Peverelist heißt bürgerlich Tom Ford (Foto: Presse)
Kaum ein Label haben wir bei unseren Platten der Woche in den vergangenen drei Jahren so lückenlos durchrezensiert wie Livity Sound. Gegenüber anderen tonangebenden Bass-Labels wie Keysound, Tectonic oder Hessle Audio sticht Livity durch seine regelmäßigen Veröffentlichungen hervor und durch seinen breit aufgestellten, jungen Künstler*innenstamm.
Das war nicht immer so: In seiner ersten Lebenshälfte war das Label hauptsächlich eine Plattform für seine Gründer Kowton, Asusu und Peverelist. Wie es vor etwa fünf Jahren zu einer Neuausrichtung kam und wo die besondere Verbindung des Labels zu seiner Heimatstadt Brighton liegt, hat Peverelist unserem Autor Steffen Kolberg verraten.
Das zehnte Jubiläum von Livity Sound fällt in besondere Zeiten. Nicht nur steht das Leben weiterhin im Zeichen der Pandemie. Labelbetreiber Peverelist, bürgerlich Tom Ford, wurde in diesem Jahr auch Vater einer Tochter, die inzwischen sechs Monate alt ist. „Das ist eine sehr schöne Sache”, erzählt er, und: „Bis jetzt lässt sich das ganz gut mit der Arbeit vereinbaren. Aber es ist natürlich ein laufender Prozess, wir werden sehen, wie gut das in Zukunft geht.”
Im vergangenen September konnte er mit seinen Mitstreiter*innen jedenfalls den Label-Geburtstag gebührend feiern. Nachdem sie zuvor nur Sitz-Veranstaltungen im kleinen Rahmen organisieren durften, fand die Party jetzt wieder in einer größeren Location statt: Im Trinity College in Bristol gab es erstmals wieder ein großes Soundsystem und Platz für 500 getestete Besucher*innen. „Es war gut, wieder zurück zu sein”, erzählt Ford: „Und schön, wieder mal festzustellen, warum es sich lohnt, für die Musik zu leben. Darauf haben wir lange gewartet.”
Betreiber: Tom Ford
Gründung: 2011
Stil: Ein Hybrid verschiedener UK-Styles, beeinflusst von Techno, UK Funky, Dark Garage, Jungle
Künstler: u.a. Peverelist, Kowton, Asusu, Hodge, Forest Drive West, Simo Cell, Azu Tiwaline, Surgeons Girl
Größter Hit des Labels: Azu Tiwaline – Magnetic Service EP
Motto: More than music
Das Trinity Centre ist, wie so viele Veranstaltungsorte in Großbritannien, ein ehemaliges Kirchengebäude. Schon in den Neunzigern, als Tom Ford als 18-Jähriger aus Essex nach Bristol kam, war es eines der Zentren der hiesigen Musikszene. Die Größen des sogenannten Trip-Hop traten hier genauso auf wie lokale Dub-Soundsystems. „Ich kam in diese Stadt, weil ich ein Fan der Musik war, die von hier kam”, so Ford: „Und genauso wie mir damals geht es den Leuten bis heute: Sie kommen immer noch wegen der Musik.”
Tom fing an, im Plattenladen Rooted Records zu arbeiten, und wurde Teil des musikalischen Netzwerks der Stadt. 2006 gründete er das Label Punch Drunk, um etwas für die lokale Dubstep-Szene zu machen: „Es ging darum, die Musik raus in die Welt zu tragen, denn es gab damals nicht wirklich ein Label in Bristol für diese Künstler.” Ford nutzte diese eigene Plattform auch, um erste eigene Tracks unter dem Namen Peverelist zu veröffentlichen. „Als der Plattenladen dann geschlossen wurde, brauchte ich einen Neuanfang”, so Ford: „Deshalb wollte ich etwas mit einem breiteren musikalischen Fokus starten, das auch Detroit Techno, Jungle oder UK Garage umfasst.” So entstand Livity Sound.
„Ich habe diesen Plattenladen-Ethos, bin der Platten-Nerd, der nach obskuren Platten sucht und sich viel an Labels orientiert”, erklärt Ford. Deshalb verstehe er die Label-Arbeit in erster Linie als seinen künstlerischen Ausdruck. Und deshalb war seine Rolle auch schnell klar, als er 2011 zusammen mit Joe Cowton alias Kowton und Craig Stennet alias Asusu Livity Sound gründete: „Das Label war eher meine Idee. Aber wir drei machten die Musik zusammen, warfen uns gegenseitig die Ideen zu. Und das hat sich bis heute nicht geändert”, so Ford. Im Gegensatz zu Punch Drunk ist Livity Sound nicht auf die Musikszene Bristols beschränkt. Der gefeierte Londoner Joe Baker alias Forest Drive West findet sich genauso im Label-Katalog wie der Franzose Simo Cell oder der Australier DJ Plead.
Es muss sich richtig anfühlen
Auf den ersten Livity-Sound-Veröffentlichungen fanden sich ausschließlich Stücke der drei Gründungsmitglieder. Für die Veröffentlichungen anderer Künstler startete Ford 2012 die Dnuos-Ytivil-Reihe, auch bekannt als Livity Sound Reverse. Drei Jahre später brach er mit dieser Linie und begann, Artists der Reverse-Reihe wie Hodge und Simo Cell auch ins reguläre Programm zu nehmen: „Ich hatte Angst, dass wir uns wiederholen und wollte den Spielraum von Livity Sound erweitern”, erzählt er.
Seither bildet Dnous Ytivil soundtechnisch und gestalterisch den dunklen Teil des Labels ab: „Einige der besten Platten, die wir rausgebracht haben, sind in dieser Reihe erschienen”, findet Ford. Das Hauptlabel selbst steht mehr für verspieltere Formen zwischen Dub Techno, Jungle und House. „Es gibt nicht den bestimmten Sound, den ich suche”, freut sich Ford: „Es muss sich nur richtig anfühlen, es muss für mich Sinn ergeben. Mir gefallen viele Sachen, und all meine Interessen finden sich darin wieder.”
„Erst die Zusammenarbeit mit Hodge brachte mich darauf, eigene Partys zu machen.”
Tom Ford
Um der Vielfalt auch gestalterischen Ausdruck zu verleihen, tat sich Ford schon bald mit einer weiteren Künstlerin aus dem Bristol-Netzwerk zusammen, der Designerin Tess Redburn. Sie ist seither als Art Director für die farben- und formenfrohen Cover der Livity-Sound-Veröffentlichungen zuständig. „Es gab diese Mode in der elektronischen Musik, alles in Schwarz-Weiß oder Graustufen zu gestalten. Ich wollte dem etwas anderes, etwas buntes entgegenhalten”, erinnert sich der Labelchef. Inzwischen sind die ikonischen Gestaltungen von Tess Redburn zu einem Markenzeichen von Livity Sound geworden.
Von den ursprünglichen Wurzeln in Techno und Dubstep hat sich das Label zwar nie ganz gelöst, doch die musikalischen Grenzen verschieben sich weiterhin mit jeder Veröffentlichung. Dabei wurde zuletzt auch dem starken Männerüberschuss unter den Künstlern etwas entgegengesetzt, zum Beispiel mit dem Solodebüt von Sinead McMillan alias Surgeons Girl oder einer Kollaboration von Laurel Halo mit Hodge. Besonders aufhorchen lässt die Tunesierin Azu Tiwaline, die auf der Magnetic Service EP Dub Techno mit der Klangästhetik der Amazigh-Kultur der Sahara verbindet.
Dass es zum Zehnjährigen eine Label-Party gab, ist nicht nur wegen Covid keine Selbstverständlichkeit. Erst eine Weile nach der Gründung von Livity Sound begannen die drei Soundsystem-Begeisterten Kowton, Asusu und Peverelist, zusammen ein Live-Set auszuarbeiten. „Niemand von uns hatte vorher ein Live-Set gemacht, das war also eine ganz schöne Gruppenarbeit für uns”, erzählt Ford. Auf die Idee, eigene Partys zu schmeißen, kamen sie von selbst gar nicht: „Erst die Zusammenarbeit mit Hodge brachte mich darauf, das zu machen”, erinnert er sich: „Und ich hoffe, dass es bald wieder mehr davon gibt.”
Ansonsten steht für den Platten-Nerd natürlich das Veröffentlichen von Musik im Fokus: „Da schreiten wir weiter voran, hoffentlich auch die nächsten zehn Jahre.” Jetzt freut sich Ford aber erst mal über die Geburtstags-Compilation Molten Mirrors (Review). Sie bildet den ganzen Kosmos von zehn Jahren Livity Sound ab und ist wie erwartet bunt – innen wie außen.
Livity Sound in drei Releases
Pev & Kowton – Beneath Radar (Livity 001)
Die Erstveröffentlichung von Livity Sound spiegelt die gemeinsamen Sound-Ideen der Gründer: Dreckiger Garage-Techno, aus dem noch die Seele der alten Soundsystem-Szene herauszuspüren ist. „Joe und ich hingen zusammen rum und redeten über die Sachen, die uns musikalisch interessierten. Wir kamen beide aus der Dubstep-Szene und hatten erlebt, wie sie in sich zusammengefallen war. Wir wollten etwas ähnliches machen, aber mehr in Richtung Dark-UK-Garage- und Techno-Vibe. Und dann musste etwas her, worüber wir den Track veröffentlichen konnten”, erinnert sich Ford: „Eigentlich ist so Livity Sound entstanden.”
I-iii – Dolce / Bun So Nude (LIVITY027)
Erste Frage: Wie spricht man diesen Namen überhaupt aus? „Ich sage three to one”, antwortet Tom Ford. Zweite Frage: Wer steckt überhaupt dahinter? „Das ist das große Mysterium”, grinst er vielsagend. Klar ist jedenfalls: Diese 12-Inch fällt mit ihrer angenehmen Weirdness ein wenig aus dem ohnehin sehr lockeren Duktus des Labels heraus: Tropicalia-Sounds und entspannte Basslines dominieren die A-Seite, während die B-Seite zwar auch noch einen leichten Tropicalia-Einschlag hat, aber trotzdem deutlich straighter daherkommt. „Man könnte sagen, es sind die zwei Seiten der Medaille von Livity Sound; die eine der ältere, direktere Sound, die andere eher bunt und verspielt”, so der Labelchef.
Forest Drive West – Apparitions (LIVITY033)
„Joe Baker macht eigentlich die Musik, die ich wünschte, machen zu können”, sagt Tom Ford: „Ich bin sein größter Fan. Wir haben uns in London kennengelernt, wo er mir eine CD mit Tracks gegeben hat. Seitdem arbeite ich mit ihm.” System/Show Them, die erste 12-Inch von Forest Drive West, erschien 2016 noch auf dem Reverse-Imprint. Das Debütalbum folgte zwei Jahre später auf Livity Sound. „Ich mag das Album-Format”, so Ford: „Damit kann man als Künstler ein Statement setzen. Aber es ist auch eine Menge Arbeit, und es ist die Veröffentlichung, an der man gemessen wird. Ich gebe bei der Produktion nichts vor, sondern versuche, so gut es geht, zu unterstützen.” In der Zukunft würde er dem Format gerne mehr Platz bei Livity Sound einräumen.