1990 habt ihr euer Label Ninja Tune gestartet. Was gab den Ausschlag dafür?
More: Wir wollten unsere Freiheit zurück.
Black: Am Anfang hatten wir totale Freiheit. Aber irgendwann wachten wir auf und realisierten, dass man aus uns ein Produkt gemacht hatte. Wir hatten die Kontrolle über unser Schaffen verloren. Durch Verträge mit Plattenfirmen und Managern. Wir wussten, dass wir nicht auf Knopfdruck Hits abliefern konnten. Darauf hatten wir auch keinen Bock. Wir wollten lieber unsere Cut-up-Experimente weiterführen. Und mit einem eigenen Label war das möglich. Außerdem wollten wir fair bezahlt werden. Bei der Bilanzprüfung von unserem damaligen Label Big Life kam heraus, dass sie uns 300.000 Pfund schuldeten.
Wie konnte das passieren?
Black: Viele Labels haben einen Künstler, der sich gut verkauft. Und mit diesem Künstler finanzieren sie ihre Artists, die sich weniger gut verkaufen. Das ist verständlich, aber es führt dazu, dass die erfolgreichen Künstler nicht das Geld verdienen, das ihnen zusteht. Als wir Ninja Tune gründeten, lautete unser oberstes Prinzip: Bei uns steht der individuelle Künstler im Zentrum, nicht das Business.
Schon die frühen Releases auf Ninja Tune, allen voran die Jazz Brakes-EPs von DJ Food, waren sehr erfolgreich. Was war die Idee dahinter?
More: Im HipHop gab’s Breakbeat-Platten, das waren Werkzeuge für DJs. Um 1990 herum waren James-Brown-Platten als Sample-Quelle schon ziemlich abgegrast und der Jazzeinfluss im HipHop wurde stärker. Deshalb machten wir eine Jazz-Breakbeat-Platte – unter dem Namen DJ Food.
Weshalb das Pseudonym?
More: Sagen wir es so: Wenn du als Schriftsteller einen Kitschroman veröffentlichst, wählst du ein Pseudonym, damit du das Geld aus den Verkäufen in deine experimentellere Arbeit stecken kannst.
Black: Das sehe ich gar nicht so. (lacht) DJ Food war kein Kommerzprojekt! Ehrlich, Jon, wir haben doch nie Musik mit Verkaufsabsicht gemacht, oder? Die Platten waren als Werkzeuge gedacht. Eine ähnliche Idee verfolgen wir ja auch mit unseren Musik-Apps wie Ninja Jamm: Werkzeuge für unser kreatives Schaffen herzustellen. Wir arbeiteten zu der Zeit auch mit britischen MCs, aber irgendwie klappte das nicht richtig. Deshalb dachten wir, okay, wir machen einfach instrumentalen HipHop – und verwenden Spoken-Word-Samples als Texturen, um die Tracks interessanter zu machen.
More: Wir hatten auch schon unsere Solid Steel-Radioshow, bei der wir viel mit Spoken-Word-Samples arbeiteten, weil wir dieses typische „Hey Kids, wir sind die DJs“-Radiogequatsche zwischen den Tracks vermeiden wollten.
Black: In diesem experimentellen Ansatz hatten wir unseren US-Kollegen gegenüber einen Vorteil: Durch die starke Präsenz von jamaikanischer Soundsystem-Kultur in London waren wir mit Dubmusik sehr vertraut. Und wir dachten uns: Warum wenden wir die Techniken von Dub nicht auf HipHop an? Wir besorgten uns ein billiges Digital-Delay und schickten unsere Beats durch. Auf „Kick Out The James“ [1988 veröffentlicht unter dem Coldcut-Pseudonym Floormaster Squeeze, Anm. d. Aut.] hört man unseren Dub-Einfluss sehr stark.
1988 habt ihr euer Multimedia-Projekt Hex ins Leben gerufen. Zu einer Zeit, als Multimedia noch kein abgedroschenes Schlagwort war und die kunstvolle Verknüpfung von Musik und Video noch in den Kinderschuhen steckte. War MTV damals für euch eigentlich Inspiration oder Fluch?
Black: Das einzig Gute an MTV waren die Video-Jingles. Die Musikvideos waren Mist. Viel wichtiger war für mich die Erkenntnis, dass man Computer nicht nur zum Tabellenerstellen verwenden kann. Ich erinnere mich an den Tag, als ich im Kaufhaus Selfridges die 3D-Animation eines Jongleurs auf einem Amiga-Computer laufen sah. Ich dachte mir, wow, damit könnte ich selbst einen ganzen 3DFilm erstellen. Und, noch besser, Videos samplen, so wie wir es bereits mit Musik machten. Das war eine Offenbarung, die unsere Arbeit als Coldcut bis heute prägt.