Obergman – Mirror Counterpart (Pariter)
„I am you, you are me”. Mit diesen Worten beginnt der Opener und Titeltrack der mittlerweile dritten Langspielplatte des Stockholmers Ola Bergman. Es folgen acht Electro-Tracks der klassischen Sorte, mit lebhaften Arrangements und blubbernden Basslines, die den Nummern gehörig Leben und Charakter verleihen. In ihrer Sexiness klingt diese Platte nach Miss Kittin & The Hacker, in verspielten Momenten dann wieder nach Japan in den Neunzigern. Hier und da kommt auch eine spacige Ader à la Convextion zum Vorschein. Und überall scheint natürlich das Erbe von Drexciya und Detroit durch.
Mit dieser gelungenen Melange schafft es Obergman mit seiner LP für Pariter, dem Sublabel von Sushitech, ein durch die Bank weg unterhaltsames Retro-Electroalbum abzuliefern, dessen tatsächliches Erscheinungsdatum ohne die Hilfe von Discogs nur schwer zu beziffern wäre. Leopold Hutter
Rival Consoles – Now Is (Erased Tapes)
Mit seinem achten Album für Erased Tapes fährt Ryan Lee West alias Rival Consoles derart fulminant an die Wand, dass einzig die AirBags den Impact vorhalten, den seine Musik leider nicht hat. Wests Idee von Techno-Pop, also der Verbindung von Popmusik mit einem imaginierten Dancefloor-Flirren, ist so konfus wie blutleer. Es können halt nicht alle Moderat sein. Das klingt fies und ungerecht, stimmt aber leider.
Warum ist hier alles so laut? So wahnsinnig artifiziell und so mega abgekoppelt von jeder realness? Und warum zerrt es dann trotzdem nicht? Ryan, ey, zieh’ doch für Distortion einfach den Kanal hoch, das rote Lämpchen, remember? Das muss glühen. Deine Arpeggios kannst du dir in der Badewanne anhören. Und dich dabei auch gleich entscheiden, was du zukünftig machen willst. Popmusik oder Dancefloor. Die Kombination aus beidem – sehr fein übrigens – kannst du leider nicht. Noch nicht. Und mit kiloweise Hall wird deine Musik auch nicht besser. Hör doch mal in dich rein – und vor allem den finalen Track deines neuen Albums. Vielleicht ist „Quiet Home” ja der richtige Weg?
Du musst dich dann natürlich mit Jon Hopkins um die verfügbaren Termine in den Philharmonien dieser Welt kloppen. Euer Ding. Ihr macht das schon. Now Is? Volle Kanne unwichtig und mörderegal. Schade ums Vinyl. Thaddeus Herrmann
Roger 23 – Bounds of a Moral Principle and Established Standard Behavior (Night Defined)
Der Saarbrücker DJ und Produzent Roger Reuter alias Roger 23 nennt sich selbst Futurist. Für sein aktuelles Album mit etwas umständlichem Titel heißt das: Er mag gern analoges Blubbern, bei dem man an elektronische Pionierarbeiten wie das erste Pyrolator-Album denken kann, auch kantiger Electro-Funk aus dem Detroiter Universum wie überhaupt der frühe Techno-Sound der Achtziger pulsen durch seine Nummern, die gerne lange Titel tragen wie „Particular Conditions that Someone Is in a Specific Time in Use to Indicate a Position on a Diagram”, Begeisterung für abstrakt Technisches und dergleichen eben.
Als Roger 23 kopiert er nicht einfach diese Inspirationen, sondern zerlegt sie in ihre Bestandteile, geht sie eher aus struktureller denn rein tanzfunktionsorientierter Perspektive an und schafft so etwas, das einerseits sehr vertraut, doch andererseits auf verschrobene Weise fremdartig klingt. Wenn die Bezeichnung nicht so bescheuert wäre, könnte man es Post-Clubmusik nennen. Die mit über neun Minuten längste Nummer weicht im Übrigen etwas vom Konzept ab und bietet sehr ausgeruhten Dub-Techno. Und irgendwie dazu tanzen kann man ja auch, wenn man nicht gerade eine der beatfrei-atmosphärischen Interludien nimmt. Tim Caspar Boehme
Roman Flügel – Balmy Evening (Mule Musiq)
Produzent und DJ Roman Flügel lädt unter seinem bürgerlichen Namen zum lauen Abend. Klingt im Titel nach Programm, und die Platte macht anstandslos mit. Flügel gibt sich mithin von seiner clubabgewandten Seite – wenn man von so etwas wie dem, das früher noch Chill-Out-Room hieß, einmal absieht –, mit Produktionen, die von freundlichem Pluckern gekennzeichnet sind. Kein Beat drängt sich nach vorn, die übrigen Elemente gelassen gehalten, ein paar kauzige Frequenzen zwischendurch passen da ebenfalls ins Konzept, ohne das Gesamtbild zu stören. Mal mehr Ambient in IDM-Tradition, mal gemächlich schreitende Rhythmik der krautig-kosmischen Schule. Sehr ausgeschlafen im besten Sinn.
Ruhe bewahren ist dieser Tage ja nicht die schlechteste Tugend, wenn möglich, die Musik kann und darf es jedenfalls. Auf Mule Musiq, dem Label für diskrete Dringlichkeit, ist das alles hervorragend aufgehoben. Tim Caspar Boehme
Skudge – Soundworks (Skudge)
Skudge ist für mich eine der ältesten Leidenschaften im Techno. Seit vielen Jahren nunmehr Soloprojekt Elias Landbergs, verhalten sich die Tracks des Schweden genauso wie man es von Techno der Blaupause nach erwartet: es tut sich wenig, es sind minimale Veränderungen essenzieller Elemente, die im eng getakteten 4/4-Korsett ihre Wirkung erzielen wollen.
Während die moderne Technoszene gerade auf schnelle, überbordende Kompositionen setzt, wirkt Skudge dagegen klassisch, schlicht und angenehm aufgeräumt. Fast könnte man eine Analogie zum nordischen Design ziehen – apropos analog, auch das macht Skudge seit jeher aus; dieser Reiz, aus den althergebrachten und niemals ausgedienten Roland-Geräten immer noch neue Rhythmen und Flächen herauszudestillieren, ohne sich dabei selbst zu wiederholen.
Skudge macht vor, wie man ganz entspannt dem Zeitgeist entgeht und dabei einen puristischen Techno vertieft, der das Rad nicht neu erfinden will. Wem das zu genügsam ist, könnte von der Geradlinigkeit dieser Produktionen enttäuscht werden. Wenn diese ausgereiften Grooves jedoch eingefangen haben, kommt man so schnell nicht mehr raus.
Mehr als neun dubbige, knackige und ausgereifte Loops hat Soundworks dann aber auch nicht zu bieten. Keine ambienten Interludes, keine Breakbeat-Exkursionen, ja nicht mal einen Breakdown gönnt sich Landberg auf den 50 Minuten seiner dritten Solo-LP. Braucht es aber auch nicht, denn gerade das macht Techno ja auch irgendwie aus: das Diktat der gerade Bassdrum und die Suche nach diesem perfekten Loop, den man einfach immer weiter hören kann, ohne dass der Kopf aufhört zu nicken. Leopold Hutter