Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht das GROOVE-Team die fünf besten des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Eris Drew, Gigsta, Perko & Elissa Suckdog, Sarah Farina und Wata Igarashi. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim Groove-Podcast vorbei.
Eris Drew Raving Disco Breaks Vol. 1
Wenn Octo Octa und Eris Drew zusammen ein Label starten, ist die Aufmerksamkeit sicher. Die beiden sind jede für sich gute DJs und haben seit einigen Monaten ihre Skills in einer gemeinsamen Tour gebündelt – was offensichtlich sowohl für sie als auch für das Publikum hervorragend funktioniert. Das Label ist nach ihrer Tour T4T LUV NRG benannt. T4T steht dabei für „trans for trans”, denn zusammen wollen sie auch für die Sichtbarkeit von Transpersonen in der Szene einstehen. Die erste Veröffentlichung darauf ist also alles andere als ein Geheimtipp, aber so freudestrahlend und herumhüpfend wie Eris Drews Mix daherkommt, scheint ihm sowas egal zu sein. Drew zeigt in ihren „Raving Disco Breaks“, was für eine phänomenale DJ sie ist.
Am Mixer scheint immer etwas zu passieren: Es wird gescratcht, Vocals gezielt platziert und die Übergänge bilden eigene Tracks. Vieles läuft über den Bass; eine Kick verlässt mit genau dem richtigen Timing den Mix und eine andere betritt ihn – direkt, aber dennoch nicht überrumpelnd ändert sich die Energie und es geht weiter nach vorne. Sowieso, die Energie: Auch wenn hier nicht an ravigen House-Bomben gespart wird (der Name ist Programm), peitscht Drew einen damit nicht vor sich her. Sie weiß, dass auch Ruhepausen nötig sind und baut diese behutsam ein. Das macht den Mix ultra sommertauglich und weckt die Neugierde auf weitere Releases von T4T LUV NRG. Cristina Plett
Truancy Volume 244: Gigsta
Für Cashmere Radio nahm Gigsta bisher 31 Shows auf. Oft setzt die Belgierin dabei eine thematische Klammer: Farben, das Wetter, Bücher wie Alvin Tofflers „The Third Wave“ oder die goldene Schallplatte, auf der die NASA die Klänge des menschlichen Lebens für Außerirdische dokumentierte, dienen als Inspiration. Da kann im selben Mix „Le sacre du printemps“ von Stravinsky und „Rings of Saturn“ von Photek vorkommen, und Gigsta spricht ihre Kommentare über die Stücke, auch über eine Beethoven-Symphonie. Gigstas Leidenschaft führte sie zunächst auf Konzerte, daher ihr Alias, später in die Wissenschaft, in ihrem PhD erforscht sie den Musikjournalismus der achtziger und neunziger Jahre. Auf der anderen Seite formt sich ihr Musikinteresse zu vergleichsweise funktionalen DJ-Sets, die sie auf das Freerotation oder zum Berliner Kollektiv Room4Resistance gebracht haben, wo sie mittlerweile Resident ist.
In ihrem Truants Podcast spielt sie überraschend verhaltene und komplexe Tracks, die Klangfarben sind spröde und noisig. Die Qualität des Mixes liegt darin, den introvertierten Klängen auf mühelose Weise eine ungeahnte Lebendigkeit abzugewinnen. Den Grundton setzt ein Bruce Remix von Otik, der nichts von seiner enormen inneren Spannung nach Außen dringen lässt. Raumgreifender wird der Mix mit dem ausladenden Bass von DVA. Mit Johanna Knutsson bringt Gigsta einen unerwartet sonnigen Ton in den Mix, mit Lex Boy wird sie geradlinig und fordernd. Mit Oceanic setzt sie ein kleines, retardierendes Moment, um in eine kurze, ravige Phase zu münden. Mit einem unveröffentlichten Track von Lurka, der auf verschachtelten Percussions und pointillistischen Klangtupfern balanciert, kommt alles zusammen, um was es bisher in dem Set geht. Gigsta unterstreicht ihre stilübergreifende Versiertheit, indem sie den quadrophonischen Funk von Mr Oizo in den Mix webt. Mit Metrist geht sie vom Spielerischen ins Insistierende über. Um am Ende bloß die Intensität zu steigern, ist Gigsta zu sehr Musiknerd. Sie kann sich nicht auf ein Genre beschränken. So spielt sie am Schluß Reggae-, Ragga- und HipHop-Stücke von Khia, Dancehall Madness und Epic B., in deren Grooves sich immer Gigstas zurückhaltende, konzentrierte Grundstimmung wiederfinden lässt. Den Schlusspunkt setzt sie mit einer Rap-Nummer mit dem beliebten Sample aus Justin Timberlakes “Señorita” und verabschiedet sich so auf einer unerwartet poppigen Note. Alexis Waltz
Smokey w/ Perko & Elissa Suckdog // mmhradio
Eine Reihe von talentierten, jungen Künstler*innen hat sich im Studio des Kopenhagener MMHRADIO für einen gemeinsamen Mix versammelt. Die dänische Selectorin Smokey lud die US-Amerikanerin Elissa Suckdog ein, ihr kaleidoskopartiges Gemisch aus modernen Breakbeats und Discoklassikern über die Grenzen ihrer Cashmere Radio-Residenz hinweg vorzustellen. Ein anderer Breakbeat-Liebhaber stieß auch noch dazu, der Schotte Perko. Er ist der Produzent einer der interessantesten EPs des letzten Jahres, wohnt bereits in Kopenhagen und gehört schon zur MMHRADIO-Familie.
In zwei Stunden wird von diesem spannenden Trio ein überraschend breites Spektrum von Breakbeats vorgestellt, das bis zu einem Remix von Avril Lavigne reicht. Die Tracks von Ellll, Koehler, K-lone, Stenny, DJ Plead werden im Lauf des Mixes schneller. Der Stil der*s jeweiligen Selectors lässt sich in dem Mix klar heraushören. Am Ende stellt Elissa Suckdog einen Remix ihrer Förderin Avalon Emerson vor, die sie einmal auf Instagram als «eine bessere DJ als sie selbst» bezeichnet hat. Roman Selezinka
Sarah Farina – Ilian Tape (ITPS041)
Für ihre Podcast Serie haben sich Ilian Tape dieses Mal Sarah Farina mit ins Boot geholt. Mit ihrem „Rainbowbass“ liefert sie einen kunterbunten Querschnitt aus Jungle, Bass, Breaks und Ghettotech. Es wird von wilden Jungle-Breaks zu dekonstruierten Bass Tracks zu klassischen Ghetto Tunes (mein Highlight: Garneaus „Work Your Booty“) gekonnt hin und her geflippt. Verwirrung kommt hier trotzdem nicht auf, da die Dramaturgie so gut durchdacht ist, dass von vorne bis hinten einfach alles passt. Mal knallt’s ordentlich wie mit Soundbwoy Killahs „Burning“, mal wird es wunderbar kitschig, wie mit dem Closingtrack „Come 2 U“ von Coco Bryce: Eine Stunde voller rhythmischer und energetischer Höhen und Tiefen. Luzie Seidel
Wata Igarashi – Truancy Volume 243
Gerade erst veröffentlichte Wata Igarashi mit Kioku auf The Bunker New York eine schlagkräftige EP, deren monumentaler Titeltrack es in diverse Jahreslisten schaffen müsste. Schon zuvor erschien sein Truancy Mix, der die atmosphärische Dichte des japanischen Producers auf den Punkt genau einfängt. Über etwa 70 Minuten webt Igarashi einen düsteren Techno-Roller an den nächsten. Dabei hält er das konstante Energielevel weniger durch Geschwindigkeit, sondern durch eine ungemein hohe Intensität, die sich aus der Vielschichtigkeit der Selektionen speist. Diese eher konventionelle, betont tiefsinnige Techno-Vision setzt damit nachdrücklich einen Kontrapunkt zu den wieder aufkeimenden Exzess-Spielarten von Gabber, Hardcore und Trance. Während andere Interpreten in ihren Mixen teilweise stark von ihrem Sound als Producer abweichen, hat man hier durchweg das Gefühl, dass es ausschließlich Eigenproduktionen sein könnten, die sich grollend übereinanderschieben. Auch deshalb fällt es schwer, einzelne Tracks zu nennen, die aus der öligen Masse hervorzustechen wissen.
Beim Hören der druckvollen Sounds, die sich der Bigroom-Kompatibilität nicht verweigern, fällt es schwer, sich Igarashi beim Aufnehmen des Mixes in einem Studio vorzustellen. Zwangsläufig schießen entweder Bilder großer Open Air-Crowds oder zumindest Berghain-ähnlicher Indoor-Dancefloors in den Kopf. Konzeptuell bleibt der Mix dabei aber traumwandlerisch stilsicher und glücklicherweise zu unstet, um der marodierenden Turnbeutel-Sektion zum Opfer zu fallen. Maximilian Fritz