Drei Wochen zuvor: Es ist ein schwüler Sommerabend. Die Luft im kleinen Kellerproberaum in Südlondon ist stickig. Parrish wischt sich den Schweiß von der Stirn. Seit einer Woche verschanzt er sich hier. Jeden Tag bis zu zehn Stunden. Mit befreundeten Musikern arbeitet er an einer neuen Live-Show, einer Neuaufbereitung seiner Tracks im Bandformat. Um damit dann den Sommer über europäische Clubs und Festivals zu beehren. Noch bevor das Aufnahmegerät läuft, stellt Parrish klar: Keine Fotos im Proberaum, keine Fragen zu den Proben selbst.

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„Der kreative Prozess ist für mich etwas Privates, etwas Rituelles. Deshalb ist dieser Ort eigentlich nur für Eingeweihte zugänglich“, sagt er. Höflich aber bestimmt. „Ich mache heute eine Ausnahme. Aber nur, um dir mein neues Album vorzuspielen. Dafür brauchen wir gute Lautsprecher.“ Damit wäre das mit der lockeren Einstiegsfrage zur neuen Live-Show wohl erledigt. Parrish mustert sein Gegenüber prüfend, die Miene ist ernst. Ein Gefühl, wie wenn man als Kind vom Lehrer unvorbereitet an die Tafel geholt wird.

Dass Parrish es Journalisten nicht immer ganz leicht macht, ist einer der vielen Mythen, die sich um ihn und seinen Kollegen Moodymann ranken. Keinen Bock auf halblustige Fragen. Warum auch? Schließlich ist Musik für Parrish kein netter Zeitvertreib. Im Gegenteil: Sie ist etwas Spirituelles. Eine Lebensaufgabe, der er sich als Historiker, Fan und Produzent hingibt. Davon zeugen die Platten, die er seit fast zwanzig Jahren veröffentlicht. Voller musikhistorischer Verweise und kultureller Referenzen. Sperrig und schön, polternd und poetisch. Ein Freund meinte einmal, Parrishs Tracks seien wie Oliven: nicht jedermanns Sache. Nur Menschen mit erfahrenen Geschmacksknospen seien in der Lage, sie vollends zu genießen.

Ähnliches gilt für seine DJ-Sets. Eine Stunde Prime-Time-Bomben ist seine Sache nicht. Bei seinen Auftritten hat er nicht selten zwölf Stunden Musik dabei – auf Vinyl, versteht sich – und verlangt vom Veranstalter per Vertrag vier Stunden Spielzeit. Um das Publikum auf eine Reise mitzunehmen. Disco, Chicago-House, Funk, Techno, HipHop, Jazz – Parrish setzt sein Publikum in eine Zeitmaschine und sich selbst über Stilgrenzen hinweg. Der punktgenaue Beat-Mix verkommt zur Nebensache, wenn er stundenlange Spannungsbögen aufbaut – so dass am Ende der Nacht der ganze Club zu einer John Coltrane-Nummer abtanzt. Für Dan Snaith, besser bekannt als Caribou, waren Parrishs monatliche Sets im Londoner Club Plastic People so inspirierend, dass er seine eigene DJ-Karriere als Daphni forcierte. „Durch seine Sets realisierte ich: Clubmusik kann unkonventionell klingen und trotzdem funktionieren. Sie kann überraschen. Viele Tracks spielte er eine halbe Stunde lang im Loop. Bis die Leute anfingen zu tanzen. Das fand ich fantastisch“, pries Snaith den ‚DJ der DJs’ vorletztes Jahr im Groove-Interview.

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