Alle Fotos: Nash Does Work
Schon in den im Vorfeld geführten Interviews mit wichtigen Figuren der portugiesischen Szene zeichnete sich ab, dass das Land über zwei Pole verfügt, wenn es um elektronische Musik geht. Im Norden, rund um Porto, scheint man tendenziell härteren Spielarten zu frönen. In der Hauptstadt Lissabon, an die sich der Name des Festivals offensichtlich anlehnt, stünden House, Disco, Funk und melodischere Facetten an der Tagesordnung. Dass derlei simplifizierende Einteilungen mit Vorsicht zu genießen sind, versteht sich von selbst. Das LISB_ON bestätigte dieses Bild aber durchaus eindrucksvoll.
„Das Festival wurde von Freunden gegründet und bleibt eine familiäre Angelegenheit”, teilt Organisator Diogo im Gespräch kurz vor Moodymanns Set mit. Angesichts des großflächigen Sponsorings, etwa 15.000 Besuchern und den großen Namen, die sich auf dem LISB_ON tummeln, fällt es zunächst schwer, das auch zu glauben. Mit Namen wie der bereits genannten Detroiter Ikone, Horse Meat Disco, Octave One oder Róisín Murphy im Line-Up war zwar von Anfang an klar, dass im Parque Eduardo VII sämtliche oben genannten Genres ihre Bühne bekommen würden. Dass die gesamte Stimmung beim dreitägigen Open Air im Zentrum Lissabons aber derart entspannt und angenehm geriet und sich vollkommen an die Musik anpasste, überraschte dann doch. Kinder, die sich zwischen der stets tanzenden, aber nie ravenden Menge mit überdimensionalen Ohrenschützern an der Hand ihrer Eltern bewegten, waren eher die Regel als die Ausnahme, ein beträchtlicher Teil des Publikums lauschte den Sets und Konzerten liegend im Gras.
Dass dabei keine Stimmung aufkam, ist allerdings ein Trugschluss. Kein Geringerer als Moodymann selbst tat am frühen Freitagabend zum Auftakt dafür sein Bestes: „I’m not going to be your favourite DJ of the night, but I’m going to be your favourite fuckin’ bartender, that’s for sure.”, verkündete er nach der Hälfte seines zweistündigen Sets. Begleitet von seiner Lebensgefährtin, die hinter der Booth ein ums andere Mal den Champagner verköstigte, lieferte Kenny Dixon Jr. genau das, was man sich erwarten durfte: etliche Ansagen durch’s Mikro, ein obskures Set mit einem souligen Cover von AC/DCs „It’s A Long Way To The Top (If You Wanna Rock’n’Roll), Cans „Vitamin C” – im Original, glücklicherweise nicht in sonderbaren Drumcode-Zerfledderungen – und Osunlades bewährtem „Momma’s Groove” und diversen Wodka-Shots an der Bühnenabsperrung für die gierige Crowd. Musikalisch sicherlich keine Offenbarung, dem Festival aber sehr zuträglich – wie angekündigt.
Der erste Tag stand ohnehin stark im Zeichen Detroits; nach Moodymann spielten schließlich Octave One unter hektischem Zappeln ihr energetisches Live-Set auf der mit Blumenstöcken drapierten Hauptbühne. Natürlich nicht, ohne ihrem Überhit „Black Water” genügend Platz einzuräumen. Anschließend blieb es Social Media-Weirdo Carl Craig vorbehalten, die ersten Tracks in die Lissaboner Nacht zu pumpen. Sein Set entpuppte sich allerdings als dröge Aneinanderreihung von modernen und arrivierten Festivalklassikern – ob nun Kozes „Pick Up” oder dem Untoten unter den Schema F-Hits: „Blue Monday”. Die anderen beiden Bühnen, die sich zu beiden Seiten der Hauptbühne befanden, verzeichneten weder am ersten Tag noch für den Rest des Festivals wirklich nennenswerten Zulauf. Auf der Hillside Stage, am höchsten Punkt des Geländes gelegen und von allerlei Gewächs sowie Carlsberg-Werbung umrahmt, zogen die Pender Street Steppers vor einer Handvoll Leuten souverän ihr Programm zwischen House, Disco und Funk ab und verzichteten erwartungsgemäß nicht auf den obligatorischen Ahmed Fakroun-Track, in diesem Fall „Sahranin”, der sich perfekt ins musikalische Bild des LISB_ON fügte. Marcel Dettmann durchbrach mit dem letzten Hauptbühnen-Slot die Detroiter Phalanx und spielte angenehm unaufgeregt, sodass auch tendenziell roherer Sound aus dem Ostgut-Umfeld vom Publikum angenommen wurde. Stechuhr-pünktlich um ein Uhr nachts schlossen dann sämtliche Bühnen – die Bürde eines Stadtfestivals, das obendrein noch einen Steinwurf von Intercontinental und Ritz stattfindet.
Der Samstag erlaubte dann eine kleine Verschnaufpause, was angesichts der schwülen Wetterverhältnisse und dem täglichen Festivalstart um zwölf Uhr dankbar angenommen wurde. Zwischen mobilen Barbershops, den üblichen Essensbuden, Seat-Ständen und weiteren Sponsoren-Angeboten verloren sich die Besucher. Das LISB_ON wirkte in diesen Momenten tatsächlich wie ein überdimensioniertes, aus den Fugen geratenes Nachbarschaftsfest. Bei DMX Krews anderthalbstündigem Live-Set, einem der seltenen Besuche der Treehouse Stage, war allerdings das Gegenteil der Fall: Alleine die letzten 20 Minuten gehörten definitiv zum Spannendsten, was das Festival zu bieten hatte. Rasante Breakbeats und eigenwillige Melodien aus dem Maschinenpark des öffentlichkeitsscheuen Briten boten einen perfekten Kontrast zum ansonsten vorrangig harmonischen Grundton des Festivals. Auch Craig Richards’ Set im Anschluss verstärkte den Eindruck, dass unter den illuminierte Baumkronen die clubbigste wie kompromissloseste Bühne lag. Young Marco indes überzeugte mit einer soliden Auswahl aus House und abseitigeren Tracks, die man trotzdem noch unter diesem Etikett rubriziert – Dekmantel-Schule eben. Dementsprechend viele Besucher fanden sich dann auch ausnahmsweise vor der Hillside Stage ein.
Am Sonntag schloss das Festival dann zwei Stunden eher seine Pforten als an den Tagen davor – Montag ist schließlich wieder Arbeit. Bis 23 Uhr warteten aber noch Sets von DJ Vibe & Jamie Principle, Róisín Murphy, Horse Meat Disco und ZIP. Erstere stellten dann ein Set vor, das Live- und Konserven-Elemente in simpelster wie rigidester Manier trennte. Der Portugiese DJ Vibe – was für ein Name – spielte House-Tracks, zu denen ein manischer Jamie Principle am frühen Abend durch’s Publikum tigerte und die Lyrics lieferte. Dramaturgischer Höhepunkt natürlich die Knuckles-Principle-Produktion „Your Love” in einer extrem ausgedehnten Version. Direkt im Anschluss beendete Principle seinen Auftritt, DJ Vibe hingegen packte geistesgegenwärtig die Gelegenheit beim Schopf und holte die noch große Crowd mit Hits der Gewichtsklasse von „Can You Feel It” ab, was solide funktionierte.
Róisín Murphy mit ihrer in Weiß gekleideten Entourage bewies im Anschluss, dass die größten wie einprägsamsten Momente des LISB_ON diejenigen sind, in denen die Musik aus dem hin und wieder zu sedierenden Rahmen ausbricht. Ihre explosive Mischung aus emotionalem Pop und Uptempo-House, kombiniert mit laufenden Kostümwechseln und ausnahmsweise sinnstiftenden Visuals elektrisierte das Publikum speziell ab der zweiten Hälfte ihres Sets – gemütliches Hin- und Herwiegen wich Gekreische, Mitsing-Parts und einem wahren Meer aus Smartphones. Zum Abschluss konnte man sich zwischen Horse Meat Disco, die die Hauptbühne mit ihrer Mixtur aus Disco, House und Funk schlossen, und Zip entscheiden. Der Perlon-Chef vollbrachte das Kunststück, trotz einer konstant rekordverdächtigen Distanz zu Mixer und Turntables, die jeden Zentimeter Kabel seiner Kopfhörer beanspruchte, ein gelungenes Closing-Set zu spielen. Gemächlich wie sorgfältig wählte er Platten aus, unterhielt sich fortwährend mit Leuten aus dem Pressebereich und feixte unablässig in die Menge.
Mit diesem letzten Highlight endete ein Festival, wie so wohl nur in einer Stadt wie Lissabon stattfinden kann. Nimmt man die wenigen geladenen Exzessverwalter wie Marcel Dettmann, Craig Richards oder eben Zip aus, ergibt sich ein durchweg homogenes Klangbild, das eher zur Entspannung denn zum ausgelassenen Treiben führt. Das Publikum an sich schien zwar durchaus divers, sich in diesem Punkt aber mehr als einig. Dazu Freiwillige, die jedem Raucher in Sekundenschnelle portable Aschenbecher in die Hand drückten und ganze Magazine an Komposttoiletten; man mochte ob dieser grünen Wohlfühloase mitten im Stadtpark zwar hin und wieder das Tanzen vergessen haben. Das Familiäre und Verantwortungsbewusste, das die Veranstalter immer wieder betonen, wohnt dem LISB_ON aber auch in diesen Dimensionen noch inne.