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Time-Warp-Macher Robin Ebinger und Frank Eichhorn: Die Musik auf anderen, subtilen Ebenen erfahrbar machen

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Die Time Warp ist die größte Indoor-Techno-Party Europas. Am Wochenende nach Ostern feiert sie ihren 30. Geburtstag. Hinter der Time Warp stecken mehr seit mehr als 20 Jahren Steffen Charles, Robin Ebinger und Frank Eichhorn. Im Interview mit Ebinger und Eichhorn erfahrt ihr unter anderem, was für die beiden im Jahr 2024 einen guten Rave ausmacht, wie die Time Warp ihr Verhältnis zu Politik und Polizei gestaltet und wieso das Line-up des Festivals inzwischen diverser ausfällt.

GROOVE: Was überwiegt einige Tage vor der Time Warp: Gude Laune oder schlechter Stress?

Robin Ebinger: Der Respekt! 30 Jahre Time Warp bedeutet 30 Stunden Rave. Das wird eine Herausforderung, die aber genauso viel Vorfreude mit sich bringt. Schließlich sehen wir all die Freunde wieder, die uns über Jahre und Jahrzehnte begleiten.

Robin Ebinger (Foto: FloCreates)
Robin Ebinger (Foto: FloCreates)

Frank, auf deinem Pullover steht „Time Warp 1994” – da warst du noch nicht dabei, oder?

Frank Eichhorn: Natürlich! Als Raver auf dem Dancefloor! Genauso wie Robin. Später habe ich bei Philip Morris gearbeitet und die Veranstaltung unterstützt. Ich war also auch Sponsor der Time Warp. Die Seiten zu wechseln, war allerdings schwierig. Schließlich war die Time Warp immer meine tollste Nacht im Jahr. Heute weiß ich: Es macht auch hinter den Kulissen Spaß.

Frank Eichhorn (Foto: Presse)

Robin Ebinger: Wir feiern trotzdem noch gerne – bei der Time Warp klappt das leider nicht. Loslassen wird uns Techno aber nie: Wir kommen vom Dancefloor und machen es für den Dancefloor.

Frank Eichhorn: Wir machen hier nicht nur Business. Im Vergleich zu anderen Corporate-Veranstaltungen, wo der Soul fehlt, repräsentieren wir viel eher den Moment, mit dem alles angefangen hat. Gleichzeitig haben wir es geschafft, 30 Jahre relevant zu bleiben. Überleg mal: Die Rolling Stones spielen nur noch ihre alten Hits.

„Die Time Warp mag kein Entdeckerfestival für neue Künstler sein, sie ist aber ein Entdeckerfestival für spezielle Momente.”

Robin Ebinger

Und bei euch legt Sven Väth auf.

Frank Eichhorn: Wie die Stones eine Legende, aber er spielt ständig neue Musik, nur im Gegensatz zu den Stones wollen sie die Leute auch hören. Das heißt: Künstler, die mit uns gealtert sind, konnten relevant und am Zeitgeist bleiben.

Sven Väth auf der Time Warp 1995 (Foto: Time Warp)
Sven Väth auf der Time Warp 1995 (Foto: Time Warp)

Die großen Überraschungen finden sich auf der Time Warp allerdings nicht, das Booking ist konservativ.

Robin Ebinger: Konservativ? Unser Booking ist der Moderne zugewandt – auch weil wir mit vielen Künstlern einen langen Weg gegangen sind. Gleichzeitig öffnen wir unsere Plattform für neue Talente, ohne sofort auf jeden Trend aufzuspringen. Die Time Warp mag kein Entdeckerfestival für neue Künstler sein, sie ist aber ein Entdeckerfestival für spezielle Momente. Deshalb investieren wir viel Energie, Augenmerk und Geld, um aus diesem riesigen Rave ein intimes Club-im-Club-Konzept zu schaffen. Das heißt: Wir inszenieren die Räume und stellen nicht einfach ein paar Lichter auf die Bühne. Jeder Raum auf der Time Warp ist anders.

Wenn man Fotos von der Time Warp aus den Zweitausendern neben aktuelle stellt, lässt sich auch die Entwicklung der Technologie verfolgen.

Frank Eichhorn: Trotzdem steht bei uns die Musik immer im Vordergrund. Wir nutzen keine Effekte ob der Effekte. Licht und Video folgen der Musik und unterstreichen sie.

Robin Ebinger: Ja, um die Musik auf anderen, subtilen Ebenen erfahrbar zu machen. Der Raum verändert sich durch das Feeling, das wir erzeugen.

Hat dieser Zugang mit euren Erinnerungen an den damaligen Vibe zu tun?

Robin Ebinger: Laurent Garnier hat es schön ausgedrückt: Time Warp ist immer noch das, was Raves eigentlich sein sollten! Dieser Gedanke ist uns wichtig. Man soll durch die Räume wandern, unterschiedliche Leute treffen und sich austauschen können. Weil das unserer Idee von Clubkultur entspricht – eine 30-stündige Reise ohne Effekthascherei.

Frank Eichhorn: Die Stage- und Floor-Designs folgen also einer Idee, die wir immer wieder erneuern. Wir waren zum Beispiel die ersten, die Dancefloor-Licht gemacht haben. Oder dass Leute um den DJ auf der Bühne stehen. Das wird an vielen Ecken kopiert.

Robin Ebinger: Was uns schmeichelt.

Frank Eichhorn: Aber auch antreibt, es erneut anders zu machen. Schließlich steht hinter der Time Warp eine Agentur mit vielen Mitarbeiter:innen – wir stehen immer unter Erfolgsdruck.

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Cristian Vogel auf der Time Warp 1997 (Foto: Time Warp)

Ihr sprecht es an: Was ist anders, was ist neu in diesem Jubiläumsjahr?

Robin Ebinger: Wir haben für unsere Fans noch eine Überraschung auf dem Gelände platziert. Es gibt also was zu entdecken. Wir versuchen immer neue Materialien und Texturen über und in den Dancefloors zu kombinieren, die den Charakter der Musik über eine Nacht intensivieren.

„Wir haben aber immer unsere Vision verfolgt. Deshalb konnten wir auch durch Täler der Tränen marschieren, ohne den Glauben daran zu verlieren.”

Frank Eichhorn

Was meinst du damit?

Robin Ebinger: Warte, ich zeig’ dir unser Labor! Da basteln wir an neuer Deko für den Dancefloor. Hier sieht man einige der 300 Meteoriten, mit denen wir den Mainfloor dekorieren werden. Sie sind überzogen mit einer speziellen Folie, die toll wirken wird, wenn unsere Lichtkünstler sie zum Leben erwecken. Anatol Fried, unser technischer Direktor, bringt ein internationales Netzwerk an Kreativen mit, die das ganze Jahr basteln und testen und sich überlegen, welche Stoffe mit moderner Videotechnik funktionieren.

Frank Eichhorn: Diese Veränderung ist unser roter Faden. Wir nutzen immer die technischen Möglichkeiten der Zeit. Zu Beginn haben wir häufig mit psychedelisch angehauchten Projektionen gearbeitet. Später kamen LED-Walls, kinetische Elemente und Techniken wie Mapping dazu. Trotzdem steckt hinter der Anwendung immer eine Idee. Sie ist nicht nur Mittel zum Zweck.

Robin Ebinger: Wir wollen ein raviges Erlebnis erzeugen, aber unsere Gäste nicht zu einer Geisel der Technik machen. Deshalb loten wir nicht alle Grenzen aus, weil wir sie gar nicht ausloten müssen.

Euch verbinden viele Jahre auf und abseits des Dancefloors. Was treibt euch gemeinsam an, Raves zu veranstalten?

Robin Ebinger: Wir können nichts anderes! (lacht)

Frank Eichhorn: Außerdem haben wir die Harmonie nie verloren, selbst während herausfordernder Zeiten. Der Höhepunkt der Techno-Kultur war sicher Ende der Neunziger – auf der Loveparade hatte sogar die CDU einen Wagen! Danach gingen die Besucherzahlen aber stark zurück. Wir haben aber immer unsere Vision verfolgt. Deshalb konnten wir auch durch Täler der Tränen marschieren, ohne den Glauben daran zu verlieren.

„In der Stadt gibt es zwei Fraktionen: Die eine hat realisiert, dass die Time Warp Kultur, Marketing und Umsatz für die Stadt schafft. Die andere, konservativere, stürzt sich auf negative Aspekte und lastet uns jeden Falschparker an.”

Frank Eichhorn

Berliner Techno ist gerade immaterielles Kulturerbe geworden. Der Hype ist groß. Wo steht Techno für euch?

Robin Ebinger: Techno ist globaler denn je.

Frank Eichhorn: Die Lobby von Techno ist trotzdem klein. Klar, das Kulturerbe in Berlin ist ein ebenso wichtiger Schritt wie die Veränderung der Bauverordnung während der Pandemie, das heißt: Techno bekommt mehr Anerkennung. In Form eines finanziellen Supports wurde sie uns aber noch nicht zuteil. Dabei ist die Time Warp in Mannheim – einer Stadt, die nicht durch viele Kulturinstitutionen glänzt – eine wichtige Kulturträgerin.

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DJ T. und Heiko M/S/O auf der Time Warp 1998 (Foto: Time Warp)

Mannheim erkennt also nicht den Stellenwert der Time Warp?

Robin Ebinger: Das kann man so nicht sagen. Die Stadt schätzt unsere Arbeit und versteht, was wir tun. Mannheim hat seit 2023 einen neuen Oberbürgermeister [Christian Specht (CDU); Anm.d.Red.] und einen neuen Kulturbürgermeister, der selbst jahrzehntelang Kulturschaffender war. Der vorherige [Peter Kurz (SPD); d.Red.] wusste: Mannheim ist eine Musikstadt. Er fand uns gut. Deshalb hat er die Time Warp protegiert. Dennoch ist es selbstverständlich, dass Millionen in die Hochkultur fließen, während die fragmentierte Kulturlandschaft, die Mannheim lebenswert macht, keinen Cent sieht.

Frank Eichhorn: In der Stadt gibt es zwei Fraktionen: Die eine hat realisiert, dass die Time Warp Kultur, Marketing und Umsatz für die Stadt schafft. Die andere, konservativere, stürzt sich auf negative Aspekte und lastet uns jeden Falschparker an.

Robin Ebinger: Christian Specht, der neue Oberbürgermeister, ist zwar kein Mann der Kultur, dafür aber einer der Wirtschaft. Er versteht die Zahlen: Wir lasten die Hotels aus, wir fördern das lokale Gewerbe und bringen Tausende Menschen in die Stadt. Deshalb hoffen wir auf offene Ohren.

Nach jeder Time Warp dominieren die Schlagzeilen zu Anzeigen, Delikten, Polizei.

Frank Eichhorn: Nach Weinfesten spricht niemand darüber, dass dort wieder fünf Führerscheine eingezogen wurden. Das soll nicht heißen, dass man negative Aspekte aussparen darf – Betäubungsmittel sind ein Thema in unserer Szene, und wir arbeiten mit Aufklärung und Kontrollen dagegen. Dass Mannheim für eine Nacht zum Nabel der Techno-Welt wird, liest man aber nirgends. Das schmerzt uns schon.

Carl Cox auf der Time Warp 1997 (Foto: Time Warp)
Carl Cox auf der Time Warp 1997 (Foto: Time Warp)

Könnt ihr euch erklären, warum das so ist?

Robin Ebinger: Es war schon während der Zeit der Printmedien so. Man könnte glauben, …

Frank Eichhorn: … dass nur die vorgefertigte Pressemitteilung veröffentlicht wird, die uns allen wieder vorhält, wie viele Ecstasy-Pillen gefunden wurden.

Die baden-württembergische Polizei übt dahingehend Druck auf die Time Warp aus, oder?

Frank Eichhorn: Sie fokussiert sich auf das Thema Betäubungsmittel stärker als andere Bundesländer, ja. Wir haben aber ein gutes Verhältnis zur Polizei sowie zu allen anderen Behörden. Die Offenheit wird auch größer, weil wir auf jüngere Ansprechpartner treffen. Sie machen ihren Job, verstehen aber unsere Kultur. Das hilft, um den Charakter der Veranstaltung zu sichern.

Robin Ebinger: Die Polizei zeigt Präsenz rund um das Gelände und den Einlass. Sie treibt sich aber nicht uniformiert auf den Dancefloors rum.

„Man muss sich nur ansehen, wie sich die Line-ups über die Jahre verändert haben. Damals wurde die Szene von wenigen männlichen Protagonisten geprägt. Heute herrschen ganz andere Voraussetzungen. Das bilden wir in unseren aktuellen Line-ups ab.”

Robin Ebinger

Es herrscht auch keine Polizeipräsenz im Backstage-Bereich?

Frank Eichhorn: Nein, nicht bei uns. Wir suchen aber einen offenen Dialog und führen die Behörden vor der Veranstaltung über das Gelände. Die Polizei soll uns und unsere Seriosität erleben.

Robin Ebinger: Wir haben ein sehr respektvolles und kooperatives Miteinander mit den Behördenvertretern.

Das internationale Musiker:innen-Netzwerk female:pressure hat zuletzt einen Gender-Report für Clubs und Festivals veröffentlicht. 2023 zählte die Time Warp zu den Festivals mit der geringsten Gender-Balance weltweit. Warum ist das so?

Robin Ebinger: Sie beziehen sich in ihrer Feststellung auf die Time Warp im April – das Programm stand schon vor der Pandemie fest und hat sich durch vererbt.

Frank Eichhorn: Die Veranstaltung im Herbst war in Bezug auf Gender jedenfalls ausbalanciert, das heißt: Wir verstehen den Ansatz, unterstützen ihn und setzen ihn auch um. 

Robin Ebinger: Man muss sich nur ansehen, wie sich die Line-ups über die Jahre verändert haben. Damals wurde die Szene von wenigen männlichen Protagonisten geprägt. Heute herrschen ganz andere Voraussetzungen. Das bilden wir in unseren aktuellen Line-ups ab.

ANNA und Sama Abdulhadi auf der Time Warp (Foto: Caroline Chamouton)

Die Time Warp ist nach 30 Jahren immer noch unabhängig. Vor einigen Jahren hattet ihr aber die Idee, Lizenzen für den Namen zu verkaufen.

Frank Eichhorn: Nein, das stimmt nicht. Wir haben die Marke Time Warp nie als Franchise verkauft, sondern waren auch bei allen Auslands-Events immer involviert – sei es mit dem Programm, den Stage-Designs oder den Service-Standards.

Ich beziehe mich auf die Time Warp 2015 in Argentinien – damals starben fünf Menschen.

Robin Ebinger: Dort haben wir zu viel aus der Hand gegeben. Das war ein Fehler von uns. Auch wenn unser lokaler Partner vor Ort unser Vertrauen ausgenutzt hat.

Frank Eichhorn: Es war jedenfalls der schreckliche Tiefpunkt in der Historie der Time Warp – und der Grund, warum wir über mehrere Jahre nicht ins Ausland gingen. Inzwischen ist der Auswahlprozess für neue Partnerschaften sehr lang. Bevor wir mit der Time Warp in Brasilien aktiv wurden, haben wir über sechs Jahre die Aktivitäten unserer heutigen Partner verfolgt. Dasselbe gilt für unsere spanischen Partner in Madrid.

Abgesehen von diesem Tiefpunkt: Welche Entscheidungen bereut ihr heute?

Robin Ebinger: Unser Motto ist: Wir wollen aus neuen Fehlern lernen.

Frank Eichhorn: Und nicht aus Alten!

Was versteht ihr darunter?

Robin Ebinger: Wir wollten vor einigen Jahren das Konzept Time Warp und Rave auf Indie und Hip-Hop übertragen. Also haben wir zu allen angesagten Acts Kontakt aufgebaut. Am Ende waren wir deutschlandweit der einzige Veranstalter, der mit Cro Geld verloren hat.

Frank Eichhorn: Weil uns in der Zielgruppe die Glaubwürdigkeit fehlt. Wir sind keine Hip-Hopper oder Indie-Jungs, sondern nach all den Jahren immer noch Raver. Wir sprechen die Sprache, beherrschen die Codes. Also haben wir uns gedacht: Let’s stick to Techno!

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