Héctor Oaks – Fuego Universal (KAOS)
Kaum ein DJ polarisiert in seinen Sets so wie Héctor Oaks. Denn neben seinem offensichtlich enormen Wissen um Techno von frühen Neunzigern bis heute, tut sich der gebürtige Spanier vor allem dadurch hervor, dass er puristische Sounds mit genrefremden und oftmals verhältnismäßig poppigen Elementen mixt, um so maximale Spannung auf der Tanzfläche zu kreieren. Das alles geschieht ausschließlich auf Vinyl, in einer beeindruckenden Geschwindigkeit, und sucht so im DJ-Kontext seinesgleichen. Doch auch als Produzent veröffentlichte Oaks in der Vergangenheit immer wieder Platten, die mit den Genregrenzen experimentieren und versuchen, Techno aufzubrechen.
Das scheint auch das Ziel des aktuellen Albums Fuego Universal zu sein, das auf insgesamt neun Anspielstationen die möglichen Kombinationen von Vocals und elektronischer Musik durchexerziert. Dabei sind ausnahmslos alle Tracks Kollaborationen, die den Eindruck erwecken, sich im Aspekt des vermeintlichen Hitpotenzials überbieten zu wollen. Dabei gelingt es Oaks und seinen Partner:innen, zum Beispiel auf „SHADOWS”, Ohrwürmer zu kreieren, die zwar extrem poppig, aber dennoch nicht belanglos oder zu kitschig wirken. Leider ist auf dem Album auch das genaue Gegenteil vertreten, und „GIVE US THE NIGHT” oder „LOFF IS ALL YOU SPEED” scheinen deplatziert und ein wenig uninspiriert. Insgesamt wirkt die Platte eher wie eine Compilation als ein abgeschlossenes Album. Es bleibt daher abzuwarten, wie die einzelnen Songs im Kontrast zu Oaks’ DJ-Sets auf der Tanzfläche wirken. Till Kanis
Joe Davies – Shields In Full Sunlight (Smallville)
Der Opener auf DJ Assams erstem Album unter seinem eigenen Namen ist ein klanggewordener Morgennebel voller Motive und sonischer Links, die an erhebende Clubmomente erinnern – nicht umsonst heißt das Stück „Hi Life”. Aber Joe Davies gelingt dieses Kunststück komplett ohne Beat, allein durch Anspielungen und aus dem Clubkontext extrahierte Elemente. Irre! Auch der zweite Track bleibt rhythmisch zurückhaltend und wirkt mit seinen knapp vier Minuten eher wie ein frühes Zwischenspiel, das der Schönheit der Albumeröffnung die Gelegenheit gibt, weiter nachzuhallen. In den folgenden sechs Stücken dominiert bis auf eine Ausnahme die Four-To-The-Floor-Kick, allerdings nicht allzu energisch als Aufforderung zum Tanz, vielmehr als Trägermedium für moody Synthie-Flächen und softe psychedelische Bleeps über dem für Smallville typischen deepen und dubbigen House-Sound – und für eine tendenziell nachdenkliche Stimmung. Vielleicht sollen die Shields In Full Sunlight das allzu Grelle abhalten, das Hysterische und Überfordernde der Gegenwart, und die Tracks sind als auditive Schutzschilde für wundgescheuerte Rezeptoren in Hirn und Herz konzipiert. Eine beruhigende, wohltuend unaufdringliche und eskapismusfördende Wirkung strahlt das Album jedenfalls definitiv aus – natürlich jenseits der Yogastudio-Playlist-Plage, versteht sich. Mathias Schaffhäuser
MM/KM – Ich sehe Vasen (The Trilogy Tapes)
Das Dreamteam aus Mix Mup und Kassem Mosse alias MM/KM hat bereits in der Vergangenheit auf The Trilogy Tapes für einige den üblichen Konventionen der Tanzmusik-Branche widersprechende Veröffentlichungen gesorgt.
Auf Ich Sehe Vasen toben sich die beiden kreativ aus, ohne sich auf ein bestimmtes Format festzulegen. Winzige Melodie-Entwürfe und Chord-Folgen werden ebenso aufs Doppel-Vinyl gepresst wie ausgeformte Grooves, die sich auf Clubtrack-Länge ausbreiten dürfen. Was im letzten Jahr in einer Woche entstand, wird hier herrlich komplett und ungeniert präsentiert. Manche der Skits sind nur wenige Sekunden lang, anderes Material variiert zwischen einer und mehreren Minuten. Was DJs damit anfangen sollen, steht hier nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es darum, die sonische Exploration von Sounds und Grooves möglichst in ihrer Gänze abzubilden. Das klingt, wie bei diesen beiden Produzenten nicht anders zu erwarten, herrlich idiosynkratisch und gleichermaßen fragmentiert wie loopig, be(un)ruhigend und trippig. Genrebezeichnungen würden dem nicht gerecht, dafür regieren ein gewisser Entdeckergeist und eine gehörige Prise ausgefallener Funk. Das Ergebnis kann sich durchaus hören lassen und ist akustisch genauso angenehm wie verstörend. Wer sich davon nicht abschrecken lässt, findet eine Perle der Kreativität. Leopold Hutter
Nice Girl – UPP (Public Possession)
Zwei Jahre sind vergangen seit dem Debütalbum von Nice Girl. Wie Ipsum erscheint auch sein Nachfolger UPP im Portfolio der Münchner Off-Dancefloor-Institution Public Possession. Allerdings unter einem grundsätzlichen Vorzeichenwechsel: Die dunkel raunende Grundierung des Erstlings ist einer heiteren, lichtdurchfluteten, leichtfüßigen wie -lebigen Hochstimmung gewichen. Ruby Kerkhofs, in Neuseeland geborene und in Melbourne lebende DJ und Producerin, hat also die sonnige Seite der Straße entdeckt. Geblieben ist der spielerisch-kreative, humorvolle Umgang mit gerade den Formen der elektronischen Clubmusik, die man nach den Neunzigern bereits auf dem Komposthaufen der Dancefloorgeschichte entsorgt geglaubt hatte: Drum’n’Bass, Trance, Kirmestechno – you name it. Nur wird diese Pointe nun wesentlich entspannter ausgespielt, nicht mit grimmigem, sondern mit nonchalantem Lachen.
Die Ironie erscheint in hellerem, weicherem, günstigerem Licht. An drei der zehn Tracks ist Kerkhofs Vater Michael Kime beteiligt gewesen, am Mr.-Oizo-esken „Funklude” ihr Landsmann und Labelkollege Eden Burns. Oft arbeitet Kerkhofs aber auch mit ihrer eigenen Stimme, stets in starker, häufig cartoonartiger Verfremdung. All das klingt digital und glitchy, wattiert, verhallt, von flachen Grooves getragen, aber mit satten, unscharfen Bässen unterlegt. Ob der U-140-BPM-Opener „Girls”, der Anti-R’n’B-Tune „I Am Emotional”, der Instant-Tribal-House in „Baby B”, das Cyber-Balearic-Feeling in „Call Me”, die New-Age-Anflüge von „I’d Rather Be” und „Feel Right” oder Zeichentrick-Jungle („It’s OK”, „Yawn”) – der beste Track ist immer der, der gerade läuft. Unter Hitverdacht steht der Dub-Reggae-Eurodance von „In Between”.
UPP kommt mit zehn Tracks auf eine Laufzeit von kaum mehr als einer halben Stunde und ist formal fast schon ein Minialbum, hat aber mehr Ideen zu bieten als manch andere in einer kompletten Producerlaufbahn. Vom schwierigen zweiten Album keine Spur. Harry Schmidt
Nikita von Tiraspol – Iki Pasimatymo! (Noorden)
Der ehemalige Kölner Nikita von Tiraspol mag mittlerweile zwar in Litauen zuhause sein, jedoch hinterlässt er der Domstadt eine Abschiedshymne in Form dieses Albums, auf Kassette und digital erscheint: Iki Pasimatymo! Ist litauisch und heißt so viel wie „Auf Wiedersehen” – dementsprechend gefühlsgeladen, wenn auch nicht überbordend melodramatisch kommt diese Electronica-LP daher.
Mit atmosphärischen Vocal-Schnipseln gespickt, haben seine Tracks etwas Mystisches, Folkiges an sich, das in seiner Nebligkeit auch an die Stücke des Traumprinz-Alias DJ Healer erinnert. Dabei dürfen auch Genre-Tropen aus Electro, Jungle und Downtempo einfließen, jedoch steht hier die melodische Erzählung im Vordergrund, keine Clubtauglichkeit. Dennoch ist die Produktion fett und bassig genug, um auch auf einer ordentlichen Anlage zu wirken. Dennoch geht von Tiraspol gewagt einen Mittelweg zwischen cinematischer Komposition und langen Spannungsbögen, dann wieder sind es ausgewaschene oder farbenfrohe Synths, die das dramaturgische Element bestimmen. So werden stets genug Emotionen transportiert, um das Narrativ vom Abschied aufrecht zu erhalten, gleichzeitig hält sich der Komponist gefühlt selbst bei Laune, indem er seine Lieblings-Genres durchexerziert und unterschiedliche Versionen in jedem elektronischen Subgenre anfertigt. Im Ganzen funktioniert das sowohl für ihn als auch für die Hörer:innen im LP-Format. Leopold Hutter
OK EG – Rivulets (Kalahari Oyster Cult)
„Rivulets”, der Titeltrack dieses Albums der beiden Australier Lauren Squire und Matthew Wilson alias OK EG, ist eine unerbittliche Acid-Schraube, die sicherlich auf keiner Frühneunziger-Goaparty fehl am Platz gewesen wäre. Durchaus ein veritabler Partykracher, glücklicherweise aber nicht beispielhaft für das Album. Denn das Drumherum ist dann doch ein ganzes Eckchen abwechslungsreicher. Und subtiler. Denn wo der Opener „Oxygen Channel” als Warehouse-Trance bezeichnet werden kann, ist der hypnotische „Circular Act” mehr in Richtung tribalistischer Bass Music zu verorten. „Surface System” und „Matched Grip” wiederum wühlen sich halfsteppig langsam durch den tiefen Frequenzdschungel. „Flow Regime” ist ein mit mysteriösen Stimmen angereicherter Hybrid aus Bass und Trance, minimal im Sounddesign, dafür tief im Hypnosesumpf. Da sitzt wirklich jeder einzelne Ton. Und auch der luftig-breakige Closer „Endless River” hat wieder diese organische Qualität im leicht düsteren Sounddesign, die das gesamte Album auszeichnet. Tim Lorenz
Plastikman – Sheet One (Novamute) [Reissue]
Wahrlich ein musikalischer Tausendsassa ist der Kanadier Richie Hawtin. Wieder aufgelegt wurde nun sein Erstlingswerk Sheet One, das er 1993 als Plastikman in den musikalischen Orbit jagte. 30 Jahre später klingt der Sound aus Acid, Ambient und Minimal Techno frisch wie am ersten Tag. Tiefenentspannt geht es mit dem sphärischen, Ambient-lastigen „Drp” los. Mit „Plasticity” holt Plastikman seine Fans auf den Boden beziehungsweise den Dancefloor. Reduzierter Minimal, Sphären und einsetzende Acid-Sounds, wie sie sein sollten. Less is more – das Wort „minimal” macht in diesem Kontext seiner Bedeutung alle Ehre. Wie der Name verrät, geht „Helicopter” auch heute noch ab. Techno, der sich selbst nicht zu ernst nimmt und auf dem Floor für Euphorie sorgt. Sounds aus der Luftfahrt – startende Jets – finden sich auch in „Koma”, das langsam startet, um sich dann immer weiter zu steigern. Im vorwärtstreibenden Four-To-The-Floor-Rhythmus geht es kurz vor der Zielrunde mit „Smack” noch einmal ab, bevor „Ovokx” als letztes Stück das Album ausklingen lässt.
Ebenfalls wiederveröffentlicht wird von Richie Hawtin nun sein F.U.S.E.-Erstlingswerk Dimension Intrusion aus dem selben Jahr wie Sheet One, das damals einen Acid-Techno-Meilenstein setzte. Liron Klangwart