„Ich will meinem Land etwas zurückgeben“, hat die marokkanisch-stämmige und in New York lebende Veranstalterin des ersten Oasis Festivals in Marrakesh, Marjana Jaidi, im Vorfeld gesagt. Ein hauptsächlich mit europäischen House-Acts bestücktes Festival ausgerechnet in Nordafrika zu organisieren, klang erst einmal so verführerisch wie widersprüchlich. Marokko mag im Vergleich zu all seinen Nachbarländern das liberalste und stabilste Land sein, trotzdem gibt es in der konstitutionellen Monarchie wesentliche kulturelle Unterschiede zu Europa. Staatsreligion ist schließlich der Islam, der einer ausgelassenen Feier-Kultur wie wir sie kennen, im Wege stehen dürfte. Das hat in den vergangenen vier Jahrzehnten allerdings auch nicht Scharen von Drogen-affinen Bohemians, Beatnik-Autoren, Rock-Stars und Fashion-Designer davon abgehalten, sich dort niederzulassen und hinter den blickdichten roten Mauern der wunderschön sanierten Stadthäusern diskret dem Opiumrausch hinzugeben. Von einem explizit marokkanischen House-Underground hat man bei uns allerdings bisher noch nichts gehört. Wie würde also das erste Festival in der Größenordnung mit diesem geschmackvoll zusammengestellten Line-Up funktionieren? Entsteht hier nach Kroatien eine weitere, weitestgehend von eingeflogenen Euro-Ravern gespeiste Party-Kolonie?
Das Fellah Hotel liegt 20 Autominuten von Marrakesh Stadt entfernt am Fuße des Atlas Gebirges. Das großzügig angelegte Anwesen besticht durch eine moderne Interpretation maurischer Architektur und internationalen Luxusstandards, die einzelnen Villen sind über kleine, Kakteen-gesäumte Wege zu erreichen. Im September letzten Jahres hat hier bereits ein Boiler Room mit James Holden, Floating Points und einer marokkanischen Gnawa-Band, einer extrem rhythmisch-spirituellen Musik der Berber-Völker, stattgefunden. Beim Oasis nahm nun die größte Fläche des Funktion-One-umtürmten Mainfloors (Desert Oasis) ein großer Pool in Beschlag, an dessen Ende der DJ in luftiger Höhe einer Dachterrasse auflegte. Der zweite Floor (Bamboo Arena) lag intimer in einem Wäldchen versteckt, hier spielten die DJs in einer Bambushütte vis-à-vis der Tänzer. Das ganze Anwesen kann nicht anders als schön beschrieben werden. Es gab viel zu entdecken, von Foodcourts mit leckeren marokkanischem Essen, gemütlich eingerichtete Teestuben, einem „Hidden Souk“ mit ausgewählter marokkanischer Handwerkskunst (die im Vergleich zu den Läden in Marrakesh ohne kraftraubende Verhandlungsmethoden zu günstigen Preisen zu erstehen war), eine kleine Farm sowie opulent mit Teppich ausgelegten Liege- und Chill-Möglichkeiten. Dass es sich beim Oasis nicht um das durchschnittliche Rave-and-Go-Festival handelt, sondern versucht wurde, über drei Tage ein umfassenderes Wohlfühlprogramm zu bieten, konnte man schon daran sehen, dass jeden Tag um 15 Uhr eine offene Yoga-Klasse gegeben wurde. Von der naiven Hippie-Seligkeit der Berliner „Morning Glory“ Partys war das Ganze aber glücklicherweise weit entfernt.
Die erste Überraschung war das erfreulich divers zusammen gestellte Publikum: Fast die Hälfte der Besucher kam aus Marokko, der Rest stellte sich laut Veranstalter aus 25 Ländern zusammen, viele Franzosen, Engländer und auch ein paar Berliner. Marokkanische Journalistinnen betonten im Gespräch, wie glücklich sie seien, dass endlich so eine Party in ihrem Land stattfindet. Die Grundatmosphäre war an allen drei Tagen bis in den frühen Abend extrem entspannt und freundlich: Man hing in Badeklamotten am und im Pool herum und erkundete das labyrinthische Anwesen. Es hatte etwas von einem Urlaubstag mit guter Musik und die meisten DJs mit früher Spielzeit spielten den Umständen Rechnung tragend auch eher balearisch anmutenden Soft-House. Hier seien vor allem Axel Boman am Samstag und Gerd Janson am Sonntag hervorzuheben, die jeweils tolle Musik für Set und Setting parat hatten. Nach Sonnenuntergang verwandelte sich das Anwesen in ein überwiegend blau-rot illuminiertes Party-Spektakel, die Stimmung wurde aufgekratzter und die zwei Dancefloors füllten sich. Auch wenn die DJs des einen Floors problemlos auch auf dem anderen hätten spielen können, machte das Booking mit Acts wie Âme, Ellen Allien, Chloé, DJ Tennis, Dyed Soundorom oder Michael Mayer durchaus Sinn: alle spielten kraftvoll genug, um die Party anzutreiben, und so verspielt, wie man es sich an so einem Ort dann eben wünscht. Drei Nacht-Sets standen dabei heraus: Derrick Carter mit seinem unnachahmlichen Disco-, Funk- und Chicago Bitch-House, Carl Craig, der als einziger sein Set mit einem afrikanischem Song eröffnete und dafür frenetisch gefeiert wurde (und der in der letzten Stunde seines Sets spontan mit Gerd Janson back 2 back ein paar alte Dancefloor-Klassiker abfeuerte), sowie das vierstündige DJ Harvey-Set, der nach Ellen Alliens letzten Track, eine alte Cosmic Baby-Nummer, erst einmal radikal das Tempo runterschraubte und die Leute auf eine extrem hypnotische Reise durch niedertourige Vintage Synth-Gefilde nahm. Perfekt!
Das Festival brauchte einen Tag, um zu sich zu finden. Konnte man sich am Freitag noch über ein umständliches Bezahlsystem (man musste sich einen um das Handgelenk gebundenen Chip aufladen, und diesen dann an einen Display hinter dem Tresen halten, was so gut wie nie auf Anhieb funktionierte), hohe Getränkepreise und ein unbalanciertes Verhältnis von Security-Personal und Besuchern wundern, muss man den Veranstaltern zugute halten, dass sie schnell und aufgeschlossen auf Kritik reagiert haben: Ab Samstag gab es dann doppelt so viel Getränk für den gleichen Preis und die Sicherheitsleute hielten sich freundlich wippend zunehmend im Hintergrund. Mit auf drei Tagen verteilt circa 2000 Leuten war, was die Besucheranzahl anging, sicher noch Luft nach oben. Für die Veranstalter war es aber genau so richtig, weil sie bei ihren ersten Festival erst einmal die Strukturen testen wollten – und dass man überall genügend Platz hatte, machte auch letztendlich das luxuriöse Gefühl vor Ort aus (was nicht unbedingt Frage des zu investierenden Geldes war: das Festival Ticket kostete 160 Euro, Flüge nach Marrakesh und Hotels sind günstig zu bekommen). Das Oasis bringt sicher das Potential mit, zu einem aus dem Festival-Sommer herausstechenden Ereignis zu werden, eine erwachsene und unbeschwerte Mischung aus Urlaub und Party. Die Feuerprobe zumindest ist schon mal bestanden.