-Revival. Christoph Benkeser

De Ambassade – Standhouden (Knekelhuis)

De Ambassade - Standhouden (Knekelhuis)

Ein Album, zwei Singles: der niederländische Studio-Nerd Pascal Pinkert, der schon als Dollkraut mit Veröffentlichungen auf Pinkman, Permanent Vacation oder Jennifer Cardinis Dischi Autunno Kraut- und Wave-Stimmungen verbreitete, ist unter seinem Alias De Ambassade voll und ganz beim ebenfalls niederländischen Label Knekelhuis beheimatet. Hier lebt er seine Liebe für New Wave, Coldwave, Synth-Pop und Industrial aus. Nun Standhouden, seine dritte Single für das Label des DJs Mark Knekelhuis. Seite A bringt „Verwijder Jezelf”, ein nervöses, knapp dreiminütiges Wave-Pop-Kleinod, das aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Der Song wirkt wie ein neu gemastertes Werk aus den 1980ern, das bis dato unerkannt auf einem der unzähligen Tapes von einem der unzähligen Tape-Labels jener Jahre schlummerte. Zu schnellen Shuffle-Rhythmen und Text des Niederländers Eelco Couvreur singt Pinkert tragisch poppig mit einem düsteren Charme, der die Angst des Kalten Krieges heraufbeschwört. Der Titel-Tune „Standhouden” startet demgegenüber mit einem geloopten Stimm-Sample, in dessen Hintergrund langsam ein metallisch klirrender Industrial-Rhythmus auftaucht, der mit Einsatz der Bassline lässig geerdet wird. Auch hier singt wieder eine Stimme tragisch. Diesmal wird deren Ursprung aber nicht kenntlich gemacht. Produziert wurden die zwei kurzen Songs übrigens unter Mithilfe der ebenfalls Niederländischen DJ Aniek de Rooij alias Alberta Balsam, die gemeinsam mit De Ambassade neblige Melodien für Neuzeit-Waver mit Techno-Sozialisation produziert hat. Michael Leuffen

Detroit Grand Pubahs – Thanks for Coming (Engineroom)

Detroit Grand Pubahs - Thanks for Coming (Engineroom)

Stan & Ollie vulgo Dick und Doof waren unter anderem so witzig, weil bei ihnen offenkundig Blödsinniges einfach passieren durfte. Ein bisschen, so scheint es, haben sich die Detroit Grand Pubahs darauf ihren eigenen Reim im Regelwerk von Techno gemacht. Wobei sie, anders als Laurel and Hardy, in ihren Scherzen bevorzugt unter die Gürtellinie zielen („Sandwiches”). Auch den Titel „Thanks for Coming” kann man in diesem Sinn lesen. Ein grundsätzliches Wohlwollen solchen Dingen gegenüber kann beim Hörgenuss daher nicht schaden. Mit dieser Wiederveröffentlichung machen sie es etwaigen Skeptikern ein bisschen leichter, denn das Original von 2008 mit zurückgenommen-tropfendem Beat, bei dem irgendwann ein echtes Schlagzeug aufzutauchen scheint, bekommt gleich drei Remix-Versionen verpasst – auf der ursprünglichen Platte waren es lediglich zwei davon. In der Version von The Advent stehen Tech-House-Geradlinigkeit plus leicht verfremdete Stimmen im Vordergrund, Steve Bug setzt auf klassische 808-Sounds wie Rim Shots, um für hell aufgeräumten Funk zu sorgen, der auch die letzten Zweifler*innen überzeugen sollte. Der neu hinzugekommene „Call of the Sirens”-Mix der Techmarine Bottom Feeders hingegen taucht in tiefe Bass-Regionen hinab, nimmt dafür den Sprechgesang aus dem Spiel. Was in dem Fall allein deshalb zu vertreten ist, weil es ja schon drei Varianten inklusive Stimme(n) gibt. Tim Caspar Boehme

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Special Request – Spectral Frequency (R&S Records)

Special Request - Spectral Frequency EP (R&S)

Special Request ist das undergroundige Alias von Paul Woolford. Unter seinem richtigen Namen liefert er ab und an größere EDM-Pannen ab, wie jüngst die Kollaboration mit Diplo beweist. Woolford veröffentlicht seit Anfang der 2000er Jahre auf Labels wie NRK, Hot Flush, Cocoon, Running Back oder 20:20 Vision. Der Boiler Room, die BBC 1 Radio Residency, FabricLive, DJ Mag- oder Ministry Of Sound-Mixe wurden von ihm kommerziell abgehakt. 2017 verschenkte er, um „nochmal richtig einen draufzumachen, bevor die Plattform untergeht” ironisch 20 seiner 2300 Soundcloud-Tracks. Jungle-Remakes hat er im letzten Jahrzehnt öfters als Special Request auf Houndstooth veröffentlicht. Den Titeltrack dieser aktuellen EP veröffentlichte er vor einem halben Jahr bereits auf seinem vierten SR-Album. Wegen der Nachfrage bringt R&S Records den Track nochmal als 12” heraus. Dabei enttäuschen gerade „Spectral Frequency” und „Inverse Frequency” mit einem einfallslos zerschredderten, in der Bitzahl heruntergerechneten und durch die Frequenzen geschobenen Jungle-Beat. Der komplette Frequenzgang bombt massiv mit einem klassischen „Oh Yeah”-Frauenstimmen-Sample-Geschrei rein und das Cover-Design kommt vom Artistic Director von Louis Vuitton und Off-White-Kollaborateur Virgil Abloh. Die Modemarke Off White geriet kürzlich in Kritik wegen ihrer überteuerten Corona-Schutzmasken für die E-Commerce-Firma Farfetch. Im Chaos zwischen Stilsicherheit und Selbstzweck-Crossmarketing gerät das Verständnis dessen, was tatsächlich cool sein könnte, schön unter Beschuss. So läuft Woolfords permanente Akkumulation möglichst vieler Informationsredundanzen ins Leere. Und das, obwohl die B-Seite mit zwei melodischen Hallraum-Balearic-Electronica-Nummern durchaus entzückt („Family Doggo”/ „No Other Way To Say It”). Mirko Hecktor

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