Blue Hour – Fast Forward Productions Remixes (Blue Hour)
So ganz wird man das Gefühl von Zeitreisen ja nicht los bei dem Sound, der auf dem Kopenhagener Label Kulør an der Tagesordnung ist. Techno mit viel Freude an Trance gehört zum Markenkern. Für den hat man im Schaffen des in Berlin ansässigen Produzenten Blue Hour eine passende Blaupause gefunden. Sein Techno-Sound bietet sich bestens an für die frontale Verschärfung, mit der etwa DJ Ibon den Track „Midnight Sun” zurechtschneidert. Unter die synkopierten Congas von Blue Hour schiebt er gleich zu Beginn einen Acid-Bass, der durch erstere schön aufgelockert wird und nach und nach den Blick auf Streicher und andere sanftere Elemente freigibt. Rabiater verfährt Repro in seinem Remix von „Moments“: Die unruhige Start-Stop-Rhythmik der Vorlage bekommt bei ihm erst einmal eine Begradigung mit durchgehendem Beat verordnet. Pausen gönnt er sich nur wenige. In die entgegengesetzte Richtung geht schließlich Sugar bei „Radiance/Limelight“. Wo das Original mit Stroboskop-artigem Synthesizer für Reibung sorgt, nimmt sich der Remix erst einmal in den Effekten zurück, konzentriert sich stattdessen auf ein polyphones Geflecht über strammem Beat, aus dem er dann seine Bewegungsenergie gewinnt. Sehr dicht, das alles. Tim Caspar Boehme
Landlord – I Like It (Reissue & The Maghreban Remix) (Blow Out Dub)
In den Jahren 1990 bis 1993 ist im Schnitt so ungefähr jede zweite Woche eine Platte erschienen, auf der die längst ikonischen Pianoakkorde dieses kanadischen House-Tracks von 1989 zu hören waren. Landlords originale Vocal-Version von „I Like It” werden wohl die wenigsten Leute gekannt haben, auch der „Blow Out Dub” war wohl weit weniger präsent als die Stücke, auf denen er zu hören war. Diese Pianoakkorde steckten im Outlander-Rave-Klassiker „Vamp” und in unzähligen Breakbeat-, Hardcore- und Drum’n’Bass-Tracks, so etwa von Goldie, SL2, DJ Seduction, The Prodigy, Manix/4Hero, Acen, D-Force und vielen anderen. Das 2019er-Reissue enthält neben dem Original-Dub noch einen Remix von The Maghreban. Der Engländer schleicht sich von einem Breakbeat ausgehend minutenlang an, um dann im Outlander-Stil mit dem Sample zu spielen. Man erwartet die ganze Zeit, dass der Londoner es jeden Moment so richtig krachen lassen wird. Aber letztlich bleibt es bei der Andeutung und dem Antäuschen. Gemein eigentlich. Holger Klein
LSD – Second Process (LSD)
Was passiert, wenn sich drei Technoveteranen hinters Pult klemmen und gemeinsame Sache machen? Im Fall von Luke Slater, Steve Bicknell und Dave Sumner alias Function ist die Frage schnell beantwortet: Knüppelharter Techno knallt mit im soliden Stampfer-Tempo aus den Lautsprechern und basst alles aus dem Weg, bis nur noch Kiefer im Darkroom herumklappern. Der gemeinsam von Luke, Steve und David ausgeknobelte Projektname ist schließlich Programm: LSD, die psychedelisch-verdrogte Seite von Techno, oder das, was einen um halb 5 in der Früh im Club die Zeit vergessen lässt, weil der Beat sich nicht ändert und im Kopf doch alles anders ist. Was 2016 mit einem gemeinsamen Auftritt im Berghain begann und sich 2017 in Process, der Debüt-EP auf Ostgut, manifestierte, setzt das Trio, das zusammen sechs Jahrzehnte Cluberfahrung aus ihren Laptops quetscht, konsequent fort. Second Process liefert sechs neue Bretter, die schwarze Löcher verschwinden lassen und sich ganz in Slaters Planetary Assault Systems-Modus in eine flackernde Galaxie aus Bleeps und Geflirre katapultieren. Verschnaufpausen sind auf diesem Trip keine vorgesehen. Braucht es aber eh nicht. Wer sich darauf einlässt, hat schon an der Uhr gedreht. Halleluja, das ist die Offenbarung des Bösen, das einen über fünf Tracks mit vibrierenden Gitterstäben zwischen den Zähnen niederboxt und nur auf dem verspielt-dubbigen „Process 9” die Hand reicht. Nächster Halt: Afterhour! Christoph Benkeser
Silicon Scally – Skoda Banger (Cultivated Electronics)
Was haben der bekannte britische Electro-Produzent Carl A. Finlow und das kultige BBC Automagazin Top Gear gemein? Beide haben einen Faible für den Kompakt-SUV eines tschechischen Herstellers, den Skoda Yeti. Während Finlow als Silicon Scally nicht nur seine neue Platte nach seinem Auto benannt und das Titelstück dort auch produziert hat, bezeichnete Top Gear den Yeti als „bestes Auto der Welt”. Dementsprechend scheppert der „Skoda Banger” durch Stadt und Gelände. Je nachdem, ob man die City- oder die Outdoor-Version gewählt hat. Kantige Breakbeats, knallende Snare, röhrende Synths, hyperaktive Arpeggios, das Grundrezept eines soliden Electro-Knallers. Selbes Schema in mal höherem, mal niedrigerem Tempo auf den übrigen drei Tracks. Düster, ruppig und maskulin ist die Platte und reiht sich damit problemlos in den umfangreichen Output von Finlow und seinen Pseudonymen ein, ohne dabei jedoch nennenswert aus der Diskographie herauszustechen. Felix Hüther
VTSS – Identity Process (Repitch)
Wo beginnen? Die polnische Künstlerin Martyna Maja alias VTSS ist nämlich gerade so rasant am durchstarten, dass man ihr nur wünschen kann, sich besser gut an der Hype-Rakete festzuhalten. War sie bisher primär für ihre langjährige Residency bei den Brutaż-Clubnächten bekannt, kam letztes Jahr die Teilnahme an der Red Bull Music Academy, dann das Signing mit der renommierten New Yorker Discwoman-Agency, neue Releases links und rechts und nicht zu vergessen: Die Frau tourt ja auch noch mit ihrem voll-auf-die-Zwölf-Live-Set durch die Lande. Ihre ganz eigene Fusion aus Techno, Rave und Hardcore zeigt die selbsternannte „einsame Wölfin” jetzt auch auf ihrem Repitch-Debüt. Die vier Tracks sind so unverschämt hart und rastlos, dass man sich erst mal einen kurzen Moment daran gewöhnen muss. „Bring The Noize” bringt dann definitiv auch the Noize mit sich, watscht einen mit brutalen Drums ab und haut einem ravey Synth-Stabs und Vocal-Samples um die Ohren. Der zweite Banger, „Code Red”, setzt ebenfalls auf Klotzen statt Kleckern. Musik, die wie gemacht scheint für Nebelmaschinen im Dauerbetrieb, Strobo-Wahnsinn und zum Himmel gestreckte Hände. „Sensor” legt dann sogar nochmal eine Schippe drauf und verlässt sich auf immer wiederkehrendes Rave-Horn inklusive mehrerer cheesy Big Room-Techno-Drops mit anschwellenden Synth-Modulationen. Die Intention hinter den Tracks ist schon klar, weil einfach auch unmissverständlich, aber spätestens jetzt wirkt es doch zu arg forciert. Versöhnlich stimmt dann allerdings wieder der letzte Titel, der wesentlich hypnotischer daherkommt und sich selbst nicht die Luft zum Atmen nimmt. Wer sich die frühen Neunziger zurückwünscht und ganz weit hinten im Keller noch das alte, neonfarbene Rave-Outfit herumliegen hat, kann sich diese EP ja mal anhören und glücklich in Erinnerungen schwelgen. Andreas Cevatli