Der Japaner Teruyuki Kurihara ist ein Globalist, ein weltweit gereistes Mehrfachtalent. Mit seinen minimalistisch-psychedelischen Grafiken hat er zum Beispiel den Look des britischen House-Labels Holic Trax mitgestaltet und sich unter dem wenig markanten Pseudonym Cherry an Breakbeat, Techno, Trance und IDM abgearbeitet. In den selteneren Veröffentlichungen unter seinem japanischen Eigennamen sind diese Einflüsse etwas in den Hintergrund verbannt, aber definitiv immer noch spürbar. Frozen Dust (Mille Plateaux) kontrastiert so ausladende Knister-Ambient Stücke mit extratrockenen Breakbeats, verlangsamtem Drum’n’Bass und hibbeligem Sample-Glitch zwischen Tim Hecker, Oval und Jan Jelineks Farben – also immer mit deutlichem Neunziger-Nachgeschmack.

Dieser harmoniert hervorragend mit der EP Return To Cascada (Planet Mu) des Schotten Konx-Om-Pax. Die Remixe und Versionen von Tracks seines tollen Albums Ways of Seeing im vergangenen Jahr (Motherboard berichtete) diversifizieren den neu gefundenen Club-affinen Sound von Tom Scholefield noch weiter in Richtung Breakbeat (der große Skee-Mask-Remix), Neo-Trance und Tech-House in gut.

Dieser findet sich auf den Nord Noir Remixes (Infinè, 6. März) des tollen Debüts von Toh Imago (Motherboard berichtete). Der kanadische Berliner Nathan Micay, der hier ein wenig nach seinem britischen Vornamens-Vetter Nathan Fake klingt, hat aus dem Stück „La Napoule” ein tranciges Brettchen in epischer Perfektion gedrechselt. Fast noch besser die „Saint Barbe”-Bearbeitung von Rroxymore, die die regenverhangene Dunkelheit des Originals in dunklen Electro mit unerwarteten Abzweigungen treibt.

Daran wiederum lässt sich wunderbar die jüngste EP Downfall (Nerang Recordings) der Berliner Produzentin Elina Shorokhova alias Soela anhängen. Wie schon ihre tolle Lily EP für Kompakt im vergangenen Jahr zeigte, kann sie schwelgerischen Ambient-House und supermelodische Electronica mit Electro-Bounce so lässig und sonnenwarm zusammenschmelzen wie niemand sonst zurzeit.

Höchstens vielleicht Livia Borzetti. Die in Berlin lebende Produzentin agiert als Key Clef allerdings deutlich handfester. Die EP Mental Groove (Ipnotica Erotica, 27. März) auf ihrem neuen Label nimmt sich die Wucht des guten alten Electro-Bounce Detroiter Provenienz und gibt ihm ein zeitgenössisches Sounddesign, einen eleganten Samthandschuh aus Electronica und Ambient, in dem eine Roboterhand steckt, die mächtig zupacken kann.

Video: Key Clef – „Isometric Sequencing”

Der Kölner Produzent und Labelbetreiber Alex Ketzer hat auf デモテープ [Demotēpu] (Noorden, 13. März) japanische Begriffe vertont, für die es in den westlichen Sprachen keine direkten Äquivalente gibt. Der bekannteste davon ist wohl „Komorebi”: Sonnenlicht, das, durch das Blätterwerk von Bäumen gefiltert, in Streifen und Punkten auf dem Waldboden irrlichtert. Eine der schönsten und naheliegendsten Metaphern für Ambient-Klänge überhaupt. Aber auch eher situative Wörter wie „Irusu”, vorzugeben, nicht zu Hause zu sein, wenn es an der Tür klingelt, haben einen speziellen Charme. Musikalisch umgesetzt hat Ketzer das in warmen, weichen Techno, der gerne mal ungerade Beats haben darf, von Electro über Electronica zu Dubstep und vom Vintage-Sound eines alten Fender Rhodes noch zusätzlich veredelt wird.

Bastian Epple, holt als MinaeMinae seine ungeraden Loops ebenfalls aus edler Vintage-Hardware, Modular-Racks in diesem Fall. Gestrüpp (Marionette), zweites Album des süddeutschen Teilzeit-Synthesizerexperten, eiert und dengelt sich polyrhythmisch entlang metallischer Lo-Fi-Loops die eine immense Körperlichkeit entwickeln. Ein roher Minimalismus, der an Stefan Schwanders Tiki-Techno-Projekt Harmonious Thelonious erinnert.

Das Berliner-Münchner Trio Saroos setzt sich aus Mitgliedern der Lokalszene der bayerischen Provinzstädtchen Weilheim und Landsberg in den frühen Neunzigern zusammen. Ein Zusammenhang, der bis heute wirksam blieb und sich in prominenten Pop-Bands wie The Notwist oder Lali Puna, bei Indie-Elektronikern wie Console oder dem Tied & Tickled Trio sowie in wagemutigeren Projekten wie etwa Driftmachine manifestierte. Die Saroos-Mitglieder spiel(t)en in all den genannten Bands und noch in einigen mehr. Es handelt sich also durchweg um gesetzte Profis, die nichts mehr beweisen müssen und sich leisten können, frei und locker aufzuspielen. So ist der Aspekt des Experimentellen auf dem Album OLU und der Vorab-Single Cord Burn (beide: Alien Transistor, 6. März) zugunsten verspielter Lässigkeit suspendiert. Postrock und Instrumental-Hip-Hop mit Samples von Flohmarkt-Plattenfunden, die gelegentlich Modulargebrumm unterläuft. Aber immer schön locker geblieben. Passt scho.

Video: Saroos – „Cord Burn Pt. 1, 2 & 3”

Wenn Postrock auf Electronica auf neoklassisch-akustische Instrumentierung trifft, werden die musikalischen Emotionen gerne mal cinematisch breitwandig. Die Musik des Polen Michal Jacaszek bewegt sich seit 20 Jahren in diesem Spannungsfeld, echte Soundtracks hat er aber in der Zeit eher wenige gemacht. Music For Film (Gusstaff/Ghostly International) sammelt nun diese Stücke, und es ist tatsächlich ein grandioses Best Of geworden. Denn was Jacaszeks Musik von Beginn an auszeichnete, ist eine barocke Melancholie, die immerwährende schmerzliche Gegenwart der Vergänglichkeit im Schönen. Die Neoklassik ist ihm mürbe geworden, zerbrechlich, von einer papierdünnen Haut der schroffen Realität entrückt. Pathos und Zärtlichkeit sind selten so innige Bettgenossen wie hier.

Einsamkeit, Verlust und Erinnerung sind ebenso starke Präsenzen im Werk des US-Amerikaners Jeremiah J. Carter. Er setzt sie ähnlich wie Jacaszek in fragile, immer leicht morbide Ambient-Soundscapes, in denen er die vorwiegend akustische Instrumentierung einer ganz leichten digitalen Alterung unterwirft. Die resultierenden Drone-Ambient-Stücke gewinnen so eine Verbindlichkeit und emotionale Intensität, die der üblichen Neoklassik, obwohl oft ähnlich hergestellt, doch meist fehlt. Rejoice! und die begleitenden Reworks (beide: A Sunken Mall, 13. März) sind jedenfalls tieftraurige Kleinode. Lobend erwähnen möchte ich noch, dass das Album auf Vinyl erscheint, auf einem neuen White-Label-Outfit des Berliner Labels Vaagner und zeitgleich beim den renommierten Kassetten-Spezialisten Opal Tapes.

Auf Hidden in Kaoris Castle (-OUS, 20. März) baut die innige Interaktion von frei improvisiertem Cello und disruptiver Elektronik der beiden Schweizer*innen Sara Oswald & Feldermelder eine ähnlich spannungsgeladene wie triste Atmosphäre auf, die immer wieder heftiges Geräusch austestet, doch nie durchbricht. So entstehen Klangräume, die gleichermaßen robust wie fragil wirken.

Video: Jacaszek – „November OST Ending”

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