Deena Abdelwahed x Basile3 – Free Radicals EP (InFiné Music)
Mehrere Studien belegen, dass sich Menschen heute durchschnittlich mehr als zehn Jahre jünger fühlen, als sie sind. Damit sich dieses Gefühl auch körperlich widerspiegelt, hat sich ein ganzer Markt um Anti-Aging-Produkte gebildet, der von Nahrungsergänzungsmitteln über Seren und Cremes bis hin zu chirurgischen Eingriffen reicht. Die Produzent*innen Deena Abdelwahed und Basile3, die beide auf dem französischen Label InFiné veröffentlichen, widmen sich dem Thema Altern auf ihrer EP Free Radicals.
Die Titel der drei Tracks lauten „Alpha GPC”, eine Nahrungsmittelergänzung, die gegen Alzheimer- und Demenzerkrankungen vorbeugen soll, sowie „Niacinamide” und „Hyaluron”. Inhaltsstoffe, die Mensch sich täglich aufs Gesicht schmiert, wenn er seine Haut gern hat. Und wer Geld hat, kann sich letzteren auch gegen Falten spritzen lassen.
Die Tracks sind ironisch gemeint. „Alpha GPC” klingt aber tatsächlich so, als würden Moleküle die Blut-Hirn-Schranke überschreiten: Die vielen Bleeps und Blops sowie die metallischen Schläge schlendern und preschen im Wechseltempo durch den Track. Der Sound überrascht, weil Free Radicals von vorherigen Veröffentlichungen abkehrt: Abdelwaheds Debütalbum Khonnar von 2018 sowie ihre letzte EP Dhakar von 2020 verweben analoge Instrumente und tunesisch-arabischen Gesang mit verqueren Beats und kritisieren ganz nebenbei Gesellschaft und Politik, während Basile3s Palette auf den beiden EPs Sans Retour von 2021 und Ciel Rouge von 2020 von atmosphärisch-flächigen Tracks zu Pop und R’n’B reicht.
„Niacinamide” und „Hyaluron” knüpfen an spielerische Elemente beider Produzent*innen an, besonders „Alpha GPC” und „Niacinamide” wirken trotz der warmen Perkussion kühl und vergleichsweise trocken. Fans von beiden müssen zudem schlucken, dass die Platte komplett ohne Vocals und ohne Politik auskommt. Die gute Nachricht ist aber, dass „Hyaluron” ein absoluter Clubtrack ist und in diesem Sommer sicherlich auf Festivals zum Sonnenuntergang gespielt wird. Free Radicals hinterlässt gemischte Gefühle, was normal ist, wenn Produzent*innen gewohnte Pfade verlassen. Nadine Schildhauer
Margaret Dygas – Stars Are Only Lights In The Sky (Half Baked)
Ein paar Remixe, das war es schon: seit 2016 hat die in Berlin lebende Produzentin Margaret Dygas nicht viel Musikalisches von sich hören lassen. Als DJ war und ist sie indes unentwegt global mit ihren Freund*innen aus der Perlon-Familie unterwegs. Auf Perlon veröffentlichte Dygas mit Tracks wie „Soon”, „Invisible Circles” oder „Wishing Well” auch einige ihrer raffiniertesten Clubtunes an der Schnittstelle von House, Minimal und Jazz. Nun nach sechs Jahren Veröffentlichungsstille Stars Are Only Lights In The Sky, eine EP für das Londoner Label Half Baked, dessen Ursprung in einer internationalen, gleichnamigen Partyreihe liegt, auf der sie schon lange ein gern gesehener Gast ist.
Die A-Seite bringt den neunminütigen „Butterfly Effect”, einen minimalen Techno-Verführer mit manipulativen Kräften im psychoaktiven Bereich. Nur um zwei Minuten kürzer ist „CC Is 33”, cooler Techno-Funk mit Soulorgel und subtilem Jazz-Twist, überraschend bis zum letzten Akkord. Mit „Subliminal 20A7” endet eine weitere Margaret-Dygas-EP voll eigenwilligem Minimal, den sie so brillant auch schon auf Labels wie Non Standard Productions oder Powershovel Audio publizierte. Der finale Track ist ein nervöser, dennoch in sich ruhender Techno-Tune, voller Detroit-Wahn à la Terrence Dixon und mit überraschenden, kleinen Wendungen inmitten einer dystopischen Meditation. Drei Tunes, die oberflächlich betrachtet nicht neu klingen. Durch Deep Listening indes öffnen sie Türen zu den wirklich fortschrittlichen Sphären zeitgenössischer Clubmusik. Michael Leuffen
Roman Flügel presents Tracks On Delivery – Yes People (Rekids)
Tracks On Delivery war der Titel einer Reihe von Veröffentlichungen, mit denen Roman Flügel auf dem von ihm mitbegründeten Label Ongaku den Übergang vom Tool-Format der Neunziger zum auktorialen Minimal Techno der Nullerjahre in einer Bibliothek von 15 „Pattern” aufgeschlüsselt hat. Mit einem Abstand von 20 Jahren knüpft der Frankfurter Producer jetzt auf Rekids an diese Serie an.
Konzeptionell maßgebend für die Tracks sei die Kombination einer gewissen Verschrobenheit mit einer maximalen Reduktionshaltung, so Flügel. Die beiden Tracks der A-Seite reagieren auf Detroit, Bleep Techno und Kraftwerk gleichzeitig, der Titeltrack mit einem verstolperten Drum-Sample, „Play Simple” mit Stimmeinsatz. Fabelhaft auch das beredte Elektronengezwitscher im rasanten „Jam”. Frappierend, wie Flügel aus einem Genre, das lange Zeit als blutleer und monoton abgelegt wurde, en passant eine Fülle kreativer Funken schlägt. Klar, dass auch der Acid-Track „Mysterious Delight” davon keine Ausnahme macht. Alles extrem frisch und just in time. Starke EP. Harry Schmidt
rRoxymore – I Wanted More (Aus Music)
Vier First-Class-Deep-House-Tracks, die sich an verspielter Schönheit gegenseitig zu übertreffen versuchen. Los gehts mit dem entspannten Downbeat von „Drunken Clouds”. Betrunken, aber auf angenehme Weise, während sich luftige Melodiesequenzen ums Gehör und ins Gehirn schlängeln. Fluffige Breakbeats, verschränkt mit souligen Vocals sind das Thema, dem sich der Titeltrack annimmt. Gefolgt von „Midnight Shift”, der die Formel mit geradem Beat, Future-Garage-Gesang und einem Meer von Synth-Pads variiert – zum drin Baden. Als Krönung dann mit „Last Day Last Dance” noch eine glitzernde MDMA-Wolke von einem Track. Einem Track, der in einem Mixmaster-Morris-Set nicht fehl am Platze wäre. Seine so rudimentäre wie präzise Bassline versetzt in Tiefen-Trance und bildet so den perfekten Abschluss. Tim Lorenz
Voiski – The End Of Fiction EP (Delsin)
Voiski darf also die 150. Delsin-Veröffentlichung bringen! Dafür hat sich der Franzose Luc Kheradmand, der einen beeindruckenden Track-Record auf L.I.E.S. und anderen hardwareaffinen Labels vorweisen kann, kräftig ins Zeug gelegt.
Maschinensounds waren bei ihm und dem Amsterdamer Label Delsin schon lange Zeit das täglich Brot. Kein Wunder also, dass auch die 150DSR als bunter Strauß aus Synths und Drummachines daherkommt. Voiski macht keine Gefangenen und liefert vier hymnenhafte Tracks, auf denen sich stetige Arps und Acid-Riffs gegenseitig umgarnen und immer weiter in luftige Höhen schrauben. Und selbst wenn Voiski sich hier ein wenig mit dem typischen Overdrive zurückgehalten hat, büßt seine EP keinen Deut der Peak-Time-Qualität bisheriger Veröffentlichungen ein – im Gegenteil. Das tut der Platte ganz gut und gibt vor allem den vielfältigen Synth-Melodien mehr Möglichkeiten, zu wirken. Diese kräftige Hommage an Maschinen, Detroit, den Ethos von Delsin und stellenweise auch ein bisschen Trance kommt so besonders gut. Auf die nächsten 150! Leopold Hutter