Vorschaubild: Flavien Prioreau (Marcel Dettmann)
Marcel Dettmann ist für eine junge, im Berghain sozialisierte Generation von Techno-Fans vielleicht einer der prägendsten DJs dieser Tage. Nachdem Groove-Autor Alexis Waltz den gebürtigen Thüringer für die Titelstory der Ausgabe 144 bereits im Herbst 2013 zuhause besuchte, sprachen die beiden nun erneut miteinander. Im Zentrum steht selbstverständlich Dettmanns Beitrag zur legendären DJ-Kicks-Serie von !K7, darüber hinaus aber hatte der DJ und Produzent noch einige Dinge in Sachen Edits, Techno im digitalen Zeitalter und Tracks, die wie Tokio Hotel-Songs klingen, zu sagen.
Auf deiner DJ Kicks öffnest du deinen Sound auf drastische Weise. Das Spektrum reicht von altem Industrial über Vocal House zu deutschsprachigem Elektro-Pop. Wie hat sich das ergeben?
Jeder, der schon mal eine Mix-CD zusammengestellt hat, weiß, wie das ist. Das ist nichts, was man nebenbei macht. Ganz am Anfang hatte ich etwa hundert Tracks rausgesucht, von denen konnte etwa die Hälfte nicht verwendet werden. Ich habe mir lange Zeit Gedanken zu dem Spektrum gemacht. Ich bin ein Mensch, der eigentlich immer mit dem Flow geht. Irgendwann kommt dann aber der Punkt, an dem ich denke: Das ist jetzt die Richtung. Meine Absicht war, verschiedene Genres in einen Topf werfen – das ist etwas, was mich an der Stange hält. Reine Techno-, House- oder Ambient- Mixes finde ich unspannend.
Was hat es für dich bedeutet, eine DJ Kicks zu machen?
Anfang der Neunziger kaufte ich wie andere viele Mix-CDs. Einfach, weil ich kein Geld hatte. Als junger Heranwachsender freut man sich über Double- oder Triple-Vinyl mit einer Reihe toller Tracks. Ich kann mich noch an die DJ Kicks von Claude Young, Carl Craig und an die X-Reihe, insbesondere an den X-Mix von DJ Hell erinnern. Zu der Zeit war das wahnsinnig inspirierend für mich, eine Art von musikalischer Bildung. Als Teenager haben mir diese Mixe und Compilations ein bestimmtes Gefühl vermittelt, und das ist etwas, was ich heute weitergeben möchte. Ich bin damals in Läden gegangen und habe Platten entdeckt, mit denen ich in diesem Moment nicht so viel anfangen konnte, mir aber dachte: Das sieht cool aus, vielleicht finde ich das in einem halben Jahr gut. So finden sich auf meiner DJ Kicks Tracks, die bekannt sind. Andere Stücke wiederum kennt man vielleicht überhaupt nicht. Meine Idee war, etwas Zeitloses, etwas Bleibendes zu schaffen. Ich vergleiche das gerne mit Fotografie, Büchern oder sogar Magazinen: Es gibt Magazine, die kaufe ich nicht unbedingt, um einen Artikel zu lesen, sondern weil sie toll konzipiert sind. So sollte es für mich auch bei der DJ Kicks sein. Das Artwork, die Trackauswahl, das Mixing, meine Edits – das Gesamtpaket sollte etwas werden, das man auch in zehn Jahren noch gerne in die Hand nimmt und sich anhört. Das war für mich die Herausforderung.
Stream: Mystic Bill – U Won’t C Me (Original Mix)
Meistens bestehen solche Mixe hauptsächlich aus aktuellen Tracks. Als Verneigung an die Vorväter wird dann ein Stück von Kevin Saunderson eingebaut. Dagegen gibt es wiederum Classic Mixe, bei denen eine bestimmte Episode der Geschichte der Clubmusik aufgearbeitet wird. Du springst zwischen allen Phasen und den unterschiedlichsten Stilen hin und her. Am überraschtesten war ich wahrscheinlich bei dem Vocal House Track von Mystic Bill.
Ich weiß noch, als ich die Platte damals bekommen habe. Ein White Label von Snuff Trax. Damals erinnerte die mich total an Bobby Konders. Aber frisch, New School, nicht Old School.
Das Stück ist nicht wie ein Vocal-House-Track gebaut, die Stimme kommt aus dem Nichts. Er fängt einfach an zu singen.
Das hat etwas Zartes. Ich habe nach dem Sänger auch ein bisschen recherchiert und entdeckte noch einen Remix von ihm auf Sounds Records, das war ein Label aus dem Umfeld von Woody McBride und Communique. Mystic Bill ist ein mir eher unbekannter Künstler und kein Kevin Saunderson oder Bobby Konders. Das ist so eine Nummer, auf die man zufällig stößt.
Das Stück ist auch nicht in den Golden Years entstanden.
Das war auch nicht die Idee: Wir machen jetzt einen Mix nur mit Classics oder mit neuen Tracks. So funktioniere ich nicht und mit dem Gedanken bin ich auch nicht an die Sache herangegangen. Wichtig war, ob ich mich damit wohl fühle, ob ich es spannend finde – auch in Zukunft. Ein Compilation allein mit neuen Sachen zusammen zu stellen, ist einfach, gerade heutzutage.