Alle Fotos wurden bereitgestellt von Danilo Rößger, Link zu seinem Blog: allerorts.de

Anfang Januar deckte die STRG_F-Reportage Spannervideos: Wer filmt Frauen auf Toiletten? auf, dass das Festival Monis Rache mitnichten der Safe Space ist, den die Macher*innen gerne erschaffen wollten. Auch von der Fusion tauchten in der Folge Spannervideos aus den Duschen auf. Unserer Autorin Antonia Groß erklärt, welche Konsequenzen Festivals daraus ziehen sollten – und warum verschärfte Kontrollen das Problem nicht zwangsläufig lösen können.

Zwischen 2016 und 2018 fand das Festival Monis Rache dreimal auf dem Flugplatz Tutow in Mecklenburg-Vorpommern statt. (Foto: Danilo Rößger)

Festivals sind Orte der Sehnsucht. Orte, an denen es Freiheiten gibt, die sich im Alltag nicht leben lassen. Orte, an denen immer Sommer ist. Wo an Stelle von Zeit Bässe, Performance und Politik den Takt vorgeben – Orte, an denen sich Utopien zeichnen und ausprobieren lassen – Stichwort „Ferienkommunismus”. Aber auch linke und alternative Festivals sind Abbilder unserer Gesellschaft. Und die ist nicht frei von Diskriminierung, Sexismus und Gewalt. Im Januar dieses Jahres geriet erst das links-alternative Festival Monis Rache und wenig später auch die Fusion in einen unangenehmen Fokus.

Wie eine Doku des funk-Formats STRG_F aufdeckte, hat ein inzwischen bekannter Täter in mindestens zwei Jahren auf Monis Rache voyeuristische Filmaufnahmen in einem Dixi-Klo gemacht. Er war Teil der Festival-Crew und hat die Videos, auf denen Frauen* zu sehen waren, anschließend auf der Pornoplattform xHamster unter dem Nutzernamen „hfraenklin1” veröffentlicht, getauscht und verkauft. Wenig später informierte der Kulturkosmos in einem Statement, dass auch aus den Duschen des Bachstelzen-Floors der Fusion Videos auf der Plattform aufgetaucht waren. Inzwischen laufen Strafverfahren.

„Wie sich leider immer wieder und besonders in letzter Zeit gezeigt hat, ist das Umfeld, in dem wir uns verorten, nicht davor gefeit, dass Übergriffe geschehen”, heißt es im daraufhin veröffentlichten Statement des Kulturkosmos. Helen B., die im richtigen Leben anders heißt, ist eine von mehreren hundert Festivalgänger*innen, die sich seit Januar mit dieser neuen Form sexualisierter Gewalt konfrontiert sehen. „Von einer Freundin hab’ ich zuerst von den Vorfällen erfahren”, erinnert sie sich. „Dann habe ich das Thema erstmal weggedrückt – im Nachhinein betrachtet war das wohl eine Schutzreaktion. Erst nach ein paar Tagen habe ich realisiert, was das heißt und mich mit anderen Betroffenen vernetzt”.  

Neue Form sexualisierter Gewalt: Potenzielle Betroffenheit

„Non-konsensuales Filmen und digitale Gewalt sind nichts Neues”, sagt Julika Morgenroth vom Frauennotruf Leipzig. Die Crew von Monis Rache hatte nach den Vorfällen Kontakt mit der Beratungsstelle aufgenommen, auch Betroffene haben sich dort gemeldet. „Die Besonderheit an den Vorfällen ist der Faktor der potenziellen Betroffenheit”. Was die Fälle so delikat macht, ist also die große Unsicherheit darüber, ob man als Besucher*in gefilmt wurde. Und deshalb gibt es viele, die sich betroffen fühlen. „Für mich war es nur eine Frage der Zeit”, sagt Ans Hartmann. Ans arbeitet in der Leitung des Projekts „aktiv gegen digitale Gewalt” des Bundesverbands der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff). Der bff beschäftigt sich seit 2017 vermehrt mit der „Digitalisierung sexualisierter Gewalt”, wie Hartmann es ausdrückt.

Das Projekt hat gerade eine neue Video-Kampagne gestartet und konkrete Forderungen an die Politik formuliert. Ein Problem mit heimlichen Aufnahmen ist nämlich: sie fliegen selten auf. Meist befinden sich die Täter im näheren Umfeld der Opfer, die einzelnen Taten sind schwer zurückzuverfolgen. Die Spannervideos werden in der Regel innerhalb einer höchst frauen*verachtenden Online-Community herumgereicht – und die besteht überwiegend aus Cis-Männern. Erst eine Tat, die im großen Stil Betroffenheit verursacht, konnte mit so einer Wucht Öffentlichkeit herstellen, wie es nach Monis Rache nun der Fall ist.

Sich auf der Suche nach möglichen Filmen ihrer Selbst auf dem Dixi-Klo durch die Pornoseite wühlen? Scham, Wut, Hilflosigkeit und Ekel wären nur einige der Gefühle, die Betroffene durch das Anschauen der Videos re-traumatisieren können.

„Ich habe überhaupt keine Lust, mich durch die Videos zu klicken”, sagt Monis-Rache-Besucherin Helen B. Sich auf der Suche nach möglichen Filmen ihrer Selbst auf dem Dixi-Klo durch die Pornoseite wühlen? Das Material anzusehen, sich selbst und möglicherweise Freund*innen darauf wiedererkennen? Scham, Wut, Hilflosigkeit und Ekel wären nur einige der Gefühle, die Betroffene durch das Anschauen der Videos re-traumatisieren können. Dem will sie sich nicht aussetzen. Für Helen B. war Monis Rache ihr Lieblingsfestival. Klein, kollektiv, ein antisexistischer Anspruch. Das Auftauchen der Videos hat ihr „Erlebnis rückwirkend eingetrübt”, sagt sie. 2018 hat sie zwei Wochen beim Aufbau geholfen, ihr Camp war in der Nähe des Dixi-Klos, in dem der Täter die Kamera installierte. Sie hat an einem Projekt mitgebaut, von dem sie heute weiß: der Täter war am benachbarten Projekt beteiligt, zwei Wochen lang, wenige Meter entfernt. Jetzt ist sie froh, dass sie sich an sein Gesicht nicht mehr erinnert.

Transfomative Justice und Täterschutz

Noch am Erscheinungstag der Video-Reportage erschien auf der Facebook-Seite von Monis Rache ein Post. Statt sich vom bereits zu diesem Zeitpunkt identifizierten Täter zu distanzieren, ihre Solidarität mit den Betroffenen auszusprechen oder sie an eine Beratungsstelle zu vermitteln, beklagten die Autor*innen ihre eigene Überforderung. Daraufhin hagelte es in den Kommentarspalten Kritik. Das Festival distanzierte sich einen Monat später in einem ausführlichen Statement von den Verfasser*innen, die Teil der sogenannten „Erst-Kontakt-Gruppe“ (EKG) waren: „Das erste Posting auf FB und unserer Website wurde im Alleingang von Einzelpersonen in Panik verfasst, um überhaupt auf die für uns überraschende Veröffentlichung der Doku zu reagieren”, heißt es dort. In diesem Statement finden sich schließlich auch die bis dahin fehlenden Solidaritätsbekundungen, Informationen zum Tathergang, Kontakte zu Beratungsstellen und die eine oder andere Entschuldigung. Anders als die Vollversammlung hatte die EKG schon im Herbst von den Vorfällen erfahren – direkt durch die Journalistin der STRG_F-Doku.

Bis kurz vor der Veröffentlichung verschwieg die EKG dem Rest der Festivalcrew ihr Wissen – um sich später darauf zu berufen, das Konzept der „transformative justice“ angewandt zu haben. Ein Ziel des Konzeptes sieht einen selbstorganisierten Prozess der Verantwortungsübernahme durch den Täter und sein Umfeld vor. Noch grundlegender ist jedoch, einen Prozess zur Unterstützung und zum Einbeziehen der Wünsche und Bedürfnisse der Betroffenen einzuleiten. Doch genau hier machte die EKG den wohl gröbsten Fehler: sie konzentrierten sich ganz auf die Auseinandersetzung mit dem Täter. Sei es nun aus Unwissen, Überforderung oder eigener Betroffenheit – die EKG verzichtete darauf, die Betroffenen und das Umfeld – also den Rest der Crew mit einzubeziehen. Der Backlash folgte in Gestalt einer heftigen Beschuldigung: Täterschutz.

Die Funk-Reportage deckte auf, dass auch linke Räume keine vollständigen Safe Spaces sein können. (Foto: Danilo Rößger)

„Man darf Monis Rache kritisches Feedback geben, aber man kann sie nicht für die eigentliche Gewalt verantwortlich machen”, sagt Lewamm ‘Lu’ Ghebremariam. Lu ist im Vorstand der Clubcommission und Zuständige für den Bereich Awareness, Diversity und diskriminierungssensible Türpolitik. Sie findet es falsch, die Schuld bei Veranstalter*innen zu suchen. Sowohl Monis Rache als auch die Fusion hatten Awarenesskonzepte, beide Festivals gehören einer Club- und Musikkultur an, die sich durch „solidarische, sichere und sexpositive Orte” auszeichnet, so Lu, und fügt aus eigener Erfahrung hinzu: „Du erwartest das an solchen Orten einfach nicht, an denen du dich sonst auch knapp bekleidet sicher fühlst”.

Lu sieht den Fehler in der Politik, im Rechtssystem. Nach § 201a im Strafgesetzbuch gilt die Tat als „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen”. „Was Rechtsprechung und Gesellschaft ignorieren, ist aber, dass es hier um Fragen nach sexueller Selbstbestimmung geht”, analysiert Lu: „Das ist kein Kavaliersdelikt”. Auch Beraterin Morgenroth fordert deshalb öffentlichen Druck auf Justiz und Regierung: „Diese neue Form der Gewalt muss mehr Beachtung finden”.

Täter aus der „offenen, ach so linken Bubble”

In der Berliner Clubszene dagegen sei das Thema Awareness längst angekommen, berichtet Lu: „Clubs übernehmen auch gesellschaftliche Verantwortung”, die meisten „akzeptieren keine Form der Diskriminierung”. Umso fassungsloser und betroffener waren deshalb auch die Reaktionen im Verband der Berliner Clubs, erzählt das Vorstandsmitglied. Denn auch das ist das (vermeintlich) Neue an den Vorfällen von Monis Rache: der Täter kam aus den Reihen der Organisator*innen, jemand mitten aus „unserer awaren, offenen, ach so linken Bubble”.

Seit 2017 gibt es den Arbeitskreis Awareness & Diversity, seit 2018 seien die Anfragen um Awareness-Trainings an die Clubcommission exponentiell gestiegen, berichtet Lu. Gemeinsam mit dem Musicboard will der Verband in diesem Jahr die Awareness-Akademie starten: Beteiligte aus der Berliner Szene sollen dort Standards erarbeiten, mit denen sich alle Clubs identifizieren können. „Ich kann nur appellieren, Teil dieses Verbands zu werden und das Thema ernst zu nehmen”, so Lu.

Festivalbesucherin Helen B. hat sich dagegen entschieden, auf Monis Rache wütend zu sein. Sie will auch keine Strafanzeige stellen. Denn es gehe ihr nicht um Schuld oder den Fingerzeig auf Einzeltäter. „Ich will die Betroffenen-Solidarisierung stärken und in die Zukunft blicken”, sagt sie. In Berlin, Hamburg, Dresden und weiteren Städten gab es neben Treffen von Betroffenen auch Treffen zum weiteren kollektiven Umgang mit sexualisierter Gewalt innerhalb der Szene. Gefunden haben sich die, die nun aktiv werden wollen, vor allem über Telegram-Gruppen. Weitere Treffen sollen folgen. Bundesweit arbeiten bereits Plattformen wie das Transformative Justice Kollektiv Berlin daran, „selbstorganisierte und kollektive Verantwortungsübernahme” bei sexualisierter Gewalt zu stärken, so heißt es auf der Homepage. Helen B. will langfristige Veränderung: „Mein Wunsch wäre, dass sich Leute nicht einschüchtern lassen”.

Denn traumatisierende Erfahrungen durch sexualisierte Gewalt können dazu führen, dass sich die Opfer aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Dieser Mechanismus wirkt auch bei digitaler Gewalt, erklärt Ans Hartmann. Die Vorfälle bei Monis Rache und der Fusion könnten deshalb schlimmstenfalls auf doppelte Weise wirken: einerseits, indem sich potenziell Betroffene aus Angst, heimlich gefilmt zu werden von den Festivals zurückziehen und andererseits durch die Verbreitung der Videos im Netz auch aus der digitalen Sphäre. „Die Trennung von analoger und digitaler Gewalt funktioniert nicht, weil sie sich gegenseitig bedingen”, sagt Hartmann. Stattdessen sind die Vorfälle „Ausdruck einer Gesellschaft, die auf patriarchalen Mustern beruht” und in der nach wie vor gilt: „der Körper einer Frau muss immer verfügbar sein”, weiß auch Beraterin Morgenroth.

Awareness-Konzepte sind ein Mittel, um akut reagieren zu können – langfristig müssten sie aber überflüssig gemacht werden. (Foto: Danilo Rößger)

Schärfere Kontrollen sind nicht das Allheilmittel

Nicht nur die gesellschaftliche Komponente macht es schwer, komplette Sicherheit zu versprechen. Selbst wenn Veranstaltende ausreichend Personal dafür abstellen könnten: mit umfassender Überwachung auf heimliches Filmen zu reagieren, wäre nicht im Sinne dessen, was Festivals darstellen wollen. Und trotzdem – Teams, die regelmäßig die Sanitäranlagen nach Kameras untersuchen, könnten eine Maßnahme sein, die zumindest für Abschreckung sorgt. So will etwa das 3000° Festival vorgehen, wie es auf Anfrage mitteilte. Auch das Feel Festival plant Kontrollen, erzählt Mitarbeiterin Kira Taige. Man wolle sich aber auch mit Punkten beschäftigen, die im Notfall schnelles Handeln ermöglichen: „Wie reagieren wir in möglichen Gewaltsituationen? Die jeweiligen Optionen müssen außerdem mit den Betroffenen abgestimmt werden”. Deswegen werde das Festival externe Organisationen zurate ziehen, um sich auch intern in Awareness-Fragen zu schulen.

Zudem können Festivals und Clubs Räume zur Verfügung stellen, in die sich Betroffene zurückziehen und Unterstützung finden können. Ebenso gehört zu einem umfassenden Awareness-Konzept, Sichtbarkeit für das Problem zu schaffen. Etwa indem es überall Ansprechpersonen und Hinweise gibt. Zusätzlich sollten Veranstaltende das Gelände im Hinblick auf dunkle Ecken und unsichere Orte durchdenken, schlägt Helen B. vor. Sie findet: Awareness-Konzepte sind ein Mittel, um akut reagieren zu können. Es müsse aber darum gehen, sie „langfristig überflüssig zu machen”. Es sei an allen Beteiligten, in den Spiegel zu blicken. Die eigenen Verhaltensweisen, aber auch problematisches Verhalten in der Szene aufmerksam zu beobachten. Zu fragen, wer in der Organisation welche Rolle einnimmt und welche Hierarchien das Team bestimmen. „Das würde meine gefühlte Sicherheit mehr steigern, als wenn alle Klos durchsucht werden”, bemerkt sie.

Beide Festivals, von denen die Spannervideos stammen, haben Konsequenzen angekündigt. So will die Fusion sich „in den Vorbereitungen des Fusion-Festivals 2020 intensiv mit diesen – für uns neuartigen – sexualisierten Übergriffen auseinandersetzen und in Zusammenarbeit mit den einzelnen Gruppen, insbesondere aus dem Sanitär- und Hygienebereich, mögliche Vorsichtsmaßnahmen diskutieren, um zu prüfen, was zum kommenden Festival praktisch und sinnvoll umgesetzt werden kann”. Monis Rache wird in diesem Jahr aufgrund der Vorfälle nicht stattfinden.

Die Vorfälle von Monis Rache sind deshalb besonders, weil sie digitale sexualisierte Gewalt in einer Szene zeigen, die sich ihrer sicher war. Wie alle Formen sexualisierter Gewalt machen sie aber auch den gesellschaftlichen Nährboden sichtbar, der sie bedingt. Denn der Angriff auf die Freiheit zur körperlichen Selbstbestimmung ist auch ein Angriff auf die Bestrebung, eine Welt ohne Hierarchien, Diskriminierung und geschlechtsspezifische Gewalt schaffen zu wollen. Darum gehen die Konsequenzen Betreibende, Besucher*innen, Betroffene und Nicht-Betroffene an. Damit in Zukunft alle entspannt feiern können.

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