Caribou Fotos: Thomas Numm / Press
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Caribou ist einer der wenigen Popstars, die der elektronische Underground hervorgebracht hat, ohne sich im Zuge dessen von ihm abzugrenzen. Durch die intelligente Verknüpfung organischer Sounds mit elektronischen Dance-Beats und eingängigen Hooks kreierte der gebürtige Kanadier Dan Snaith, der auch unter dem DJ-Alias Daphni auflegt und produziert, seinen unverkennbaren Signature Sound. Dieser bescherte ihm mit Swim 2010 seinen Durchbruch und katapultierte ihn mal eben ins Vorprogramm von Radiohead. Spätestens da war klar, dass sich auf Caribou sowohl Indiekids als auch popaffine Raver*innen auf dem Dancefloor einigen können – eine symptomatische Entwicklung innerhalb der Szene Anfang der 2010er Jahre in London, mit der Snaith den Nerv der Zeit traf.
Dabei erscheint Swim im Rückblick auch Caribou selbst als sehr viel weirder und sperriger als etwa das Nachfolgealbum Our Love, mit dessen Über-Hymne „Can’t Do Without You“ er 2014 alle Hands-in-the-air-Sonnenuntergang-Momente des damaligen Festivalsommers für sich gepachtet hatte. Beim Interview mit Dan Snaith in einem Hinterhof-Office in Berlin-Neukölln bezeichnet er Our Love als „Album für die Fans” und als die „stromlinienförmigste, polierteste, poppigste Musik”, die er jemals produziert hat – und wahrscheinlich auch jemals produzieren wird.
Er hat Wort gehalten: Mit seinem neuesten Album Suddenly hat Caribou sich bewusst dagegen entschieden, die eigenen Ecken und Kanten zu schleifen. Ob Rave, Euro Dance, Trap, R’n’B, Gospel oder House – die eklektischen Einflüsse des Albums, dem nicht weniger als 900 Song-Skizzen zugrunde liegen, lassen sich unmöglich auf einen Punkt festnageln. Umso erstaunlicher, dass daraus doch ein kohärentes Werk entstehen konnte – findet auch Snaith selbst. Ein Gespräch über plötzliche Lebensveränderungen und #MeToo, XXXtentacion und Stagnation in der Techno-Szene – und die heilsame Rückkehr zur eigenen Exzentrik.
Vor fünf Jahren erschien dein letztes Caribou-Album Our Love, gefolgt von Joli Mai unter deinem Daphni-Alias 2017. Wann hast du angefangen, die ersten Ideen für Suddenly zu sammeln?
Eigentlich habe ich direkt 2015, im Jahr nach der Veröffentlichung von Our Love, begonnen, kleine Ideen für dieses Album aufzuschreiben. Mit Daphni ist der Prozess ganz anders, da produziere ich ja funktionale Tanzmusik für meine eigenen DJ-Sets oder für die von Freund*innen. Caribou ist allumfassender, diese Platten sind der Grund, weshalb ich überhaupt Musik mache.
Also bist du durchgehend am Produzieren?
Fast – ich mache nur keine Musik, wenn ich auf Tour bin. Das fand ich immer schon schwierig. Ich mag es, voll und ganz in meine Studioarbeit einzutauchen. Die Tour ist meine Auszeit vom Produzieren. Da bin ich draußen unter Leuten, spiele meine Musik und bereise die Welt. Danach bin ich dann aber auch wieder bereit, ins Studio zu gehen. Im Moment befinde ich mich allerdings im umgekehrten Extrem. Ich hatte diese ewig lange Zeit im Studio. Alles, was ich jetzt tun möchte, ist rausgehen, meine Musik spielen und mit Leuten über die Platte reden.
„Ich möchte nicht eine dieser Bands sein, bei der die Leute nur die Songs von vor 20 Jahren hören wollen. Dagegen bin ich echt allergisch!“
Tatsächlich scheinst du dir eine längere Bühnenpause verordnet zu haben: 2018 gab es keine Caribou-Shows, 2019 nur einige wenige. Hast du dich bewusst dazu entschieden, in der Zwischenzeit nicht live zu spielen?
Ich habe hier und da ein paar DJ-Gigs als Daphni gespielt. Im Bezug auf Caribou und die Live-Shows mit der Band dachte ich aber: „Wir spielen jetzt seit vier Jahren dasselbe Set!” Ich möchte mit etwas Neuem zurückkommen, ich habe noch genug neue Ideen. Ich habe einen Deal mit mir selbst geschlossen, dass ich musikalisch nicht auf der Stelle treten will oder das Gefühl haben darf, dass das neue Album nicht so gut ist wie die alten Sachen. Ich möchte nicht eine dieser Bands sein, bei der die Leute nur die Songs von vor 20 Jahren hören wollen. Dagegen bin ich echt allergisch! Andererseits, wenn man sich Musiker*innen anschaut, die schon lange im Business sind…
…wie die Pet Shop Boys zum Beispiel, die haben gerade ihr 14. Album veröffentlicht!
Ja, genau! Und welches Lied wollen die Fans auf den Konzerten hören? „West End Girls” wahrscheinlich. Die wenigsten Fans wollen doch, dass sie ihre Songs aus dem letzten Jahr spielen. Dagegen kämpfe ich endlos an! Das ist der Hauptgrund, warum ich fünf Jahre für ein Album brauche, weil ich konstant denke, dass das Ergebnis noch nicht gut genug ist. Ich muss den Fuß immer auf dem Gaspedal halten, um jedes Mal etwas Neues und Interessantes zu machen. Ich schätze mich sehr glücklich, dass ich seit 20 Jahren Musik mache und die Leute immer noch meine neuen Sachen hören wollen – zumindest war das beim letzten Album so.
Dann sprechen wir doch mal über dein neues Album: Bei Swim ging es um Herzschmerz und gescheiterte Beziehungen, während Our Love offensichtlich von Liebe und der damit verbundenen Euphorie handelte. Gab es bei Suddenly auch eine Art Überthema, oder denkst du nicht in solchen Kategorien?
Ich sehe es schon so, ja. Aber ich habe natürlich eine ganz eigene Perspektive darauf. In Our Love ging es um Euphorie. Einerseits musikalisch – ich fand ein neues Publikum und spielte plötzlich vor viel größeren Menschenmengen –, andererseits auch persönlich, weil mein erstes Kind geboren wurde und die ganze Welt plötzlich neu erschien. Eine sehr optimistische, naiv-euphorische Zeit. Suddenly ist wahrscheinlich typisch für die Lebensphase, in der ich mich gerade befinde. Meine Eltern werden bald 80, ich habe selbst kleine Kinder. Und dann gab es diese plötzlichen Veränderungen in meiner Familie, weshalb das Album auch Suddenly heißt. Ereignisse, die das Fundament unserer ganzen Familie erschüttert haben. Plötzliche Todesfälle durch Herzinfarkte, bei denen die Menschen im einen Moment vollkommen gesund wirken und im nächsten verschwunden sind. Gesundheitliche Krisen bei meinen Eltern. Eine Scheidung in der Familie. Meine zweite Tochter wurde auf dem Weg zum Krankenhaus im Auto geboren, das war auch nicht so geplant…
Wow, das klingt in der Tat ziemlich „plötzlich”!
Jap. All diese Dinge. Immer wenn ich jetzt über das Album spreche, erinnert es mich daran, was das für eine harte Zeit war – für mich und meine ganze Familie. Plötzlich fand ich mich in dieser neuen Rolle wieder. Ich bin das jüngste Kind, meine Frau ist auch das jüngste Kind in ihrer Familie, das heißt, alle haben sich immer um uns gekümmert. Wir waren die Babys – obwohl ich mittlerweile 41 bin. Und auf einmal – suddenly sozusagen – haben sich die Dinge verschoben. Wir müssen uns jetzt um unsere Eltern kümmern, um unsere älteren Geschwister, die auch eine schwierige Phase durchgemacht haben. Wenn ich mir das Album anhöre, dann höre ich das alles heraus.
„Die Dinge, die ich erlebt habe, betreffen jede*n irgendwann einmal, wir können uns davor nicht verstecken. Ich hatte bislang einfach Glück, dass ich so unbeschwert leben konnte.“
Ich höre mein eigenes Bemühen, aus diesen schwierigen Erfahrungen etwas Positives, Tröstendes und Beruhigendes kreieren zu wollen. Sowohl für die Menschen um mich herum, als auch für mich selber. Musik ist wie Therapie für mich, eine Art, Dinge zu reflektieren und daraus etwas Neues entstehen zu lassen. Die Dinge, die ich erlebt habe, betreffen jede*n irgendwann einmal, wir können uns davor nicht verstecken. Ich hatte bislang einfach Glück, dass ich so unbeschwert leben konnte.
Tatsächlich wirkt der erste Song „Sister” als würdest du aus einer älteren, weiseren Perspektive heraus sprechen und deinen Geschwistern Ratschläge erteilen. Geht es hier um deine echte Schwester?
„Sister” war tatsächlich das letzte Lied des Albums, das ich geschrieben habe. Der Rest des Albums war eigentlich fertig, aber ich hatte das Gefühl, dass noch ein Opener fehlt. Auf „Sister” verwende ich den selben Synthesizer wie beim letzten Track „Cloud Song”. Das ist also ein musikalischer Rahmen, wenn man konzeptionell denkt. Dann fing ich an, darüber zu singen und irgendwie kam das Wort „Sister” heraus. Ich habe zwei Schwestern, außerdem zwei Töchter, ich war in meiner Familie schon immer von Frauen umgeben.
Als ich anfing, den Songtext zu schreiben, wurde mir klar, dass ich über einen anderen radikalen Umbruch in unserer Gesellschaft schrieb, der sich auch in den letzten fünf Jahren ereignet hatte. Ich dachte über die #MeToo-Bewegung nach und darüber, wie sie mich und meine Wahrnehmung der Welt erschüttert hat. Abgesehen von den großen Medienskandalen auch in meinem Umfeld – mein Social-Media-Feed war plötzlich voll von Freundinnen und Bekannten, die über ihre eigenen Erfahrungen mit männlicher Gewalt sprachen. Natürlich wusste ich, dass das in unserer Gesellschaft existiert. Aber ich hatte keine Ahnung, wie allgegenwärtig es ist. Jede Frau, alle meine Freundinnen hatten eine Geschichte zu erzählen. Das hat mich erschüttert.
„Auch Männer, die nicht an sich Teil des Problems sind, müssen Teil der Lösung sein, wenn es darum geht, diese Kultur zu verändern.“
Darüber hinaus gab es zwei Leute in der Musikindustrie, mit denen ich nicht direkt befreundet war, aber die ich kannte und über die ich dachte: „Die sind echt nett und gute Menschen!” Und diese beiden Personen tauchten als wiederholte Sexualstraftäter in der Musikpresse auf! Das erschütterte mein Vertrauen in die Welt und auch in meine Menschenkenntnis. Ich bin Optimist, aber diese ganze Debatte war ein harter Reality-Check für mich. Und darum geht es in „Sister”. Abgesehen von meiner tatsächlichen Schwester oder meinen Töchtern, meine ich mit „Sister” Frauen allgemein und mit „Brother” die Männer, die jetzt Verantwortung übernehmen müssen. Auch Männer, die nicht an sich Teil des Problems sind, müssen Teil der Lösung sein, wenn es darum geht, diese Kultur zu verändern.
Das passt auch gut zu „Home”: Der Song basiert auf einem Gospel-Sample von Gloria Barnes, in dem sie darüber singt, dass sie zu Hause auf ihren Mann wartet. Du hast in deinen Lyrics einen Twist eingebaut und singst: „She does just what she pleases, ‘cause she’s happy on her own, she picks up all the pieces, she’s going home.” Wolltest du die Geschichten unabhängiger Frauen auf deinem Album hervorheben?
Frauen, die sich aus toxischen Beziehungen befreien, sind sowohl gesellschaftlich ein großes Thema als auch in meinem eigenen Leben. Es gibt dazu zwei verschiedene Geschichten auf dem Album. „Home” handelt von einer Freundin, die, nachdem sie ihren Partner verlassen hatte, wieder zu sich selbst fand. „New Jade” handelt von einer Scheidung in meiner Familie. Diese persönlichen Erlebnisse haben sich für mich auch auf einer gesellschaftlichen Ebene relevant angefühlt.
„Home” war die erste Singleauskopplung. Ähnlich wie „Can’t Do Without You”, die erste Single von Our Love, ist auch „Home” sehr poppig und sticht auf dem Album soundmäßig ziemlich hervor. Wie fügt sich „Home” in den Albenkontext von Suddenly ein?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich darauf eine Antwort habe. Ich habe all diese Musik für das Album produziert und dachte nachher: „Wow, das ist alles so unterschiedlich!” Ich habe mich tatsächlich gefragt, ob ich das überhaupt zu einem Album zusammenfügen kann. Als ich die Songs aber am Schluss in eine Reihenfolge brachte und sie zum ersten Mal in einem Rutsch durchhörte, war ich dann doch überrascht, wie gut sie zusammenpassen. Auf eine komische, nicht ganz offensichtliche Weise sind sie alle Teile des gleichen Puzzles. Als wir mit dem Label über die Singles diskutierten, war „Home” ein offensichtlicher Kandidat, weil der Song eingängig und nur zwei Minuten lang ist. Aber er repräsentiert das Album überhaupt nicht. Immer wenn wir uns gerade für einen Song entschieden hatten, sagte jemand: „Aber der lässt ja alles andere aus!” Das Album ist stilistisch sehr schwer zu fassen. Es passt irgendwie zusammen, aber ich weiß nicht warum.
Wo wir schon über die musikalischen Aspekte sprechen: Wie wichtig sind Samples für deine Musik? Auf Suddenly finden sich ja eine Menge davon.
Sampling war schon immer wichtig für die Art, wie ich über Musik denke. Ich bin mit Hip-Hop-Platten von A Tribe Called Quest, Wu-Tang-Clan, Madlib oder J Dilla aufgewachsen. Und noch heute interessieren mich Leute wie Kanye. Durch Sampling habe ich viel alte Musik entdeckt. Als ich auf dieses Sample von Gloria Barnes stieß, dachte ich: „Das schreit förmlich danach, geloopt und zu einem Instrumental der Hip-Hop-Ära zu werden!” Natürlich eignet man sich durch Sampling die Musik anderer an, da muss man vorsichtig sein und das macht es in gewisser Hinsicht auch problematisch.
Aber das Wunderbare am Sampling für Produzent*innen ist, dass es dich auf Wege führt, die du sonst niemals beschritten hättest. „Lime” ist zum Beispiel ein Stück, das sich auf halber Strecke so anfühlt, als würde sich der Boden öffnen und alles mit sich in den Abgrund reißen. Und am Ende kommt dieses Sample von einer alten Platte. Ich hätte nie erwartet, dass ich so etwas Verrücktes und Drastisches produzieren würde. Aber darauf kann ich dann aufbauen und es in einem neuen Kontext interpretieren.
„Mit Our Love hatte ich den Versuch, prägnanten Pop zu machen, für mich auf die Spitze getrieben. Deshalb wollte ich jetzt genau in die umgekehrte Richtung und mich wieder dem Seltsamen, Exzentrischen zuwenden.“
Tatsächlich wollte ich bei der Frage auf „Lime” hinaus. Der Track beginnt mit einer jazzigen Stimmung und baut sich dann über verfremdete Vocoder-Vocals auf, um schließlich in einem langsamen Folk-Tune zu enden, der entfernt an Arthur Russell erinnert. Forderst du deine Hörer*innen gerne heraus?
Ich liebe es, musikalisch herausgefordert zu werden, egal in welchem Genre. Für mich war Our Love die stromlinienförmigste, polierteste, poppigste Musik, die ich jemals machen werde. Ich wollte damit etwas für die Leute machen, die mich und meine Musik immer unterstützt haben. Ich wollte es so direkt und ansprechend wie möglich machen, quasi auf dem Silbertablett servieren.
Also wolltest du deinen Fans etwas zurückgeben, ihnen genau das liefern, was sie wollten?
Genau. Aber natürlich ohne das Gefühl zu haben, dass ich Kompromisse eingehen muss. Das Album wurde gut aufgenommen, wir spielten „Can’t Do Without You” bei Sonnenuntergängen auf Festivals. Genauso hatte ich mir das vorgestellt. Aber irgendwann hab ich mir die alten Tracks von Swim nochmal angehört und dachte: „Wow, die sind echt viel merkwürdiger, als ich sie in Erinnerung hatte”. Das war ja sozusagen mein Durchbruch-Album – und es war richtig weird! Ich habe damals überhaupt nicht versucht, gefällig zu sein. Mit Our Love hatte ich den Versuch, prägnanten Pop zu machen, für mich auf die Spitze getrieben. Deshalb wollte ich jetzt genau in die umgekehrte Richtung und mich wieder dem Seltsamen, Exzentrischen zuwenden.
War es also eher so, als würdest du wieder für dich selbst Musik machen, statt für andere?
Auf eine Art, ja. Ich meine, es ist nicht so, dass mir die Zuhörer*innen egal sind oder dass ich absichtlich versuche, obskur zu sein. Aber ich habe definitiv das Gefühl, dass es die Leute mögen, wenn meine Musik sehr nach „mir” klingt, mit allem Exzentrischen, das dazugehört. Das hat die Leute in der Vergangenheit ja auch nicht abgeschreckt. Deshalb wollte ich gerne wieder dahin zurückkehren.
Du hast vorhin Kanye West und Hip Hop erwähnt. Auf Suddenly benutzt du Autotune und zeitgenössische Rap-Elemente, wie den Part auf „Sunny’s Time”. Wie stehst du zu den aktuellen Entwicklungen in der Rap-Szene?
Rap ist die vorherrschende Popmusik unserer Zeit. US-Hip-Hop und R’n’B sind der Pop-Mainstream, seit ich erwachsen bin. Ich denke, es ist auch die Musik, in der sich musikalisch am meisten bewegt. Zwar hat irgendwie im Moment jeder große Hip-Hop-Song dieselbe 808-Kick-Drum-Bassline und dasselbe Hi-Hat-Pattern. Aber wenn man von diesen Elementen absieht und sich zeitgenössische Hip-Hop-Produktion anhört, denke ich manchmal: „Dieser Track ist echt seltsam, Mann!”
An wen denkst du da konkret?
Es ist vor allem im Zuge dieser Entwicklung, als der Sound so benommen und komisch wurde. Ich sträube mich eigentlich dagegen, hier bestimmte Namen zu nennen, aber da war dieser 2018 verstorbene Rapper XXXtentacion – ein in jeder Hinsicht fragwürdiger Mensch, dessen Person ich zutiefst ablehne. Aber er hatte krasse Beats. Als Produzent höre ich ja hauptsächlich auf die Beats und das Instrumental und nicht so sehr die Rap-Parts. Und es gibt diesen Track „Moonlight” auf seinem Album ?. Dieser Track ist einfach nur abgefahren! Ich hörte diese Produktion und dachte: „Wer hat diesen Beat gemacht? Ich muss herausfinden, wer das geschafft hat!” Wenn du erst diesen Track und dann „Sunny’s Time” hörst, wirst du sehen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Es hat diesen seltsamen Pitch… (imitiert Sound)
Hast du also das Gefühl, dass es im Moment mehr Innovationen im Hip Hop gibt als in Techno und elektronischer Tanzmusik?
Im Moment: Ja! Ich meine, ich kann mich auch irren, aber als Swim herauskam, fühlte es sich genau umgekehrt an. All die aufregenden Platten, die ich damals in Berlin und in London gehört habe! Floating Points brachte seine erste Platte heraus, Joy Orbison, der ganze Sound von Hessle Audio. Gefühlt hörte man jede Woche einen neuen großen Track: „Verdammt, hast du diesen neuen Joy-Orbison-Track schon gehört? Der ist verrückt!” Es fühlte sich wie eine wirklich fruchtbare Phase an und Swim entstand aus dieser Energie heraus. Das habe ich in letzter Zeit nicht mehr so oft gespürt. Ich bin mit vielen Leuten aus der Szene befreundet und sie machen alle wunderschöne Musik. Aber ich sage immer: „Jemand muss jetzt mal einen richtig fetten Tune machen, kommt schon!” (lacht)
Wir spielen jetzt alle in großen Clubs. Irgendjemand muss einen großen Track rausbringen, der das Ganze aufs nächste Level hebt. Nicht dass sie alle keine großartige Musik machen. Aber zum Beispiel, Sam, Floating Points, der uns immer unermüdlich mit großartigen Tracks versorgt hat, interessierte sich mehr für eine andere Art von Musik und machte abstrakte Sachen wie Elaenia. Was toll ist! Aber es fühlte sich an, als würde er es teilweise auch tun, weil die Energie in der Szene ein wenig abgeflaut ist. Für mich jedenfalls. Deshalb konzentriere ich mich mehr auf Hip Hop und R’n’B und die interessanten Ideen dort. Ich gehe aber auch davon aus, dass diese Aussage in sechs Monaten lächerlich erscheinen wird.
„Ich bin mitten im Nirgendwo in Kanada groß geworden. Alles, was ich in die Hände bekommen konnte, war für mich interessant. Weil es keine Kultur gab, keine Szene, die mich interessierte. Ich hörte mir eine Techno-Platte neben einem Yes-Album neben Nirvana an.“
Fühlst du dich der Clubszene noch verbunden?
Viele meiner Freund*innen in London sind mit den Anfängen von Dubstep aufgewachsen und fühlen sich dieser Szene sehr verbunden. Sie bemühen sich, die Integrität und Authentizität der Szene zu bewahren. Ich weiß, dass das auch in Berlin sehr wichtig ist, diese ganze Diskussionen um die Gentrifizierung. Was großartig ist. Es ist wunderbar, wenn Menschen Wächter*innen dieser Kultur sind und diese Räume schützen. Aber so bin ich einfach nicht.
Ich bin der Typ, der in jedem Genre nach interessanten Produktionsideen sucht. Ich denke, das liegt daran, dass ich genau mit dem Gegenteil von Szenezugehörigkeit aufgewachsen bin. Ich bin mitten im Nirgendwo in Kanada groß geworden. Alles, was ich in die Hände bekommen konnte, war für mich interessant. Weil es keine Kultur gab, keine Szene, die mich interessierte. Ich hörte mir eine Techno-Platte neben einem Yes-Album neben Nirvana an.
Wie ist es dann aktuell für dich in London zu leben, wo die Kreativen aus politischen wie finanziellen Gründen die Stadt und das Land verlassen und mit ihnen auch der Innovationsgeist und die frischen Ideen verschwinden?
Großbritannien ist derzeit politisch sehr bedrückend. Jeder hat das Gefühl, von Europa abgeschnitten zu sein, was ja gerade für die Welt der elektronischen Musik eine sehr wichtige Verbindung darstellt. Das ist demoralisierend und deprimierend. In London wird es immer schwieriger, etwas Interessantes zu veranstalten und zu organisieren. Es gibt viele Widerstände und Hürden.
Gibt es noch Orte, wo du in London gerne ausgehst?
Ja, kleine Clubs, in meiner Nähe gibt es das Five Miles und The Cause. Sie kämpfen ständig gegen die drohende Schließung, aber schaffen es immer irgendwie noch.
Eine letzte Frage zu Suddenly: Ich habe gelesen, dass du für Our Love 700 einzelne Tracks produziert hast, die du anschließend zu einem Album zusammengefasst hast. Wie viele Tracks hattest du diesmal?
Es wird immer schlimmer! Ich hatte ernsthaft 900 Tracks. Aber dann verlasse ich mich auf die Hilfe von Kieran – also Four Tet – und meiner Frau. Ich verliere sehr leicht den Überblick und die beiden sind von unschätzbarem Wert für mich. Kieran ruft mich alle paar Monate an und fragt: „Wo stehst du mit dem Album? Los, ich komme rüber, um mir die neuen Sachen anzuhören!” Dann spiele ich ihm ein paar Sachen vor, die zur Hälfte fertig sind, die Keimzellen einer Idee. Und er sagt dann: „Nein, arbeite nicht an dem weiter, das hier ist viel aufregender!” Oder er hört Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Ideen und sagt: „Die sind sich ähnlich, aber das hier ist die bessere Idee!” Ich habe natürlich meine eigene Meinung dazu, aber es ist gut, jemanden mit einer Außenperspektive zu haben. Ohne ihn und meine Frau wäre ich verloren.