Fotos: Presse (Claro Intelecto)
Auch ohne regelmäßigen Output konnte der britische Technoproduzent Mark Stewart alias Claro Intelecto dem Genre dieses gewisse Quantum Soul verabreichen, das seine opulent arrangierten Tracks zwischen Deep House, Detroit Techno und dubbiger Staffage wie ein Markenzeichen durchzieht. Nach seinem Meisterwerk Reform Club von 2012 kehrt der Mann aus Manchester mit einer neuen LP zurück.
Es stimmt schon irgendwie: Ohne Abschied kann es auch kein Wiedersehen geben. Mark Stewart hat sein Projekt Claro Intelecto zwar nie offiziell beendet. Und trotzdem ist das Von-der-Bildfläche-Verschwinden ein klassischer Move für den Mann aus Manchester, der schon immer so eine Art Antiheld war: öffentlichkeitsscheu, selbstlos, der Gegenentwurf zum karrieristischen Künstler. Auch ohne regelmäßigen oder gar riesigen Output konnte der Technoproduzent in der vergangenen Dekade dieses gewisse Quantum Soul verabreichen, das seine opulent arrangierten Tracks zwischen Deep House, Detroit Techno und dubbiger Staffage wie ein Markenzeichen durchzieht. Eine Wärme, so reich an melodischer Klarheit und gefühlvollen Rhodes-Keys, die bereits seine erste Platte zum zeitlosen Klassiker machte: „Peace Of Mind“ als Kreuzung von IDM und Electro offenbarte 2003 einen Neuanfang, als Minimal gerade in Sackgasse steckte.
Damals war Stewart aber eher Hobbymusiker, obschon seine Sozialisation kaum prägender hätte sein können: Als er Ende der Achtziger gerade mit der Schule fertig ist, explodiert in „Madchester“ die neue Jugendkultur: Rave, Acid House, der Second Summer of Love, 808 State Newbuild und in der Haçienda wurde zu den ersten Warp-Platten von LFO getanzt. Als später Trance den Clubsound beherrschte, geht Stewart seiner Kunstpassion nach, schließt sein Studium ab und arbeitet – bis heute noch – als Grafikdesigner. Stewart selbst sagt, dass seine Arbeit für die Musik, die er macht, keine Bedeutung hat. Trotzdem zieren seine Arbeiten die Sleeves von zwei seiner LPs, darunter auch das 2004 veröffentlichte Debütalbum Neurofibro, benannt nach der Erbkrankheit Neurofibromatose, von der Stewart betroffen ist. In den Jahren darauf erweiterte Stewart die Crew um Modern Love und trug mit seinem zweiten Album Metanarrative und der „Warehouse Sessions“-Reihe seinen Teil dazu bei, dass aus dem kleinen Label eine internationale Qualitätsadresse wurde. In Stewarts Augen entfernte sich Modern Love vor der Millenniumwende aber zunehmend von der Art Techno, den er 2012 – nach seinem Wechsel zu Delsin Records – mit Reform Club zur Formvollendung brachte.
Das dritte Claro-Intelecto-Album ist eine der besten LPs dieses Jahrzehnts und gleichzeitig das Destillat seines Sounds: melancholisch, aber rough, romantisch und doch düster, verträumt, aber stets dynamisch. Das Album ist ein kohärentes Meisterwerk, das sich wie ein persönliches Statement, ja wie ein Abschied anfühlte. Fünf Jahre später ist der heute 44-Jährige, so sagt er im Spaß, zurück aus dem Zeugenschutzprogramm.
In vergangenen fünf Jahren ist es ruhig um dich geworden. Was waren die Gründe für deinen Rückzug aus der Szene?
Man könnte fast sagen, dass ich eine neue Identität angenommen habe. Ich wusste schon 2012, als Reform Club veröffentlicht wurde, dass ich nach einer kurzen Tour wieder umswitchen würde, um zurück im normalen Leben ein toller Dad zu sein. Damit will ich nicht sagen, dass DJs nicht auch gute Väter sein können, während sie ihrer Musikkarriere nachgehen. Es ist nur schwieriger, auch alles unter einen Hut zu bekommen. Doch eins, was ich in den vergangenen fünf Jahren gelernt habe: Ein Kind benötigt deine Zeit mehr als alles andere. Und zurückblickend habe ich genau die richtige Entscheidung getroffen.
Kennt dein Sohn deine Musik?
Mein Sohn Harry ist acht Jahre alt. Er weiß von meiner musikalischen Vergangenheit, hat aber keine Erinnerung daran, weil er 2013, als ich meinen letzten Gig hatte, gerade mal vier war. Wir spielen viel Musik im Auto, ich schaue dann in den Rückspiegel, um seine Körpersprache zu lesen. Wenn er ruhig bleibt, ist das in der Regel ein Zeichen, dass er den Track mag. Wir sind aber auch vorsichtig mit einigen Genres wie HipHop, gerade wegen der ganzen Schimpfwörter. Aus allem, was wir ihm vorgespielt haben, mag er am meisten De La Soul, Justin Timberlake und Aphex Twin.
Siehst du dich aufgrund deiner Vaterrolle und der Arbeit als Grafikdesigner nun eher als Teilzeitkünstler?
Ich habe realisiert, dass ich nicht aus dem Holz geschnitzt bin, um regelmäßig und über einen langen Zeitraum Bookings nachzugehen. Ich bin außerdem nicht produktiv genug, um Releases wie am Fließband zu veröffentlichen. Wenn ich im Musik-Modus bin, ja, dann bin ich ein Vollzeitkünstler. Ich würde mich in erster Linie auch immer als Musik-Menschen bezeichnen. Doch wenn ich wieder Abstand nehme, dann ziehe ich mich auch wirklich komplett zurück: kein Social Media, nichts. Und mit einem jungen Sohn in der Gleichung war es eine leichte Entscheidung, eine Pause zu machen.