Oben: Sven Väth 2009 auf Ibiza mit Carl Cox. Alle Fotos: phrank.net.
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Das Omen ist mein Wohnzimmer, hat Sven Väth in den 1990ern oft gesagt. Was er mit diesem legendären Ausspruch meinte, erfahrt ihr im dritten Teil unseren großen Sven Väth-Interviews. Außerdem spricht er über die Geburt der Cocoon-Familie und erklärt, wie er die junge Techno-Generation mit ihren Instagram DJs erlebt.
Am 18. Oktober 1988 hast du mit deinen Partnern das Omen aufgemacht – gerade in dem Moment, als deine internationale DJ-Karriere Fahrt aufnahm. Warum hat dir das nicht gereicht?
Die Energie war da, die Vision, und letztendlich ging es gut. Alle haben mich anfangs ungläubig angeschaut und meinten: „Was machst du denn jetzt?” (lacht) Als wir das Omen aufgemacht haben, war unser Musikprogramm auch noch relativ bunt gemischt. Das war auch Absicht, ich wollte nicht wieder in die gleiche Kerbe schlagen wie im Dorian Gray, industrial und dark.
Warum? Moderner konnte man in dieser Zeit kaum klingen.
Dieses Kapitel war abgehakt. Das sollte ein frischer Laden sein, da lief auch Hip-Hop, dann kam Snap! mit „The Power”, das war von meinem Partner Michael Münzing. Dann kam R&S, NuGroove, die Labels aus Detroit und Chicago, Strictly Rhythm und so weiter. Das war für mich das Zeichen zu sagen, wir schwenken musikalisch im Omen auf strictly Techno und House. Das war 1989. Ich hatte freitags meinen eigenen Abend, für samstags hab ich den Dag reingeholt, und der Dag hat da seinen Samstag gemacht.
Du hast ja gesagt: Das Omen ist mein Wohnzimmer. Für die Nachgeborenen: Was hat man sich darunter vorzustellen?
Da ist meine Vision in Fleisch und Blut übergegangen. Die Leute haben’s gespürt und waren dabei und waren alle Teil davon. Das war eine sehr intensive und exzessive Zeit. No limits – wir haben da Alles gegeben, wir sind im Schweiß gestanden. (lacht) Das weiß man ja, wir hatten ja viele gute Nächte, mit Prodigy und Underground Resistance, Labelnächte mit Plus 8 und Djax-Up Beats und so weiter. Der Richie Hawtin hat seine erste Residency in Europa im Omen gehabt. Jeff Mills hat bestimmt viermal im Jahr bei uns gespielt. Ich bin zwar verstärkt international gebucht worden, aber ich hab stets geschaut, dass ich freitags da bin.
Das Omen gilt bis heute als Technoclub der Technoclubs. Dennoch waren die 90er für dich unglaublich wechselhaft. Du hattest das Omen, du hast auch noch zwei große Labels gemacht – Harthouse und Eye Q, die den Sound of Frankfurt prägten, aber gerade aus heutiger Sicht nur recht kurz existierten – auch im Vergleich mit Cocoon Recordings, das es schon seit über 20 Jahre gibt. Es ist heute vielleicht schwer zu verstehen, wie man sich viel so schnell aufbauen konnte, das aber auch schnell wieder implodieren konnte.
Das waren natürlich auch Interessenskonflikte. Das war noch diese Zeit, in der es vom Analogen ins Digitale überging. Wir haben Eye Q und Harthouse Ende ‘89/ ‘90 gegründet, und ich habe es 1997 abgegeben. In der Zeit haben wir aber ganz schön viel veröffentlicht.
In einem für heutige Verhältnisse kaum vorstellbaren Tempo. Es gibt kaum noch Labels, die das so machen könnten.
Wir hatten ein Office in London und auch eins in West Hollywood, Los Angeles. Wir sind mit dem Sound durchgestartet. Wir haben dann aber einen gewissen Punkt erreicht, an dem einer meiner Geschäftspartner meinte, es müsse noch mehr, noch weiter, noch größer sein. Da hatte ich mich eigentlich innerlich schon verabschiedet von dem Projekt. Ich wollte den Sound nicht weiter ausbreiten. Für mich war’s das.
„Veränderung war bei mir immer gewollt und hat bei mir auch immer einen Neuanfang gebracht.”
Wie hast du gespürt, dass Trance vorbei ist?
Das war einfach ein Impuls. Es war genau so ein Impuls, wie als ich ‘89 mit OFF aufgehört habe, wo ich gesagt habe, ich will die Pop-Karriere beendet sehen und mache jetzt mein Soloprojekt Sven Väth als DJ. Ich brauche kein Pseudonym mehr. Das waren alles instinktive Entscheidungen, auch aus Erfahrung. Ich habe gemerkt, dass ich bestimmte Dinge nicht nochmal erleben will, oder anders erleben will.
An was für einem Punkt standest du dann am Ende der neunziger Jahre, als es mit dem Omen, Harthouse und Eye Q vorüber war?
Cocoon war da ja schon geboren. Die erste Cocoon-Party fand 1996 mit Underworld live statt in der Union Brauerei an der Hanauer Landstraße [in Frankfurt]. Vorher war ich noch in Berlin im Tempodrom auf einer Veranstaltung von La Fura dels Baus, das ist ein Aktionstheater aus Katalonien. Da hab ich mir eine Show von denen angeschaut, da ging es um Metamorphosen. So ist der Name Cocoon entstanden. Das hat nachhaltig auf mich gewirkt. Weil es den Club und die Labels nicht mehr gab, war ich schon an dem Punkt, mir etwas Neues vorzustellen. Indien hat da mitgeschwungen, was ich da erlebt habe, auch die Love Parade und die musikalische Veränderung. Da habe ich mich eigentlich schon wieder darauf gefreut, etwas Neues zu machen. 1998 hab ich mich mit meinen Partnern hingesetzt und hab gesagt: Ich bin der Meinung, wir sollten das Omen jetzt schließen. Das Parkhaus, in dem der Club stand, hat uns so oder so schon unter Druck gesetzt, die wollten unseren Vertrag früher oder später nicht mehr verlängern. Da habe ich dann den Stecker gezogen. Das war auch Veränderung, das hat letzten Endes die Tür aufgemacht für die Cocoon-Vision. Veränderung war bei mir immer gewollt und hat bei mir auch immer einen Neuanfang gebracht.
In Berlin wurde das Ende der 90er als starker Verlust wahrgenommen, da gab es dann erstmal eine große Orientierungslosigkeit und zum Teil auch Depression. Das hast du gar nicht so erlebt?
Nee. Ich hab dann Ibiza und Cocoon Recordings gestartet.
Und den Club.
Ne, der kam erst viel später, 2004 – das waren schon die Nullerjahre. Ich hatte dann auch die Idee, eine Booking-Agentur zu gründen, dann hat man einfach die Künstler kontaktiert, die man kannte, und ihnen angeboten, meine Struktur zu nutzen und ihnen ein bisschen unter die Arme zu greifen. So ist das eine zum anderen gekommen. Das ist jetzt nicht so ein Masterplan gewesen, dass ich das jetzt so zusammenbaue, um hier in Ibiza oder weltweit aufzuschlagen. Das war autodidaktisch, das so aufzubauen, um der Musik ein Plattform zu geben, dass wir da auch neue Impulse bekommen und jungen Leuten die Sicherheit geben, damit sie gut betreut werden und sich kreativ ausleben können.
Viele DJs sind ja auch eher Einzelgänger, und hauptsächlich mit sich, ihrer Musik und der Außenwahrnehmung beschäftigt. Du bist eher ein Familiy Man, der auch an andere, an die Szene und eigene Clubs und Partys denkt.
Meine Vision ging schon relativ früh über den Plattenteller hinaus (lacht). Ich wollte mit der Musik, mit der Energie, der Kraft und dem, was sie für uns bedeutet hat, noch mehr Platz schaffen, dass wir uns entfalten, darstellen und weiterentwickeln können. Cocoon war eine Veranstaltung, zu der wir tolle Künstler eingeladen haben, bei der wir auch mit der Gestaltung eine Geschichte erzählt haben. Das hat sich über die Jahre entwickelt, wir haben neue Kontakte gemacht und neue Künstler kennengelernt. Es gab mehr zu erzählen. Für mich war ein Club immer die logische Konsequenz – da muss es stattfinden, auf dem Dancefloor. Das hat mich immer angetrieben, weil da alles entstanden ist. Klar machen wir heute auch Festivals, wir sind auf großen Bühnen zuhause und fühlen uns da auch wohl. Dennoch ist der Dancefloor im Club nach wie vor heilig.
„Ich liebe es, in einem leeren Laden anzufangen und einen gewissen Vibe zu kreieren, mit den ersten Gästen schon eine gewisse Stimmung zu setzen.“
Zum Abschluss: Inzwischen sind die 90er seit 20 Jahren vorbei, es gab diese ganze Zeit danach. Wie sieht deine Zukunft und die Zukunft der Musik generell?
Natürlich hat sich viel verändert, es ist alles sehr schnelllebig. Die jungen Leute konsumieren heute anders. Die sind mit anderen Dingen beschäftigt, als ein Album zu hören. Die wollen nur noch followen, liken und posten. Teilweise hören sie auch gar nicht richtig hin, teilweise sind sie auch gar nicht richtig da. (schmunzelt) Zum Glück spreche ich noch genügend Leute an, auch eine relativ große, junge Generation, die zu unseren Events kommt. Das vermischt sich dann unwahrscheinlich gut mit der älteren Generation. Es ist, wie ich anfangs sagte, ein Kessel Buntes. Mir macht es nach wie vor Spaß, lange Sets zu spielen, mit meinen Schallplatten zu kreieren, was ich seit knapp 40 Jahren mache.
Wie sprichst du die junge Generation an, die einen anderen Background hat?
Ich glaube, die Leute spüren das einfach, dass da ein Herz dahinter schlägt und dass ich auch von der Tanzfläche komme, dass ich nach wie vor bei ihnen bin, und mich nicht verstecke. Ich probiere schon, immer 100 Prozent da zu sein. Den Jüngeren kann man das auch gar nicht vorwerfen, die haben nicht diese Cluberfahrung. Es gibt diese Instagram-DJs, die zur Zeit abgefeiert werden, wo du dich dann fragst: Wo sollen die ihre Knowledge herhaben? Da ist alles vorprogrammiert, die Sets. Junge DJs haben schon Manager, die sagen denen, wie sie spielen, wo sie spielen, wann sie spielen. Die DJ Culture, wie ich sie kenne, steht auf einem ganz anderen Blatt Papier. Von daher kann ich mit meiner Performance vielleicht immer noch ganz gute Impulse geben. Es gibt ja eine Renaissance des Vinyl.
Was stört dich dabei musikalisch am aktuellen Sound?
Diese ganzen Breaks in der Musik, dieser Zwang, ständig Peak-Time-Momente zu haben. Lasst doch mal eine Platte durchlaufen! Auch diese ganzen Gadgets in der DJ-Booth, Controller, um die die Musik oder die Loops zu beeinflussen. Das finde ich alles sehr gekünstelt und imponiert mir nicht. (lacht) Das ist alles nach Schema F, eine sichere Bank. Ich merk es allein schon daran, wenn ich mal jemanden Frage, ob er ein Warm-Up spielen kann: Da sagen die: „Wie, was, da ist doch der Laden noch leer!” (lacht) Ja genau, ich liebe es, in einem leeren Laden anzufangen und einen gewissen Vibe zu kreieren, mit den ersten Gästen schon eine gewisse Stimmung zu setzen. Das sind aber auch Erfahrungswerte, die manche gar nicht haben.
Wie setzt du deinen Erfahrungsschatz konkret in deinen Sets um?
Wir haben vorhin über Residents gesprochen, ich hab fast 30 Jahre lang immer eine Residency in einem Club gehabt. Sei es im Dorian Gray, im Vogue, im Omen, im U60[312], im Cocoon Club usw. – so etwas ist entscheidend für einen DJ. Da merkst du über die Jahre, wie sich Musik, Ausgehverhalten und Technik verändern. Als erfahrener DJ kannst du tiefer in die Kiste greifen. Oder in meine vier Plattenkisten! Ich hab tatsächlich zum 20-Jährigen drei Plattenkisten aus 20 Jahren zusammengestellt, mit Afterhour-Highlights und Highlights aus dem Club. Die lass ich jetzt teilweise in meine Sets mit einfließen, um hier und da ein wenig zu markieren. Das macht auch Spaß, auch wenn ich eigentlich jemand bin, der zu 95 Prozent neue Musik spielt. Da setze ich auch nochmal einen gewissen Ton für unser Jubiläum.
„Snabeln” von Hugg & Pepp hab ich zum Beispiel ewig nicht mehr gehört.
Ja, und „Born & Slippy” war natürlich super, dass ich da auf die Stage bin und abgeraved hab mit dem Karl [Hyde] und dem Rick [Smith von Underworld]. Das hat natürlich auch tierisch Spaß gemacht.
Auf der Afterhour im Rabbit Hole am Ende des Jubiläums-Wochenendes hast „La Isla Bonita” von Madonna gespielt.
Jaja, voll. (süffisant) Das ist ja ‘ne Nummer! Also ich glaube, die Madonna hat die für Ibiza geschrieben. Also, keiner weiß das wirklich, aber sie spricht vom Spanish Island. Was soll das denn sonst sein?
Daran habe ich noch gar nicht gedacht.
Wie sie das besingt. Ich hab das immer mit Ibiza besetzt! Aber die Nummer spiele ich nicht oft. Das ist nochmal so ein Extra-Joker.
Den ersten Teil unseres großen Sven Väth-Interviews findet ihr hier, den zweiten hier.