Aufgewachsen bist du in Offenburg, oder?
In der Nähe von Offenburg, zwischen Schwarzwald und Elsass. Heute passiert dort nicht mehr so viel. Es ist eine schöne, aber verschlafene Gegend, von Straßburg abgesehen. Den Leuten dort geht es einfach zu gut. Eine gesunde Subkultur kann da gar nicht entstehen. Man geht lieber auf ein Weinfest. Die Menschen in der Gegend sind Weltmeister im Erfinden von Festen. Für jedes Gemüse gibt es ein Dorffest.

Die Gegend zwischen Schwarzwald und Elsass ist in Sachen Küche ja auch nicht gerade uninteressant.
Ich war 15 Jahre lang Vegetarier. Der Schwarzwälder Schinken hat den Bann gebrochen. Wir waren im Schwarzwald spazieren und sind irgendwo eingekehrt. Meine Frau hat sich ein Schwarzwälder Schinkenbrot bestellt. Ich saß mit meinem Käsebrot am Tisch… Plötzlich fragte ich: Kann ich mal einen kleinen Biss probieren? Ich aß das ganze Brot auf. Das war’s dann mit dem vegetarischen Leben.

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Wann kamst du nach Köln?
Mit 20, nach dem Zivildienst. Das war eine spannende Zeit. Ich entschied mich damals bewusst gegen Berlin. In Köln war einfach mehr Platz. Auf der einen Seite gab es Whirlpool, auf der anderen Seite Cosmic Orgasm und das Warehouse. Die Musik, die ich damals mochte, fand nirgends so richtig statt, höchstens auf diese drei Achsen verteilt. Das Warehouse war nicht meine Szene, dort ging es sehr verdrogt zu und die Musik spielte bei 140bpm. Whirlpool war mir zu sehr Garage House, Cosmic Orgasm war jenseits aller Tempolimits unterwegs. Bei Cosmic Orgasm hatte ich zwar mit die besten Partys, aber musikalisch war das nie so meins. Also mussten wir selbst aktiv werden. So kam es zu den ersten Partys im IZ. Und als das Delirium in Köln aufmachte, war ich deren erster Kunde. Am Tag der Eröffnung stand ich vor der Tür, noch bevor der Laden auf hatte. Vorher konnte man in Köln nur zu Groove Attack gehen oder zu Music Works, dem Laden von Gerd Gummersbach, der auch immer ein paar House-Platten mitbestellte. Eine weitere Alternative war die verbotene Zone in der Südstadt, das MusicMan. Da fand man eigentlich immer gute US-House-Sachen in der Grabbelkiste, weil die DJs, die dort hingingen, solche Platten nicht mal mit der Kneifzange angefasst hätten. Der Inhaber von MusicMan war Yena Kisla, der auch das Warehouse gemacht hatte [Korrektur: Gemeint ist der 2015 verstorbene Produzent Gottfried Engels, Anm. d. Red.]. Eines Tages macht endlich ein neuer Plattenladen auf, auch noch ein Delirium, meine Erwartungen waren groß. Ich kam rein und sah nur drei Plastikkisten. In einer Kiste waren nur Platten von Pete Namlooks Label Fax, in der zweiten gab’s nur Zeug von Structure oder Monotone, also den ganzen Krawall von den Jungs [Ingmar Koch, Cem Oral, Jörg Burger und Wolfgang Voigt, Anm. d. Red.]. Und dann hatten sie noch eine Kiste mit Force Inc.-Zeug. Das war’s. Ich sagte: Das kann doch nicht euer Ernst sein? Ingmar Koch schaute mich mit großen Augen an, schob mir die Discomania-Liste rüber und meinte: Dann bestell’ halt selbst. Von denen war ja keiner DJ, die interessierten sich nur für ihre eigene Musik. Nach zwei Wochen fing ich an, dort zu arbeiten. Ein halbes Jahr später investierte ich die Erbschaft meiner Oma, tausend Mark, und wurde Teilhaber.

Rückblickend eine top Entscheidung, denn daraus sollte Kompakt werden. Was ist denn heute deine Rolle bei Kompakt, von den Geschäftsführertätigkeiten abgesehen?
Ich kümmere mich immer noch um das Label und mache die klassische A&R-Arbeit. Daneben müssen immer wieder Dinge angeschoben werden, weil sie nicht so recht laufen oder weil sich etwas Neues tut. Als wir zu einem Vertrieb wurden, war das anfangs eine Einmannshow – ein Telefon, ein Faxgerät und ich. Das war alles unglaublich viel Arbeit, aber mir machte das nie etwas aus. Ich fand es toll, nicht nur aufzulegen und selbst Musik zu machen. Ich hatte einen Grund, morgens aufzustehen und etwas sinnvolles zu tun. Hätte ich früher in meiner DJ-Karriere Vollgas gegeben, wäre ich heute vielleicht woanders. Aber ich bin im Reinen mit mir, ich denke, ich bin eher Working Class als der Privatjet-Typ. Wenn wir heute jemanden aus der jungen Generation neu einstellen oder einen Künstler signen, wird mir immer bewusst, was wir alles schon hinter uns haben. Inzwischen haben wir auch einen Auszubildenden. Der hat doch einen Traumjob im Vergleich zu den anderen auf der Berufsschule. Er ist immer von seiner Lieblingsmusik umgeben und lernt stets neue Sachen hinzu. Ich finde es fantastisch, dass so etwas heute geht. Damals wäre das undenkbar gewesen. Es ist wichtig, dass frisches Blut in die Firma kommt. Dass ich in diesem Alter noch immer diesen Beruf ausüben kann, darüber staune ich regelmäßig. Wenn ich auflege, verabschieden sich alte Bekannte und Freunde spätestens um fünf Uhr morgens. Worauf ich erstaunt sage: Was, wir fangen doch gerade erst an?. Deswegen gehe ich schon länger mit der Idee schwanger, sonntags so etwas wie einen Tea Dance auf die Beine zu stellen, von vier Uhr nachmittags bis Mitternacht oder so. Die Idee steht und fällt jedoch mit der Location. Man will den Sonntagnachmittag ja nicht in einem düsteren Kellerloch verbringen.

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