Gutes Stichwort: das neue Album. Höchste Zeit, einige der Nummern daraus anzuspielen, findet Parrish. American Intelligence soll die Platte heißen und über zwei Stunden neue Musik beinhalten. Bis auf die Vorabsingle „Footwork“, eine minimalistische synkopierte House-Ode an alle Tänzer dieser Welt, die schon etwas länger im Archiv des Musikers schlummerte, entstanden die Stück dafür in einem Guss. Produziert als großes Ganzes.
Video: Theo Parrish – Footwork
Er klappt den Laptop auf, überprüft die Kabelverbindung, sucht in seiner Library und klickt schließlich auf Play. Eine Roland-909-Hi-Hat zischelt los, ein wabernder Stakkato-Bass setzt ein. Nach einer halben Minute mischt sich die Kick-Drum dazu. Leicht verschoben. Knapp daneben. Das Ohr braucht einen Moment, um die Struktur der schiefen Rhythmik zu erkennen. Erst als die Snare-Drum dazukommt, prescht der Track als stramme Einheit richtig los. In seiner rhythmischen Komplexität erinnert das Stück an Parrishs herrlich vertrackten Klassiker „Dusty Cabinets“ von 1998. Parrish hat die Augen geschlossen, während das Stück läuft. Bedächtig nickt er mit dem Kopf. „Der Track heißt ‚Drive’“, sagt er. „Es geht um den menschlichen Emotionshaushalt: Was fühlst du und wie drückst du deine Gefühle aus? Wo ist dein ‚Drive’?“, sagt er bedächtig. Dann grinst er schelmisch. „Aber vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken über solche Dinge. Schließlich bin ich ein Schwarzer aus Detroit, dem Klischee nach kann ich unmöglich smart sein.“
„Wenn ein Stück im Auto nicht gut klingt, dann klingt es nirgends gut.“
„Drive“ bezieht sich zudem auf den thematischen Anker des Albums: das Auto. Detroits Segen und Sargnagel zugleich. Und in Parrishs Lebensrealität der beste Ort, um Tracks probezuhören. „Wenn ein Stück im Auto nicht gut klingt, dann klingt es nirgends gut“, sagt er. „In Detroit gibt es kaum öffentliche Verkehrsmittel, du bist gezwungen, die meiste Zeit im Auto zu verbringen. Aber mir macht das nichts aus. Ich liebe dieses Gefühl von Freiheit, für das die Karre steht. Sie ist der einzige Ort, an dem mich von meiner Umwelt abkapseln kann. Ich kann ohne schlechtes Gewissen nicht ans Telefon gehen. Denn hey, ich will schließlich niemanden verletzen.“
Auch der nächste Track, den Parrish anspielt, hat einen klaren Bezug zum fahrenden Untersatz: Eine inszenierte Konversation zwischen Parrish und einem Streifenpolizisten in Detroit. Der Polizist will die Papiere des Musikers sehen. „Ich würde doch nichts Illegales in Ihrem Auto finden?“, fragt er. Parrish verweigert die Durchsuchung und fragt nach dem Grund für die Kontrolle. Der Cop droht daraufhin damit, Verstärkung zu ordern. Aufmucken, das geht gar nicht. Ein kleines Hörspiel, das durch die schiefe Synthesizer-Melodie im Hintergrund, noch an Bedrohlichkeit gewinnt. „Traurige Realität“, kommentiert Parrish. „Am Weg zum Flughafen und in den Vorstädten werde ich dauernd von Polizisten wegen meiner Hautfarbe kontrolliert. In Detroit selbst passiert das weniger. Ironischerweise aber nur deshalb nicht, weil die Polizei dort mit so geringen Mitteln ausgestattet ist, dass sie nur schweren Verbrechen nachgehen kann.“
Der nächste Track in der Playlist heißt „Tympanic Warfare“: Ein düster waberndes Epos mit polyrhythmischen Aufbau, expressionistischen Sound-Klecksen und einem unermüdlich raschelnden Tamburin. Ein anderes Stück heißt „Ah“. Der Song, geschrieben mit seinem alten Weggefährten Marcellus Pittman, ist der bislang strukturierteste der Listening-Session: Hämmernde Syntheszier-Akkorde, dazu verspielte Wurlitzer-Piano-Miniaturen und die soulige Stimme von Parrishs neuer Sängerin Ideeyah. Kein Beat, kein Firlefanz. Simpel und atemberaubend, wie ein Sonnenaufgang. In seiner schlichten Schönheit erinnert der Song ein wenig an Parrishs „Serengeti Echoes“ von dessen Album Parallel Dimensions.
Dann der letzte, noch namenlose Track, den Parrish anspielt: Eine Streicher-Pattern brüllt los. Zwei alternierende Noten, schrill wie eine Sirene, unterlegt von einem eiernden Funk-Sample. Dazu wirbelnde Snare-Drums. Marschmusik mit Soul. Laut und intensiv. Und letztlich ein Beweis dafür, dass Parrish – bei aller Liebe zu seinen Keyboards – sein Faible fürs Samplen noch nicht ganz aufgegeben hat. „Auch wenn ich mich heute mehr für Song-Arrangements interessiere, würze ich die Tracks gelegentlich noch mit Samples. Heute setze ich sie als Referenzen ein, als Stilmittel. Früher, weil ich es mir nicht zutraute, Instrumente selbst einzuspielen. Gerade jetzt, wo wir am Live-Set arbeiten, rächt sich das. Weil es viel Zeit und Mühe kostet, diese Samples und ihre Atmosphäre zu rekreieren“, sagt er und lacht.