Fotos: Hans Arnold (Monticule Festival)

So sieht das also aus, wenn eine musikbegeisterte Münchner Clique Utopia entwirft: Es gibt vormittagliches Yoga, Prosecco, Craft Beer und nachts dann einen Rave. Aber fangen wir woanders an. Beim AS St. Etienne am besten, immerhin 8. der abgelaufenen Ligue 1-Saison. Die Verantwortlichen des Vereins hatten vor gut 25 Jahren die Idee in Okzitanien (damals noch: Midi-Pyrénées) auf diesem Hügel ein Trainingsgelände zu bauen, topmodern und mit Lift ausgestattet. Ein Typ sammelte die Spenden ein, so die Legende, und setzte sich mit der Kohle nach Mexiko ab. Keine High-Tech-Fussball-Anlage also. Stattdessen war der Weg frei für Richards Mum.

Richard gehört zu der eingangs erwähnten Münchner Crew. Seine Mum kaufte das wunderschöne Land und machte die Domaine De Gayfié daraus – ein Ort zum Leben, Urlaubmachen und Hochzeitenfeiern. Jetzt, gute 25 Jahre später eröffnet Richard als Richie die Wasserrutsche in den Pool und ist nackt. Und am Beckenrand sitzen hübsche Frauen mit Sonnenbrillen und klatschen. Das Monticule ist, die Lage auf dem Hügel bietet den Vergleich an, so etwas wie der auf fünf Tage verdichtete Versuch einer 2017er-Version des Monte Verita.

Friedlich und im Einklang mit der Natur soll das ein großes Miteinander sein. Mütter sind erlaubt, Kippenstummel auf dem Boden nicht. Das Monticule fühlt sich an wie Urlaub, statt tristem Animationsprogramm gibt es abends nur eben Beckenbodengymnastik bei 130bpm und anstelle von sardinenbüchsenhaftem Panikcampen stehen Platz, Bäume und die Möglichkeit auf Eiskaffee am Morgen auf dem Programm. Niemals muss man sich zwischen zwei Acts entscheiden. Erst kommt der eine, es wird kurz komisch, und dann kommt der nächste. Man duscht – bitte das Bio-Shampoo nicht vergessen – im Sonnenuntergang mit Blick auf das Tal.

Von links nach rechts: Klammerblues, Bio-Shampoo

Schon dort unten, bei der Anreise, ist alles schön. Fährt man den Lot entlang nach Carjac, hat sich die Reise bereits gelohnt, dann ein Sprung in die 84 Meter tiefe Quelle am Fuße des Hügels. Diesen führt ein Schotterweg hinauf aufs circa 40 Hektar große Festivalgelände. Um die 600 BesucherInnen müssten es in diesem Jahr, dem dritten der Festivalgeschichte, gewesen sein. Nicht anwesend: Cops. Der Bürgermeister der Stadt unterstützt das Festival. Die Region muss nun mal auch abseits seiner schönen Natur Anreize für Touris und potentiell Bleibende bieten, da kommt so ein Festival gerade recht. Die Jugendlichen zieht es in die weiter entfernten Städte, alleine Toulouse liegt knapp 150 Kilometer entfernt. Noch dominieren deutsche BesucherInnen den Hügel, das “M” ist das am weitesten verbreitete Autokennzeichen in dieser französischen Einöde, das “Servus” übertrumpft das “Salut” als geläufigste Begrüßungsformel. Guckt man sich die Teilnehmerliste auf Facebook an, sieht man viele gutgeduschte Menschen, die irgendwie alle schon mal auf Bali gewesen zu sein scheinen.

Von 18 bis 20 Uhr gibt es Abendessen, natürlich nur regionale Produkte. Man sitzt an einer langen Tafel, einer spielt Klavier während ein anderer mit offenem Hemd kostenlosen Prosecco ausschenkt. Nicht eine Bier-Bong ist auf dem ganzen Festival auszumachen. Und obwohl die Location ein Paradies für Hippies und/oder LARP-Fanatiker darstellt, tummelt sich nur eine zu vernachlässigende Zahl von Zauberern, Waldelfen und Menschen mit leuchtende Armreifen unter den Gästen. Das sind doch schon mal gute Neuigkeiten.

Servus, Gilb’r!

Mit dem Booking setzen die Veranstalter Kontrapunkte. Auf Peace und Love folgt hier eben nicht Harmony. Sondern Rødhåd. Der Rotbart bringt zwar seine Mutter mit, jagt dann aber einen dunklen Fleck auf das malerische Festival-Bild. Er spielt vier Stunden (länger als geplant, weil FJAAK nicht kamen – die scheiterten bei der Anreise an einem sauorangenen Fluganbieter) ein dystopisches Berghain-Baller-Set. Was ihn dabei von anderen DJs mit vergleichbarer musikalischer Vorliebe unterscheidet ist, wie viel Spitzen er in seiner 4/4-Stumpfheit unterbringt, wie viel Spannung er in einem Set ohne Überraschungsmoment aufzubauen in der Lage ist.

Hundert Meter hinter der Bühne geht es hunderte Meter in den Abgrund, es ist bis in die Endlosigkeit schwarz. Die Funktion-One donnert am dunkelsten Ort Europas, über den ekstatischen Ravern erstreckt sich der Sternenhimmel. Auch auf der zweiten Bühne, einem ehemaligen Schafstall, vornehmlich: ballern, ballern, ballern. Voiski, Psaum, Skee Mask, um nur einige zu nennen.

Wenn das Publikum Peak-Time hat.

Zwischen den Stages der nächtliche Gutshof mit seinen Steinhäusern. Unter Bäumen und Lichterketten liegen Freundinnengrüppchen auf Picknikdecken, streicheln sich den Rücken, die Pille drückt gerade ganz schön. Mit langsamen und fließenden Schritten waten bereits im Rausch Aufgegangene durch die Lichtinstallation, einige schwimmen leise im Pool. Am Rand erkennt man die Umrisse eines Menschen, der sich intensiv mit der Oberflächenbeschaffenheit des Wassers und dem Schwimmring beschäftigt.

Aber auch der Gute Launer-Raver kommt auf seine Kosten. Mehr Melodie, mehr Psych bei den Sets von Autarkic oder Red Axes, mehr Saxophon, graumellierter Dreitagebart und Kippen bei Gilb’R. Mittags an der Poolstage unter der Sprinkleranlage wird barfuß getanzt und zu Piano-House in die Hände geklatscht. Alle haben sich lieb. So richtig zu Brüdern und Schwestern werden sie späterr bei Young Marco. Der kommt etwas zu spät an, dafür aber richtig. Er spielt “Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)”: Dopaminhaushalte sind ein letztes Mal an diesem Wochenende komplett gefüllt und werden in einem finalen Rausch abrupt geleert.

Und so soll’s doch sein.

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