Die Cellistin Rebecca Foon fungiert seit mehr als 20 Jahren als Herz und Angelpunkt diverser orchestraler Post-Rock-Projekte in Montréal. Solo praktiziert sie als Saltland fast ebenso opulenten Postrock, zu ungefähr gleichen Teilen in instrumentalen Eher-Tracks mit dem elektrisch verstärkten Cello als Zentrum und in reduzierterer Form in Eher-Songs mit ihrer durchaus ausdrucksstarken Stimme als wichtigstem Instrument. Für Waxing Moon (Constellation), erstmals unter ihrem eigenen Namen erschienen, hat sie diese musikalischen Sphären noch weiter reduziert und eingedampft zu ätherischen Folk-Pop Balladen, sparsamst begleitet von Piano oder akustischer Gitarre. Das Cello setzt, mit subtil eingesetztem digitalen Soundprocessing, nur noch vereinzelte atmosphärische Akzente. Als Sound digital und archaisch zugleich, charakterlich vielleicht gar nicht so weit weg von den modern-archaischen Drones der weiter oben erwähnten Golem Mecanique, nur eben nicht in Elektroakustik, sondern als Indie-Pop.

Der Berliner Jan Wagner ist als Songwriter und Musiker vielleicht nicht so bekannt, in der hiesigen elektronischen Musikszene aber dennoch eine feste Größe als Toningenieur und am Mischpult. Sein zweites Soloalbum Kapitel (Quiet Love, 20. März) fußt im Klang des Piano, dessen Klänge er aber digital verrauscht, in ambienten Flächen auflöst oder mal zu Postrock verdichtet. Die Stücke sind jedenfalls kaum noch als typische Piano-Neoklassik verstehbar, was durchaus eine richtig gute Sache ist.
Und im tollen Ambient-Pop von „Kapitel 30” mit Rosa Anschütz am Mikrofon kommt er der traumsicheren Schwebearbeit Foons sogar ziemlich nahe.

Der gelernte Jazzpianist Philipp Rumsch überschreitet mit dem Philipp Rumsch Ensemble ebenfalls die Limitierungen des Klavierklangs. Rumsch macht das einerseits wie Wagner mittels elektronischer Verfremdung sowie den Möglichkeiten seines höchst diskret eingesetzten zwölfköpfigen Orchesters, das sich aus Musikern aus dem Osten Deutschlands zusammensetzt. Auf ihrem zweiten Album µ: of anxiety x discernment (Denovali, 27. März) spielen selten mehr als zwei oder drei Instrumente gleichzeitig. Das ermöglicht dem Ensemble das Abtasten einer weit verzweigten Soundlandschaft, die doch immer einen minimalistischen Charakter behält, gerne im Sinne der Miminal Music von Terry Riley oder Steve Reich. Zudem spielen noch hoch- oder runtergepitchte und zerhackte Stimmsamples eine entscheidende Rolle.

Stream: Rebecca Foon – „Vessels”

Der britische Soundtrack-Komponist Max de Wardener untersucht mit seiner Music for Detuned Pianos (Village Green, 20. März) den zumindest in der üblichen Neoklassik eher selten verfolgten Aspekt einer erstaunlich harmonischen Selbstorganisation der Saiten. Ein verstimmtes oder komplett ungestimmtes Piano tendiert, wenn es nur lang genug in diesem Zustand gespielt wird, dazu, sich in einen metastabilen Zustand zu versetzen, der leicht schräg, aber ziemlich erträglich klingt. Ein Effekt, der bei Instrumenten wie der Harfe ebenso auftritt und den zum Beispiel LEYA sehr effektiv zu nutzen wissen (etwa in ihrer Kollaboration mit Eartheater, siehe Motherboard vom Januar). Das passiert ebenfalls, wenn das Piano in unübliche nichtwestliche oder archaische Stimmungen gesetzt wird, was die vom Jazzer Kit Downes eingespielten Stücke de Wardeners zu einer permanenten technischen und klanglichen Herausforderung macht. Diese klingt letztlich aber doch sehr angenehm und erstaunlich glatt. Ein Klavier beibt eben immer Klavier.

Und so richtig hübsch (und normal) wird das Piano bei Mirek Coutigny. Die ausgewogene Mischung aus Pop, Postrock und Neoklassik auf dem Debüt des Belgiers The Further We Ventured (Vynilla Vinyl/Icarus Records) macht eigentlich alles richtig und wird wohl ziemlich schnell ziemlich bekannt werden. Was ich ohne Häme oder Sarkasmus für total in Ordnung halte.

Genau wie die grundsympathische Klavierarbeit von Henning Schmiedt, der mit Schlafen (FLAU) bereits das zweite Album in wenigen Monaten nachlegt. Wenn die flauschigen Melodie-Schäfchen über die besonders niedrig gelegten weichen Zäune in die Traumwelt springen, erledigt sich jeder Anflug von Zynismus von selbst. Das ist gute Musik von einem netten Menschen.

Der Japaner Leo Takami ist Gitarrist und kommt nicht aus Pop oder Neoklassik, sondern vom Jazz. Ansonsten aber gilt für sein Album Felis Catus & Silence (Unseen Worlds) das eben Gesagte ganz genauso. Ambient alter Schule gewordene Freundlichkeit, mit der Fingerfertigkeit eines versierten Alt-Jazzers eingespielt.

Video: Mirek Coutigny – „Positive Loops”

Und dass Neoklassik und Fusion-Jazz gleichzeitig schön, disruptiv und fordernd interpretiert werden können, demonstrieren die beiden Japaner Seigen Tokuzawa & Masaki Hayashi auf Drift (FLAU, 4. März). Was die beiden zwischen Piano und Cello, zwischen recht freier Improvisation, Penguin-Café-artiger Fusion-Komposition und Brian Eno oder Harold Budd’schem Ambient alter Schule möglich machen, ist großes Kino, eine Klasse für sich. Und ja, das was hier folgt, ist tatsächlich ein Cover des ultrahibbeligen IDM-Klassikers von Squarepusher.

Video: Seigen Tokuzawa & Masaki Hayashi – „Iambic 9 Poetry (live)”

Wo wir bei gerade bei angenehmen Menschen waren: Will Long alias Celer hat endlich wieder von sich hören lassen und mit Continents, Scols und Future Predictions (alle: Two Acorns) ein paar der markantesten seiner Arbeiten der vergangenen Jahre endlich wieder zugänglich gemacht.

Michael Vallera aus Chicago findet auf Window In (Denovali, 27. März) erstmalig zu einer inneren Ruhe und Ausgeglichenheit, die mit der Will Longs vergleichbar ist. Die vier langen Drone-Stücke geben die Bauelemente ihrer Herstellung nicht mehr preis. Zu feinkörnig sind die Samples und Gitarrenloops vermahlen, zu dicht in einem steten Strom verwirbelt. Es ist wohl Reibungswärme, die die Schönheit dieser Klänge ausmacht.

Stream: Michael Vallera – „Deep Sleeping Exit” 

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