Arkajo – Nadir EP (Aniara Recordings)
Aniara ist von Anfang an fest mit Genius Of Time verbandelt. Wie auch Alexander Berg alias Dorisburg nutzt auch Nils Krogh das Göteborger Label als Abschussrampe für seinen Solo-Output unter dem Pseudonym Arkajo und veröffentlicht in schöner Regelmäßigkeit eine EP pro Jahr auf Fabian Bruhns Imprint. Nadir vereint drei Tracks mit verführerischer Zentripetalkraft. Komplexe Rhythmuspatterns, die sich nur lose an House („Zenit”), Electro („Nadir”) oder Jungle („Untitled (Run Away With Me)”) orientieren, sorgen in Verbindung mit schwerelosen Drones, gleißenden Harmoniebögen und spielerischen Melodien für eine Spannungskraft, die einen einzigartigen Drive erzeugt. Festgefahrene Genres werden zum Template eines innovativen Ansatzes mit emotionaler Strahlkraft. Träumerisch, aber fest auf dem Tanzboden der Tatsachen verwurzelt. Eine in jeder Hinsicht herausragende Platte. Kristoffer Cornils
Diverse – Blue (Uncanny Valley)
Dem Dresdner Label Uncanny Valley scheint es nicht an Output zu mangeln, und so wird das 50. Release gleich doppelt gefeiert. Die zweite Version der UV050 ist eine Various Artists-EP in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Grafikdesigner Doppeldenk; von insgesamt sieben geplanten Ausgaben (je nach einer Farbe benannt) erscheint nunmehr die Vierte namens BLUE. Darauf zu hören sind die Leipziger Credit 00 und Gnista, die jeweils Updates des groovig-bouncenden Chicago Houses respektive eines UK Electro-Rollers abliefern. Kein Hit, aber mehr als nur guter Durchschnitt. Tatsächliches Zeug zum Underground-Gassenhauer dagegen hat der Track „Brecht hat er” der Dresdner Formation AGB, dessen eigenwilliger Vortrag so charmant und ungeschliffen klingt, dass man nicht umhin kommt, wiederholt auf den Repeat-Knopf zu drücken (bei nur zwei Minuten Laufzeit geht das schon mal klar!). Mit Break SL meldet sich außerdem ein alter Bekannter des Labels zurück, von dem zuletzt wenig zu hören war. Sein Peaktime-House besticht durch eine Verspieltheit und eine farbenfrohe Soundpalette, die jeweils nicht zu dick auftragen oder ins Klischeehafte abdriften. Qnete, mittlerweile ebenfalls in Leipzig gelandet, bastelt einen weiteren kraftvollen House-Track seiner Marke, die stets die Vitalität seiner Live-Jams einfangen, und verbindet gekonnt gleichzeitig vorwärtsgewandtes Momentum mit der Zurückgelehntheit einer Insel-Auszeit. Leopold Hutter
DJ Maaco & DJ Overdose / Grischerr – When Cities Collide VII (RotterHague)
Mit seiner EP-Serie kollidierender Städte machte DJ Overdose mutierten Electro-Funk und gnadenlose Ghetto-Disco-Grooves in den letzten zwei Jahren nicht nur zwischen Den Haag und Rotterdam wieder hoffähig. Rund um den Globus findet der Mann mit einer hörbaren Vorliebe für 80er-Hip Hop nicht gesignte Untergrund-Produzenten wie DJ Technician (Niederlande), CEM3340 (Italien) oder die Jompo Boys (Finnland/Frankreich), die sich auf den EPs des RotterHague-Gründers austoben dürfen und dabei mitunter kross frittierten Electro servieren, der selbst jenseits des großen Teiches Genre-Feinschmecker anzieht. Denn in Kollaboration mit Detroit’s Filthiest, Lithium Parasites und DJ Maaco ist Overdose mittlerweile auch von Detroit bis Miami aktiv und bringt den alten Sound der Motor City in konstanter Frequenz sowohl unter die Leute als auch in die Gegenwart. Mittlerweile bei When Cities Collide VII angelangt, präsentiert der nächste Teil der Reihe mit den beiden Tracks „D To RH” und „Rainy Night In RotterHague” die bislang ausgefeiltesten Collabs zwischen Overdose und Maaco, verstärkt durch luzide Underground Resistance-Ästhetik und retro-affine Voice-Samples – ein bisschen Danny Wolfers lässt sich hier wahrscheinlich auch heraushören. Endlich wirft RotterHague aber auch mal einen Blick nach Deutschland, genauer nach Bonn und Köln, wo Freshman Grischerr erst seit ein paar Jahren auflegt und als Produzent Erfahrungen sammelt. Auf der B-Seite stiehlt er hier trotzdem allen die Show. Schon „Captain Ac(h)ab” zieht in Sachen Beat-Sequenzierung sämtliche Register, klingt dank Gift spuckender Kicks und Snares sowie bauchiger Bässe stellenweise nach der obszönen Urbanität von Filmmaker, verneigt sich aber auch vor Drexciya und deren irisierenden Laser-Synths. „Der Mensch in sich” knüpft dort stilistisch nahtlos an, mit ominös pulsierender Körperlichkeit ebenso wie mit dem aus den 80ern gechannelten Reverb-Monolog im Hintergrund: „Du fühlst, dass dein Körper erstarrt und allmählich eintrocknet, deshalb hast du Angst und rufst nach deiner Polizei” – der Track könnte genauso im Rectum laufen, dem abgefuckten BDSM-Club aus Gaspar Noés Irréversible. Hoffentlich folgt da bald mehr. Nils Schlechtriemen
Hellboii – The Crisis of Proliferation (Panzerkreuz Records)
Wenn man verzweifelt am Verzerrer rumschraubt, weil die Kickdrum noch immer nicht das Schmalz aus den Ohren kratzt, klopft man bei Bunker Records in Den Haag an und darf nach einem dreistündigen Kreuzverhör mit Panzerkreuzer Potemkin endlich mit Hellboii quatschen. Der Niederländer stellt sich in Holzpantoffeln hinters Mischpult, schnallt sich den Maulkorb aus Latex um und zeigt mit zwei schnellen Handbewegungen, wie Strobos in der Finsternis die Zeit anhalten, während er versucht, „Acid, Acid” in die Menge zu grölen und die 303 im Hochofen mit Industrieschrott zu überbacken. Soll heißen: Techno aus Den Haag, der Bunker Records-Heimat, die faule Journos mindestens einmal zu oft als Europas Detroit bezeichnet haben (wegen Underground Resistance, verstehste), steuert den Mixer auf The Crisis of Proliferation in Bereiche, die so ungesund sind, dass sogar bei den Jungs von Death Grips der Ischias zwickt. Gerade richtig also, um sich als Plus-Eins auf der fremden Weihnachtsfeier das Aux-Kabel zu schnappen und die Anlage zu zerschießen – scheiß auf Merry Christmas – zur Peak Time wird hier alles angezündet. Christoph Benkeser
SNIPPETS AUF DEN SEITEN DER EINSCHLÄGIGEN SHOPS
Juan Ramos – Oxford House (ESP Institute)
Vor zehn Jahren legte Andrew Hooge alias Lovefingers mit Sombrero Galaxys Journey To The Center Of The Sun das Debüt-Release seines Labels ESP Institute vor, zum Abschluss der ersten Dekade erscheint nun die Oxford House-EP des puerto-ricanisch-amerikanischen Producers Juan Ramos als letzte ESP-Platte in diesem Jahr. Die hätte kaum befriedigender ausfallen können: Unvermittelt und ohne Vorwarnung lassen „Fahrt Im Himmel” und der Titeltrack Hip House als das satisfaktionsfähige Genre wiederauferstehen, das es nie geworden ist. Bestechend vor allem der virtuose Umgang mit einer Vielzahl popkulturell codierter Vocals, deren Geflecht einen unwiderstehlichen Abriss der Dancefloor-Geschichte erzeugt. Hip Hop mit unverbrauchten Jazz-Samples dann der „New York Metropolitan Area Mix” von „Oxford House”. Auf die nächsten zehn! Harry Schmidt