Text: Heiko Hoffmann, Foto: Nadine Fraczkowski
Erstmals erschienen in Groove 130 (Mai/Juni 2011)
Soylent Green, Eight Miles High, Roman IV, oder auch – gemeinsam mit Jörn Elling Wuttke – Acid Jesus, Sensorama, Alter Ego: Die Liste der Pseudonyme, unter denen Roman Flügel im Laufe der vergangenen 17 Jahre seine Platten veröffentlicht hat, ist ebenso lang wie die verschiedenen Stilrichtungen, die der 40-jährige gebürtige Darmstädter produziert hat – von Acid über Electronica bis zu Techno. In letzter Zeit aber konzentriert sich der Urheber von Hits wie „Rocker“ und „Geht’s noch?“ vor allem auf seinen bürgerlichen Namen. Und auf seine erste Dancefloor-Liebe: House. Ein Gespräch über die Zeit nach dem Rave-Irrsinn und dem Niedergang der Labels Playhouse und Klang Elektronik.
Roman, viele deiner letzten Veröffentlichungen scheinen eine Grundidee zu verfolgen: „Stricher“, deine 12-Inch für Turbo Records vor zwei Jahren, war sogar so etwas wie eine kleine Konzeptplatte. Du hast den Sound, den du erreichen wolltest, selbst als „Patrick Cowley auf Ketamin“ beschrieben.
Stimmt, auch wenn das kaum einer gemerkt hat. Aber vom Titel über die Musik bis zur Auswahl des Labels war das zu dem Zeitpunkt schon als Kommentar gedacht. Ich befand mich damals in einer Situation, mit der ich nicht besonders glücklich war. Auf der einen Seite gab es die Leute, die erwartet haben, dass man die nächste Eight-Miles-High-Platte macht, auf der anderen Seite die ganzen Leute, die auf das nächste Alter-Ego-Brett warteten. „Stricher“ war auf der einen Seite von eher düsteren Italo-Nummern inspiriert, auf der anderen Seite ist da auch ein Stück drauf, das ausgesprochen leichtfüßig, vielleicht auch albern und improvisiert klingt. Und das B2-Stück war wiederum völlig durchkonstruiert. Die Kombination dieser drei Stücke war für mich eine Möglichkeit zu provozieren, und teilweise hat das auch geklappt: Manch einer war völlig verärgert über die Platte. Aber ich weiß genau, warum ich sie gemacht habe, und ich lege sie auch jetzt noch auf.
Interessant, dass gerade du dich diesem Erwartungsdruck ausgesetzt fühlst. Immerhin bist du wie kaum ein anderer Produzent dafür bekannt, in vielen verschieden Stilen Musik zu produzieren.
Vielleicht. Aber das ist auch ein Stück weit eine Strategie, nämlich durch unterschiedliche Stile dem großen Druck zu entfliehen. Ganz befreien kann ich mich davon aber nicht. Ich bin ja gespannt auf die Reaktionen auf eine neue Platte und registriere das natürlich.
Demnächst steht mit „Brasil“ deine zweite Veröffentlichung auf dem Hamburger Label Dial an. Wie kam es zu der Zusammenarbeit?
Das ist schon länger im Gespräch gewesen. Ich kenne die Jungs von Dial ja schon lange und schätze auch sehr, was sie machen. Die waren zum Beispiel Riesenfans von meiner alten Ongaku-Veröffentlichung „Tracks On Delivery“ und haben mich regelmäßig gebeten, doch was für sie zu machen. Im vergangenen Jahr habe ich dann für meine Mix-CD L i v e A t R o b e r t J o h n s o n den Track „Brian Le Bon“ produziert, den Dave und Pete von Dial super fanden. Ich hab ihnen dann eine CD mit Tracks geschickt, und davon stammen die Stücke von meiner ersten Dial-EP „How To Spread Lies“ und auch die von der neuen „Brasil“. Ich glaube, anders als bei Turbo war es für viele auch gar keine Überraschung, dass ich auf Dial veröffentliche.
Bei deiner neuen Platte „Desperate Housemen“ fällt auf – und das meine ich ganz neutral –, dass sie ziemlich alt klingt.
Ja, das ist eine eher old-schoolige Platte. Sie schließt an alte Playhouse-Produktionen von mir an, auch produktionstechnisch. Das sind klar strukturierte Tracks ohne Software-Tricks und Plug-in-Wahnsinn. Das ist eine Art und Weise der Produktion, mit der ich mich wohl und sicher fühle.
Stream: Roman Flügel – Desperate Housemen EP (Samples)
Ist das nicht ein Widerspruch? Sonst hast du ja vor allem Interesse daran, Neues auszuloten.
Das liegt auch daran, dass ich bei den Tracks das Label Live At Robert Johnson im Hinterkopf hatte und die Vorlieben von (Label- und Clubbetreiber) Ata. Das berücksichtige ich auch bei den Tracks, die ich abgebe. Ata hat zum Beispiel ein profundes Wissen, was Italo, Disco und allgemein Musik der achtziger Jahre betrifft, und das hat mich natürlich auch geprägt.
Deinen Veröffentlichungen der vergangenen beiden Jahre ist gemein, dass man sie alle als House bezeichnen könnte.
In dem Augenblick, wo ich allein im Studio sitze, bin ich wieder auf das zurückgeworfen, was ich schon immer gemacht habe. Und das ist eigentlich House. Ich habe allein ja nie Electro-House gemacht und war auch nie die große Hitmaschine. Jetzt, wo ich wieder angefangen habe, vermehrt allein im Studio zu arbeiten, habe ich das gemacht, was sowieso in mir steckt. Und dabei kommen auch Sachen raus, die sich in einem bestimmten Tempobereich – zwischen 117 und maximal 126 BPM – abspielen und einen bestimmten Gesamt-Sound haben.
Über viele Jahre hast du nur auf deinen eigenen Labels Playhouse und Klang Elektronik veröffentlicht. Genießt du es jetzt, deine Musik auf verschiedenen Plattformen unterzubringen?
Egal ob bei Turbo, Dial, Live At Robert Johnson oder auch Running Back – ich finde den Kontext, in dem man sich bewegt, sehr wichtig. Für mich ist es inspirierend, sich während der Produktion vorzustellen, auf diesem oder jenem Label veröffentlichen zu können. Das sind für mich Anknüpfungspunkte, die sich auch in der Musik niederschlagen können. Und in der Tat habe ich in den 15 Jahren zuvor ja vor allem auf einem Label veröffentlicht, nämlich Playhouse und Klang.
Playhouse und Klang gehörten jahrelang zu den wichtigsten House- und Techno-Labels mit Künstlern wie Ricardo Villalobos, Isolée und natürlich auch Alter Ego. Wie konnte es passieren, dass so ein Label innerhalb relativ kurzer Zeit in der Bedeutungslosigkeit verschwindet?
Das Label ist rückblickend schon vor etwa fünf, sechs Jahren in eine finanzielle Schieflage geraten. Das Problem ist interessanterweise zu einem Zeitpunkt entstanden, wo der Erfolg relativ groß war, mit „Rocker“ und den Folgen, dem Alter-Ego-Album T r a n s p h o r m e r und davor A l c a c h o f a von Villalobos. Das waren alles Sachen, die sich damals noch richtig gut verkauft haben. Wir hatten auf einmal mehrere Angestellte, sind gewachsen. Nach der Veröffentlichung des Villalobos-Albums ging unser damaliger Vertrieb EFA Pleite, mit der Folge, dass das Label kein Geld mehr von den Verkäufen gesehen hat und wir sehr hohe Verluste hatten. Etwas Ähnliches passierte mit unserem nächsten Vertrieb Neuton. Die laufenden Kosten waren zu hoch, die Vinylverkäufe ließen nach, und dann wurde irgendwann schlicht mehr Geld ausgeben, als eingenommen wurde. Künstlern wie Ricardo Villalobos und Isolée stand Geld zu, und es war die Frage, wie man die überhaupt noch bezahlen konnte. Dadurch wurde auch das Vertrauen zu diesen Leuten gestört. Jetzt ist das Label an einem Punkt angekommen, wo einige der alten Künstler – ich eingeschlossen – wohl nicht mehr darauf veröffentlichen und man sehen muss, wie es weitergeht.