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DIE ZÄRLICHKEIT DES ZUCKENS

Michael Rother in der Volksbühne (Berlin, 25.01.)

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In Echtzeit, am Anfang, in der Volksbühne, deren Saalwände mit Lamettavorhängen im Magnetband-Look-and-Feel ausgekleidet sind, da ruft Michael Rother aus: „Sitzt ihr alle?“ Und es ist klar, der ist erstaunt. Dass da die Leute sitzen auf Asphalt. In seinem Lebenswerk hat der Gitarrist Rother für neue Verhältnisse gesorgt. Zwischen „Solo“- und „Rhythmus“-Gitarre etwa. Mit Neu! und Harmonia und später mit seinen Solo-Alben suchte er nach einer Artikulation von Rock, die nicht auf den Blues-Schemata basieren sollte wie die Bands seiner Zeit. Der Rest ist Kraut.

Oder, um es für den 1950 in Hamburg geborenen Rother zu spezifizieren: Musik, die wie eine Kurve anmutet. Eine lange, schlanke Straßenkurve. Deshalb wirkt es an diesem Montagabend, als hätte der große Bühnenbildner Bert Neumann nur für Rother und sein Trio die Holzstuhl-Herrlichkeit aus der Berliner Volksbühne verbannt. Seit dieser Spielzeit nämlich ist der Saal entkernt, der Boden mit Asphalt ausgegossen. Über der Bühne Filmchen, ein Auto überholt und löst sich während des Vorgangs in Luft auf.

So kann es geschehen, dass es ein paar Takte dauert, und das ganze Publikum steht. Der Asphalt gibt Halt und hilft dabei, das Auto als Glücksversprechen zu sehen, wie das in den Siebzigern so war, heute nach Düsseldorf, morgen nach München, und dann nach Hause ins Weserbergland oder nach Hamburg. Auf einer Leinwand laufen weiterhin Filme. Seen, Sonnen, Eindrücke aus der Kurve. Exzellente Begleiter hat Rother außerdem: im alten Weggefährten Hans Lampe, schon dabei bei Neu! und La Düsseldorf und heute Abend hinter dem Drumkit. Außerdem Franz Bargmann (Ex-Camera) an der zweiten Gitarre. Gemeinsam spielen sie eine ergreifende Version des Harmonia-Tracks „Deluxe“, reißen mit „Katzenjammer“ kurz ins Geräuschhafte aus, erschaffen sie Klanglandschaften voller geometrischer Schönheit. Lampe weicht nicht von seiner Schlichtheit ab und Bargmann bleibt in jedem Stück bei seinen Mustern. Das gibt Rother die Freiheit, hinter seinem Gerätetisch ein Effekte-Medley zu arrangieren. Seine Gitarre explodiert, wirft Echos und Schatten, verzerrt und gluckst. Manche Stücke atmen süßliche Sachlichkeit. Andere haben etwas ganz unverstellt Lichtbeschienenes: die Rhythmusgitarre mit Drive. Das Schlagzeug wie am Schnürchen. Die Gitarre, die gerade in Tracks aus dem Solo-Œuvre wie „Feuerland“ oder „Karussell“ wie ein Synthesizer klingt.

Rother war Futurist, kein Popper. Es dauerte ein ganzes Jahrzehnt, bis sich die Leute an seinen Modus gewöhnt hatten, und als er dann endlich ein bisschen Geld verdiente, kaufte er sich einen Computer. Mit dem Geld dafür könnte er sich heute fünf, sechs, sieben Teslas leisten. Aber er wollte ja Sound, und er wusste, welchen. Heute ist diese Musik entzifferbar. Denn Rother ließ sich nicht beirren. Und außerdem konnte er einen Early Adopter überzeugen. Der damalige Roxy Music-Keyboarder Brian Eno besuchte 1976 das Anwesen im Südwesten Niedersachsens, auf dem Rother zusammen mit Hans-Joachim Roedelius und Dieter Moebius gemeinsam Musik machten. Seither ist er gesetzt, der Klang der langgestreckten Kurve.

Beim Versuch, zu tanzen, gerät der Körper nach einigen Fehlversuchen – anders als bei Techno ist die Zwei und die Vier betont, anders als bei HipHop gibt es keine Synkopen – in ein Zucken. Im Vergleich zum Zucken von Punk hat das Rother-Zucken aber etwas sehr Zärtliches. Es ist mehr ein Begehren als ein Aufbegehren im Sound von Michael Rother an diesem Abend. Zum Kreis schließt sich diese Kurve nie, das wäre etwas anderes, vielleicht das Prinzip von Rothers Zeitgenossen Can. Dieser Sound nähert sich dem Horizont, doch erreichen möchte er ihn nicht.

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