Die dänische Synthpop-Band Gooms ging auf ihrer zweiten LP V1 (Descent) (Anyine) den Weg und nach innen (und wie der Titel andeutet nach unten). Statt jugendlichem Überschwang und punkigem Elektropop gibt es introvertierte und durchgehend instrumentale Post-Rock-Electronica, die sich immer noch zu hymnischen Songfragmenten aufschwingt, sie aber im gleichen Augenblick wieder in melancholischer Gelassenheit wieder ruhig stellt. Der von den Gooms ziemlich ungewöhnlich und sehr stark in den Vordergrund gerückte Klang einer akustischen Gitarre hält das Album zusammen. Der höchst variable, sich immer verschiebende und verwindende Sound des britischen Postrock-Konglomerats A-Sun Amissa um die Violinistin Angela Chan (unter anderem bei Placebo), Klarinettist Gareth Davis und Elektroniker Richard Knox (Shield Patterns) konzentriert sich auf Ceremony In The Stillness (Consouling Sounds) ebenfalls auf den Klang der Gitarre, genauer gesagt, der elektrischen Gitarre. In den heftigeren, einer Überwältigungsästhetik zugeneigten Stücken des Albums kann das schon mal nach Mogwai im Overdrive-Modus klingen. Spannender sind die Stücke, in denen die Gitarren weniger verzerrt sind und das subtil komplexe Bauprinzip der Stücke besser zum Vorschein kommt.
Stream: Eli Keszler – Flying Floor for U.S. Airways
Das Schlagzeug ist im Ambient an sich ein eher exotisches Instrument. Erst recht wenn es so Hochseil-artistisch und virtuos gespielt wird wie vom New Yorker Improv/Free Jazzer und Elektroniker Eli Keszler. Der beherrscht alle Tonlagen des experimentellen von disruptiv, konfrontativ, hochkonzentriert bis minimalistisch. Sein Soloalbum Stadium (VÖ Mitte Oktober) für das belgische Soundart-Label Shelter Press ist in dieser Hinsicht eine echte Überraschung. Keszlers tiefenverfrickeltes Extremdrumming erscheint hier wunderbar leicht und luftig, weil es zu jedem Zeitpunkt in eine organische Soundumgebung aus entspannten Flächen und harmonischen Keyboards eingebunden ist mit der es auf dezente Weise kommuniziert. Dieser Kontrast birgt so gar keine unterschwellig verborgene Konfrontation. Nicht nur deswegen ist das Album ein echtes Kunststück und purer Ambient. Das japanische Duo Singū (die Brüder Kiyo Sadanaga und Keta Ra aus Hiroshima) betreibt Ambient als Extremsport aus dem Geiste von Spiritual Jazz und Prog Rock. Auf ihrem Debüt Siki (Growing Bin) tanzen irrwitzige Acid-Linien, knattern Speed-Gitarren und ein äußerst nervöser Drummer auf dem schmalen Grat zwischen komplexer Zuhörmusik und chaotischem Freakout. Damit wären sie in der jüngst erstarkten Jazz Szene, in der Kamasi Washington zum unverhofften Mainstream-Star wurde und altbewährte Improv-Powerplayer wie Peter Brötzmann ihren dritten Frühling erleben, schon sehr gut aufgehoben. Jedoch sind Singūs ungeduldige Jams immer in wohltemperierte Synthesizerflächen eingebettet, die den instrumentalen Eskapaden von Gitarre und Schlagzeug einen entspannten und ambienten Charakter geben. Gischt auf einem See aus Beschaulichkeit.
Stream: Singu – Siki (Clips)
Mit hibbeligem Pop und komplexen Rhythmen kennt sich der nach einem Intermezzo in Tokio wieder in seiner Heimatstadt Baltimore lebende Dustin Wong ebenfalls sehr gut aus. Sein jüngstes Soloalbum Fluid World Building 101 With Shaman Bambu (Hausu Mountain) knüpft unmittelbar an seine Arbeiten mit Takako Minekawa an, seiner langjährigen Kollaborationspartnerin in Japan. Vorwiegend instrumentale Electronica die auf moderne und halbironische Weise in tausendundeinem kleinen Soundschnipseln aus Gongs, Percussion, Exotica und asiatischen Klischeesounds schwelgt, sich aber ebenso tief vor der japanischen Avantgarde der achtziger Jahre, vor allem vor der wunderbaren Midori Takada verbeugt. Die australische, vor kurzem nach Berlin expatriierte Gitarristin Julia Reidy fabriziert so entspannte wie fremdartige Atmosphären allein mit ihrem vorwiegend akustisch und unverzerrt gespielten Soloinstrument. Ihr drittes Album Beholder (A Guide To Saints/Room40) setzt sich in die Spuren des „American Primitive“-Folks, Blues & Country von Harry Smith bis John Fahey und die abseitigeren Soloexkursionen Neil Youngs. Die erstaunlich gemütliche und überaus angenehme Seltsamkeit ihrer Töne resultiert bei Reidy weniger aus einem archaischen Klangbild oder schwerwiegenden Kontexten und Inhalten denn aus den mikrotonalen Freiheit, die sie ihrem Instrument gibt. Immer knapp vorbei an harmonischen Skalen und modaler Improvisation praktiziert sie Solo eine Hybridisierung von Free Jazz und Neuer Musik, wie sie es beim Berliner Splitter Orchester in deutlich größerem Rahmen tut. Auch das kann Ambient heute sein.