Zum nunmehr siebten Mal fand am vergangenen Wochenende das Lighthouse Festival im Westen Kroatiens, nahe des Küstenortes Poreč, statt. Da die Organisatoren aus dem Umfeld der ehemaligen Pratersauna in Wien stammen und der Ort „nur“ rund sechs Stunden mit dem Auto von Wien entfernt liegt, trifft sich hier vor allem ein österreichisches und zu geringeren Teilen deutsches Publikum. Dass von einer der vorbeischippernden Bootspartys auch mal „We’re Going to Ibiza” von den Vengaboys rüberschallte, war daher keine Überraschung. Vieles andere aber schon: Über das weitläufige Gelände waren zahlreiche Bühnen verteilt. Einige fest installiert; andere, wie die HipHop-Poolparty mit der Live From Earth-Gang und dem Heidelberger Rapper Skinny Finsta oder die Party in einer Pizzeria mit Alexander Robotnick, nur temporär. Genoss man gerade eine Pause auf dem Balkon des Hotelzimmers oder am Strand, wehte immer wieder ein schwer zu verortender Bass an, der Lust auf Tanzen machte. Groove war mit zwei Personen vor Ort. Und da vier Augen und Ohren bekanntlich mehr sehen als zwei, stellen Raoul Kranz und Cristina Plett jeweils ihre Highlights vor – in mehr oder weniger chronologischer Reihenfolge.

1 Der Sonnenuntergang vom Beachfloor aus. Foto: Cristina Plett
Der Sonnenuntergang vom Beachfloor aus. Foto: Cristina Plett

Octo Octa b2b Eris Drew

Das Herzstück des Festivals stellte der Beachfloor dar. Bis auf eine Pause zwischen sechs und zehn Uhr lief hier nahezu konstant Musik. Die Vorstellung, was man im Vorhinein vom Festival hatte – Tanzen direkt an einer wunderschönen Küste – fand hier seine reale Entsprechung. Im Schutze einer steil abfallenden Felswand blickte die DJ-Booth aufs Meer (und abends auf den Sonnenuntergang), mit zusätzlichen Boxen entlang des Steinstrandes wurden alle Sonnenanbeter*innen beschallt. Einige DJs ließen sich von der Kulisse augenscheinlich ein wenig zu sehr beeinflussen und spielten es angenehm und safe, House ohne große Ecken und Kanten. Als sich die Sonne am Freitagabend zu senken begonnen hatte, traten jedoch Eris Drew und Octo Octa an die Decks. Neben einer gemeinsamen EP für naive aus dem letzten Jahr spielen sie immer öfter zusammen. Außer ihrem musikalischen Geschmack und ihrer Identität als Transfrauen sind die beiden nämlich zusammen. Diese tiefe Verbindung merkte man: Während ihres Sets sprangen sie gut gelaunt umher und die Auswahl verströmte nicht nur good vibes in Reinform, sondern klang auch wie aus einem Guss. Der Grundstock ihres Sets war ein pumpender House-Sound, stellenweise tribal und breakig. Immer wieder streuten sie wilde Acid-Melodien, Piano-Riffe und sogar Vocals ein, die als Schlaglichter fungierten. Gegen Ende des Sets zu Mitternacht wurde aus der nachmittags noch entspannten Strandparty ein Rave. Inklusive Klassiker wie Kinetic im Frank De Wulf Remix von den Golden Girls. Vor allem Eris Drew proklamiert ja immer wieder, an die heilende Kraft von Musik zu glauben. In ihrem Set mit Octo Octa wurde diese Kraft greifbar. Cristina Plett

2 Der Nassraum wartete mit einer effektiven wie beeindruckenden Beleuchtung auf. Foto: Hennes Weiss.
Der Nassraum wartete mit einer effektiven wie beeindruckenden Beleuchtung auf. Foto: Hennes Weiss.

Ilian Tape-Showcase

Trotz des diversen und starken Bookings kamen Liebhaber*innen zerbrochener Beats und experimentierfreudiger Electronica selten auf ihren Geschmack – vielleicht war die Stimmung dazu einfach auch zu sonnig. Anders gestaltete sich das allerdings Freitagnacht beim Ilian Tape-Showcase im Nassraum: Nach einer erstklassigen Vinyl-Selection aus rawem Acid Techno, aber teils schwierigen Übergängen von Neuzugang Konrad Wehrmeister packte mit Andrea ein Label-Mitglied der ersten Stunde sein Liveset aus. Eiskalt zog der Turiner Produzent seine hämmernden IDM-Kickdrums und melancholischen Synth-Sounds durch und schraubte live unter anderem an Material seiner letzten EPs, während Strobo und LED-Röhren an der Decke tanzten. Als nach seinen ausgefeilten Bass-Hybriden das erste peitschende Techno-Brett durch das knackige Lambda-Labs-System pumpte, war alles zu spät. Die Münchener Labelgründer Dario und Marco aka Zenker Brothers sorgten im Anschluss mit einem ausgedehnten b2b-Set für einen krachenden Rave, bis Stenny die Gäste in den Sonnenaufgang schickte. Perfekt passte das Showcase auch zum zerfallenen industriellen Charme des Nassraums mit blinkenden Installationen aus kaputtem Büroinventar, der übrigens mit (überzogenen) Berghain-Vergleichen überhäuft wurde. Der umliegende Einkaufszentrum-Komplex mit Ost-Charme beherbergte nachts noch weitere Floors wie das Miami Beisl für Spielarten um die 160BPM oder die Zodiak Arena für Live-Acts. Raoul Kranz

3 Der Autodrome. Foto: Hennes Weiss.
Der Autodrome. Foto: Hennes Weiss.

Autodrome

Ein Gegenstück zum Beachfloor oder der nachts geöffneten Mainstage am Strand bot neben dem Nassraum eine sehr ungewöhnliche Bühne: Eine Autoscooterbahn ohne Autos – der Autodrome. Was mit einem Rollerskater-Workshop am Donnerstag noch spielerisch begann, wandelte sich mit der Zeit zu einer Partyhalle. Mitten im Wald gelegen und nachts vor allem durch seine bunt blinkenden Lichter auffindbar, wurde die auf der Bahn tanzende Crowd stellenweise wortwörtlich zur Affenbande im Käfig. Links und rechts war der Floor durch Gitter von der Außenwelt getrennt, an der Decke drehten sich die Discokugeln und der Sound war – wie auf nahezu jeder Bühne des Festivals dank Lambda Labs– und Funktion One-Anlagen – sehr gut. Der Frankfurter Ludwig A. F. Röhrscheid beispielsweise köchelte in der Samstagnacht den locker gefüllten Floor mit einer Mischung aus geradeheraus treibendem Chicago House und bassigeren Tracks wie „3.6“ von E-Unity zu einer dichten Crowd hoch. Als Solar danach übernahm, bot er seine eigene Interpretation eines vollen Floors an und peitschte mit Techno los. An anderen Tagen konnte man im Vorbeigehen House-Hits hören. Damit bewies der Floor eine große Vielseitigkeit bei gleichzeitig starkem „Markenkern”, wie man im Marketing sagen würde. Ein Highlight für sich. Cristina Plett

4 Nicht der Nature Playground, sondern die Mainstage bei Nacht. Foto: Hennes Weiss.
Nicht der Nature Playground, sondern die Mainstage bei Nacht. Foto: Hennes Weiss.

Wilde Renate

In einem Wald etwas weiter vom Strand entfernt lud der Nature Playground zu Afterhour-Sessions bis in den Nachmittag. Mit dem Charme eines illegalen Open-Airs und inmitten uriger Holzkonstrukte und alter Bootswracks bot der Floor eine schöne Alternative zum Festivalgetummel. Neben ItaloJohnson und Ateq überzeugte vor allem Michal Zietara am Samstagmittag in bester Feierlaune. Bei seinem Closing-Set mixte der langjährige Renate-Resident mit neuem Label Loser Records funktional-verspielte House-Grooves mit Feelgood-90er-Sound und ravigen Oldschool-Vibes und musste sogar noch eine Zugabe drauflegen. Seine Kollegen Peak & Swift räumten im Anschluss bei einer Super Mario-Villenparty mit slowen House-Tools ab und trafen mit ihren reduzierten Grooves die Stimmung der feierwütigen und sonnenverwöhnten Crowd – darunter ein todschicker Edit von Molokos „Bring It Back”. Raoul Kranz

5 Dieses Foto entstand nicht während des Sets von Luca Lonzano, sondern bei der Boiler Room-Session. Foto: Cristina Plett
Dieses Foto entstand nicht während des Sets von Luca Lozano, sondern bei der Boiler Room-Session. Foto: Cristina Plett

Luca Lozano

Auch wenn es über alle Tage verteilt insgesamt rund elf Bühnen gab, war ein weiteres Highlight erneut am Beachfloor zu finden. Zur gleichen Tageszeit wie Eris Drew und Octo Octa in der Nacht zuvor, schaffte es Luca Lozano, Co-Besitzer von Klasse Wrecks, hier ab 21 Uhr eine inzwischen etwas durchgefeierte und von der Sonne gestochene Crowd erfolgreich in die letzte offizielle Nacht des Festivals zu führen (abgesehen von der familiären Afterhour im Nassraum in der Nacht zu Montag). Und das, obwohl parallel auf dem Mainfloor der secret act Dixon spielte. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass „Party!“-schreiender House der Sound des Festivals schlechthin ist. Nicht immer konnte das Publikum dafür die Energie aufbringen. In der Kombination aus letztem Festivalabend und Trance- und 90s-Rave-Elementen, die Lozano (dessen bürgerlicher Name übrigens Lucas Hunter ist) immer wieder einbrachte, funktionierte es doch. So stand bei ihm ein Trance-Klassiker wie „Country & Western“ von Reincarnation gleichberechtigt neben einem Remix von „Supermodel (You Better Work)“ von Drag-Queen-Ikone RuPaul, inklusive des Ausrufs „Sashay! Shantay!” Das beste Symbol für die Stimmung waren wohl zwei Männer, die Luca Lozano immer wieder mit „Luca, Luca!“-Rufen anfeuerten, als sei er eine Fußballmannschaft. Auch eine kurze Bedrohung durch einige kleine Regentropfen konnte dem Ganzen nichts anhaben.

6 Ambiance Floor, Lighthouse Festival 2019
Der Blick vom Ambiance Floor gen Sonnenuntergang. Foto: Cristina Plett.

Ambiance Floor

Verschnaufen oder in Trance abtauchen ließ es sich auf dem Ambiance Floor in einem malerischen Wäldchen oberhalb der Hauptbühnen mit Postkarten-Sonnenuntergängen und Blick aufs Meer. Fast durchgängig lief hier ein abwechslungsreiches Programm zwischen obskuren Psychedelic Tunes und experimentellem Ambient bis hin zu Goa-angehauchtem Downtempo und elektronischen Live-Performances. Künstler*innen, die bereits die großen Bühnen bespielt hatten, konnten hier eine andere Seite präsentieren, etwa besagter Konrad Wehrmeister, Zenker Brothers oder Candy Pollard und Finn Johannsen, die schon Donnerstagmittag bei der Boiler Room-Session b2b unterwegs waren. Außerdem gab es eine Modular-Session, Jams mit Bands wie Carl Gari sowie ein Showcase des Femdex-Kollektivs. Dazu ließen sich die Besucher*innen einfach auf Matratzen und Teppiche fallen oder tanzten für sich ganz in ihrer eigenen Welt. Raoul Kranz

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