Wie kam es dazu, dass Joe Goddard dabei ist? Bist du Hot Chip-Fan?
Ja klar, ich liebe auch seine Solosachen. Und die Remixe spiele ich seit Jahren rauf und runter. Joe ist jetzt kein Freund von mir, aber wir kennen und schätzen uns. Er war einer der Risikokandidaten. Flugtickets waren gebucht, zwei Tage in Köln waren geplant. Ob wir im Studio zusammen ticken würden, konnte man vorher nicht wissen. Es hat aber super funktioniert. Ihn da zu haben, war wirklich schön.

Eine gewisse Pop-Ästhetik zieht sich ja durch das gesamte Album.
Durch mein gesamtes Schaffen! Ich bin nun mal in den Achtzigerjahren sozialisiert worden. Das ist eine Epoche, auf die ich immer wieder zurückgreife. Techno spiele ich ja auch mit einer Popbrille. Wie meine Sets aufgebaut sind, das hat mehr mit Pop zu tun als mit Tool-Techno. Das ist eine erzählerische Herangehensweise. Es muss nicht gesungen werden, aber ich betrachte jeden Track als Song. Mein Lieblings-Techno ist der, der an sich schon so gut erzählt ist, dass ich ein Stück von Anfang bis Ende spielen kann. Loop-Techno hat seine Daseinsberechtigung, aber wenn ich es mir aussuchen kann, dann bevorzuge ich den erzählerischen Ansatz. Ich bin auch nicht so ein Edit-Fuchs. Ab und zu fertige ich mal einen an, zum Beispiel wenn in einem Discostück so ein durchgedrehter Percussion-Part drin ist, so etwas säge ich ganz gerne mal raus. Oder ich verlängere ein Intro. Zuerst kommt bei mir aber der Respekt vor der Originalproduktion. Ich spiele gerne Musik, die schon so gut durchdacht ist, dass man sie nicht verändern muss.


Stream: Michael Mayer & Joe GoddardFor You

Welche Pop-Platten haben dich denn besonders geprägt?
Da ist tatsächlich sehr viel Synthesizer-Pop dabei – Pet Shop Boys, ABC, Heaven 17 oder Yazoo. Damals nahm ich gar nicht so bewusst wahr, dass das alles Synthesizer-Musik ist. Ich legte diese Platten auch auf, in den Maxiversionen. Pop und Dance, das waren für mich in jener Zeit eben nicht zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich mochte Popmusik, zu der man auch tanzen kann. Die Texte waren mir gar nicht so wichtig, was vielleicht damit zusammenhängt, dass ich in Deutschland aufgewachsen bin. Die Stimmen waren für mich einfach ein weiteres Instrument. Es hat zum Teil Jahre gedauert bis ich merkte, dass dieses oder jenes Stück auch einen super Text hat. Über die Pet Shop Boys lernte ich zum Beispiel viel Englisch, was in der Schule half. Manchmal wollte ich ja auch mitsingen.

Eines der auffälligsten Stücke des Albums ist “Und da stehen fremde Menschen”, produziert hast du den Track gemeinsam mit Barnt. Woher kommen die Vocals?
Früher machte man sich ja keine Gedanken, wenn man etwas sampelte. Das sieht heute anders aus. “Und da stehen fremde Menschen” enthält das einzige richtige Sample auf der Platte, das haben wir auch geklärt. Als ich eine Idee für das Barnt-Stück suchte, stolperte ich über eine Platte, die ich irgendwann mal bei Parallel gekauft hatte, weil das Cover so toll aussieht. Die Platte wurde auf Amiga, diesem DDR-Label, veröffentlicht. Stern Meißen hieß die Band. Die Musik bewegt sich zwischen Prog Rock und kosmischen Sounds, die Platte ist sehr komplex. Ich blieb an dieser einen Textzeile hängen, die ich schließlich aus dem Kontext nahm. Sie passte so wunderbar zu dem, was ich jedes Wochenende erlebe, wenn ich auflege. Ich stehe vor fremden Menschen, aber durch die Musik und das gemeinsame Feiern entsteht eine Nähe. Das ist für mich das Tollste am Auflegen. Und genau darüber singt der Typ auf der Platte. Ich dachte: ‘Das musst du unbedingt sampeln!’ Es war gar nicht einfach, das Sample zu klären. Die Bandmitglieder sind allesamt verstorben, also mussten Nachkommen ausfindig gemacht werden. Die Masterrechte an der Platte hält Sony. Ich sah das Stück schon vom Album fallen, denn mit Sony Samples zu klären, das kann extrem anstrengend sein. Doch wir hatten das Glück, dass bei Sony ein Mann sitzt, der extrem hilfsbereit und nett war. Jörg Stempel heißt er. Im Netz fand ich einen Artikel: Jörg Stempel, der Hüter des Amiga-Schatzes. Er hing sich richtig rein und machte dieses Sample möglich. Ich machte drei Kreuze, als es endlich geklärt war.


Stream: Michael Mayer & BarntUnd Da Stehen Fremde Menschen

So überraschend die eine oder andere Nummer auf deinem neuen Album ist – mit “Voyage Interieur” bekommt man einen Electro-Track, also das was man erwartet, wenn man den Namen Miss Kittin liest.
Eigentlich wollte ich einen Miami-Freestyle-Track schreiben, von diesem Sound bin ich ein großer Fan. Ich bin überhaupt kein Texter, aber ich habe zumindest versucht, es nachzuempfinden, worüber sie auf diesen Platten damals gesungen haben – also über Flirtsituationen in einem Club. Das Thema ist zwar ein bisschen dämlich, doch früher fand ich so etwas wunderbar. Worüber soll man auch sonst auf solch einem Track singen? Über die Liebe und den Club natürlich. Der Tag, an dem ich Caroline anrief, war der Tag der Brüssel-Attentate. Ich schilderte ihr, was ich mir so vorstellte, doch wir kamen beide zum Schluss, dass es nicht die Zeit für so etwas ist. Einen derart belanglosen Text zu singen erschien uns unmöglich. Direkt nach dem Telefonat setzte sie sich hin und schrieb das Gedicht, das nun auf der Platte zu hören ist. Es handelt von Strategien, wie man mit diesem ganzen Irrsinn umgehen kann, ohne vollends deprimiert zu sein. Es ist Carolines erster Songtext auf Französisch.

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