Cera Khin (Foto: George Nebieridze)
Mit ihren explosiven DJ-Sets prägte Cera Khin in den letzten Jahren einen Sound mit, der die Clubkultur einer radikalen Frischzellenkur unterzog, an dem sich aber auch die Geister scheiden. Ohne jegliche Restriktionen verfolgt die Lazy-Tapes-Betreiberin eine simple wie effektive Strategie: Sie spielt schlicht, worauf sie Lust hat, minimal anpassungsfähig und maximal befriedigend – sofern man mit Rasanz, Tempowechseln und akustischen Presslufthämmern etwas anfangen kann. Im Interview verriet sie uns, wie sie die Szene ihres Heimatlands Tunesien einschätzt, wofür sie von Promoter*innen kritisiert wird und wieso sie sich gerne als Todesengel inszeniert.
„I promised you to destroy your club and this is the result”, „Catch your favorite death angel in Munich” oder „Come sweat the hell out of you with me” – Cera Khin bewirbt ihre Gigs auf ihren Social-Media-Kanälen alles andere als dezent. Selbstbewusst behauptet sich die Tunesierin so in einer Szene, in die sie erst vor wenigen Jahren schlitterte. „Zwar habe ich gefühlt schon im Bauch meiner Mutter gediggt, in Tunesien war ich aber nicht als DJ aktiv.” Ende 2013 zog Cera Khin nach Berlin, weil sie nach ihrem Marketingstudium in Karthago an der tunesischen Nordküste zwingend nach Europa wollte. Zunächst lebte sie kurz in Hamburg, fuhr aber bereits zu dieser Zeit jedes Wochenende zum Feiern in die deutsche Hauptstadt.
Ihre Heimat, in der es keinen fruchtbaren Nährboden für ihren musikalischen Geschmack gab, ermüdete sie zusehends. „Es gibt da ein cooles Festival mit experimenteller Musik in einer Kirche (E-Fest, d.A.) – das war’s!” Die Jugend in Nordtunesien – „Ich war nie im Süden, verrückt, oder?” – wachse eben nicht im Berghain auf oder könne auf Festivals gehen. „In Afrika ist die Auswahl eben begrenzt. Du begnügst dich mit dem Stöbern im Internet.” Das praktizierte Khin dafür umso intensiver. Ihre beschränkten Möglichkeiten entpuppten sich damit im Nachhinein eher als Vorteil denn als Hemmnis, kam sie doch mit einer gänzlich vom Club-Konsens abweichenden musikalischen Perspektive in Berlin an, die ihr allerhand Möglichkeiten eröffnen sollte.
„Irgendwann war ich beim Ausgehen sehr gelangweilt von der Musik”, erzählt die ehedem passionierte Stattbad-, OHM- und Berghain-Gängerin. „Damals war das alles sehr monoton und engstirnig, minimal eben. Du gehst in einen Club und hörst 28 Stunden denselben Loop. Da dachte ich mir, dass ich DJ werden muss.” Entgegen des klassischen Narrativs kam Khin nicht durch die Faszination am ungezügelten Hedonismus, den sie auch von hinter den Decks aus erleben wollte, oder rauschhafte Schlüsselerlebnisse im Club selbst zum Auflegen, sondern weil sich am Status quo etwas ändern sollte. Repetitive oder Loop-getriebene Musik ist ihr natürlicher Fressfeind; „auf Minimal reagiere ich allergisch”, gibt sie unumwunden zu. Khin sucht das Experiment – manchmal auch schlicht den Radau und die Provokation.
Das Publikum spüren, Empathie zeigen
„Ich möchte beim Weggehen keinen Tech-House hören, nicht irgendeinen Bullshit.” Das, was sie musikalisch abstößt, nennt sie lakonisch „die Mitte”. Um ihr zu gefallen, muss Sound in Extreme abdriften; Doomcore, Metal, Gabber, aber auch Ambient – alles, was sie unter dem Etikett Hardcore subsumiert, sagt ihr zu, bewegt sie. Ihren Hardcore-Begriff umreißt sie dabei so unorthodox wie genau: „Für mich sind das Sachen, die schwer zu verstehen sind. Sich einfach nur hart und gefühllos zu geben, ist eine stumpfsinnige, oberflächliche Auslegung dieses Konzepts. Hardcore bedeutet für mich, verschiedene Aspekte von Musik zu verstehen und seine eigene Geschichte daraus zu schreiben.” Diesen Prozess setzen beatlose Stücke wie Christoph de Babalons unheimliches „Opium” von 1997 genauso in Gang wie Toni Moralez’ „Ghetto Techno”, ein Track des Frankfurter Producers, der eine Weile in so gut wie jedem ihrer Mixe auftauchte: „Ich liebe die verzerrte Kick, den springenden, etwas albernen Rhythmus.”
„AC/DC sind das ‘Barbie Girl’ des Heavy Metal”
Beim Auflegen selbst blendet sie ein Extrem ins andere über, empfängt das vielbeschworene 90s-Revival mit offenen Armen, prescht für gewöhnlich in schwindelerregend hohe BPM-Bereiche vor. Das gefällt nicht jedem, schon gar nicht Promoter*innen, die im Berliner Tresor Partyreihen veranstalten. „Einer kam auf mich zu und sagte mir, dass ich nicht schneller als 140 BPM spielen solle. Da fragst du dich dann schon, wieso dich Leute überhaupt buchen. Das war so nach dem Motto: ‚Hier bitte nur seriöser Techno, nicht Lächeln, nicht mit dem Publikum interagieren.” Cera Khin auf ein Genre festzutackern wäre für sie ohnehin eine veritable, die größtmögliche Beleidigung, auf die sie scharf reagiert: „Ich mag es nicht, in Schubladen gesteckt zu werden.”
Aus dieser standfesten Widerborstigkeit entwickelte Khin auch ihr zentrales Mantra I Play Whatever The Fuck I Want, mit dem sie bereits T-Shirts bedrucken ließ, das sie zu ihrem künstlerischen Leitsatz erhob und an das sie sich beharrlich klammert. Eine Kostprobe davon schallt am zweiten CTM-Wochenende in Gestalt eines Slipknot-Tracks gegen 4:30 Uhr über den Hauptfloor des Berghain. Cera Khin spielt mit Lokier ein b2b-Set, das kratziger, ungestümer und damit kontemporärer nicht klingen könnte, eigentlich Bewegungsabläufe erfordern würde, die dem Headbanging näher stehen als dem Tanzen. Hier wird Hardcore zelebriert, in Khins eigenwilliger Manier. Am Vortag unseres Interviews brachte sie in ihrer monatlichen Show auf Noods Radio, dem für sie so formativen Bristoler Sender, auf dem sie erste Gehversuche als DJ startete, noch AC/DCs „Thunderstruck” in einem furiosen Gabber-Edit unter. „Die Leute sollten nicht alle meiner Sets zu ernst nehmen”, wirft sie unter schallendem Gelächter ein. AC/DC fände sie eigentlich eher lahm, die Band total cheesy. „Ihre Songs sind das ‚Barbie Girl‘ des Heavy Metal!” Der Pawlowsky-Edit habe aber gut geklungen, also spielte sie ihn.
„Ich erschaffe mir meine utopische Version der Neunziger aber eben jetzt, weil ich damals nicht dabei sein konnte.”
Was hingegen der holländische Electro-Pionier I-F auflegt, klingt für sie unter Garantie nicht durchweg gut. Trotzdem bewundert sie als langjährige Intergalactic-FM-Hörerin seine Interpretation des DJings. „Er ist der Beweis dafür, dass es dabei aufs Timing ankommt. Du musst das Publikum spüren, Empathie zeigen. Im richtigen Moment wird auch ein total bescheuerter Track zum Banger. Das kann auch Schlager sein, oder wie ihr das hier nennt.” Bescheuert ist auch ein Prädikat, mit dem Techno-Puristen das soundästhetische wie modische 90er-Revival brandmarken. Grelle Sets von SPFDJ oder Gabber Eleganza in der Säule im Berghain wie auch die Trance-Wellen, die aus Kopenhagen in die Dance Music schwappen. Khin hat für die Kritik kein Verständnis, genießt die zugrundeliegende Epoche, die sie als Raverin nicht aktiv miterlebt hat, für sie doch einen sakrosankten Status: „Was ich daran mag, ist das Freigeistige. Vielleicht habe ich eine utopische Vorstellung davon, aber für mich wurde das Konzept des Ravens damals am besten umgesetzt. Leute schwitzten sich die Seele aus dem Leib, haben sich mit und ohne Drogen geliebt. Darum geht es.”
Cat Content und Fotos vom Friedhof
Das gesamte Konzept von Musik fuße für sie im Allgemeinen auf Ausdrucksfreiheit. Darauf zu machen, was man will. Deshalb stört es sie massiv, wenn Akteur*innen versuchen, der Szene ihren Geschmack aufzuoktroyieren. Im Internet seien derartige Vorkommnisse nochmal häufiger. „Wieso beschweren sich Leute über dieses Revival online? Wer bist du, dass du dir sowas rausnimmst?” Keineswegs habe sie auf diese Laune der Clubkultur hingearbeitet oder sie ausnutzen wollen. Schließlich sei es langweilig, etwas einfach nur zu wiederholen. „Ich erschaffe mir meine utopische Version der Neunziger aber eben jetzt, weil ich damals nicht dabei sein konnte.” Dass sie weiland gerne im hyperakzelerierten Hardcore-Epizentrum Rotterdam gewesen wäre, erklärt sich von selbst.
Führt man sich Cera Khins um jeden Preis selbstbestimmte Herangehensweise vor Augen, verwundert es doch etwas, dass ihr eigener Output bislang eher spärlich ausfällt. Seit Jahren sei sie zwar im Lernprozess, das Produzieren solle sich aber natürlich ergeben und nicht – wie des Öfteren üblich – als Promotool fungieren, um an Gigs zu kommen. Auf ihrem eigenen Label Lazy Tapes veröffentlichte sie bislang gemeinsame Mixe mit den wesensverwandten Künstlern Peder Mannerfelt und Ossia, mit letzterem außerdem die EP Guided Meditation, die mit Field Recordings aus Tunesien auf Khins Hardcore-Skala sicherlich am ruhigen Ende rangiert. Mit Mannerfelt, den sie über Twitter kennenlernte, verbindet sie nicht zuletzt sein Track „Sissel & Bass”. Ihr „Mind Destruction Remix” des Stücks hämmerte sich mit renitenter Beharrlichkeit und prägnant programmierter Percussion zu einem der Rave-Highlights des letzten Jahres. Die Version entstand mithilfe der Algorave-Software TidalCycles und wurde mittels Coding live eingespielt. Auch was den Produktionsprozess selbst betrifft, beschreitet Khin also ungewöhnliche Wege.
In ihrem Schaffen sowie ihrem Auftreten überschneiden sich verschiedenste Sektoren, die sie meist kunstvoll ineinander verwebt, manchmal radikal kollidieren lässt. Doomcore von Dr. Macabre auf rasanten Ghetto Tech und Fotos auf dem Friedhof neben Cat Content auf Instagram geraten mehr zur Regel als zur Ausnahme. Sie sei nachhaltig fasziniert vom Gegensatz zwischen Licht und Schatten, zwischen Leben und Tod. „Ich denke, dass man vor dem Tod keine Angst haben sollte. Er ist eher etwas Glamouröses.” Ihre ganze Ikonographie, in der sie sich mitunter als Todesengel inszeniert, will sie aber nicht als satanisch interpretiert wissen. Khin scheint hier nur ein weiteres Extrem auszuloten, einen konstanten Quell ihrer Inspiration.
So verwundert es auch nicht weiter, dass sie sich neben obskuren Horrorfilmen aus den 60ern, 70ern und 80ern – „die Neuen sind meistens Müll” – für einen der morbidesten Reizüberfluter unter den Regisseuren begeistert; David Lynchs Filme spiegeln Khins Musikverständnis mit ihren verworrenen Handlungssträngen und ihrer kryptischen Motivik, die sich dennoch mit offenen Schockmomenten abwechselt, auf der Leinwand wider. Ähnlich wie Lynch im Film bricht Cera Khin mit Konventionen, verschiebt die Grenzen des Spielbaren. Sie hat ihren kompromisslosen Sound aber vor allem auf den Dancefloor transportiert, weil sie schlicht Lust darauf hatte. Hardcore, der herausfordert und im selben Moment unterhält, immer im Extrem, nie in der Mitte.