DMX Krew – Overseer (Cultivated Electronics)
Seit über 25 Jahren veröffentlicht Edward Upton, meist unter seinem bekanntesten Alias DMX Krew, bouncende Electro-Tunes. Das ist bedeutend mehr, als viele andere Producer von sich behaupten können: Allein schon dieser Zeitraum – immerhin mehr als ein Vierteljahrhundert! – übersteigt die Lebensdauer der meisten Electro-Acts bei weitem. Obwohl kaum jemand einen vergleichbar großen und konstanten Output vorzuweisen hat – Overseer, sein aktueller 4-Tracker für Sync 24s Label Cultivated Electronics, mag seine 69. EP sein –, enttäuscht Upton so gut wie nie. Seinem 80er-Electro-Funk ist er in all den Jahren treu geblieben, hat seinen Trademark-Sound allenfalls leichten Variationen unterzogen – das Sich-Neuerfinden überlässt Ed DMX anderen. Was auf dem (virtuellen) Papier tendenziell langweilig und wertkonservativ klingt, hinterlässt als Hörerlebnis indes einen rundum positiven Eindruck: In zumeist leicht vorhaltigem Timing umschwirren Spielkonsolen- und IDM-Sounds die mit mal mehr, mal weniger Nachdruck auf den schwachen Taktzeiten akzentuierten Maschinengrooves – Upton lässt keine Statik aufkommen. Besonders gelungen ist die Balance zwischen vertikalen Soundereignissen und ausgedehnten Klangflächen in „Plashingers”, das sich nicht mit dem Weltenbau retrofuturistischer Räumlichkeit begnügt, sondern daraus eine narrative Spannung entwickelt. Diese EP unterstreicht einmal mehr, warum Upton neben Danny Wolfers nach wie vor als einer der konsistentesten Akteure der Szene gilt. Harry Schmidt
Don’t DJ & Newworldaquarium – Fashion (Meakusma)
Das Girls-Just-Wanna-Have-Fun-Lookalike auf dem Cover der Kollabo von Don’t DJ und Newworldaquarium verdrückt eine Träne. Aus Freude vermutlich. Schließlich haben sich Florian Meyer und Jochem Peteri 2019 beim Meakusma Festival die Hände gedrückt und Fashion aufgenommen. Meyer nennt sich Don’t DJ, legt aber gerne auf, wenn er nicht gerade bei Labels wie Honest Jon’s veröffentlicht. Peteri schwadroniert seit zweieinhalb Jahrzehnten in der niederländischen Szene über Techno und House und hat zu viele Platten zwischen Peacefrog und Delsin rausgeschossen, dass jede Einordnung überflüssig ist wie ein Besäufnis unterm Avocadobaum. Wer die beiden trotzdem mit Trommelzeugs und Technosachen verbindet, bekommt auf Fashion einen Methadon-Smoothie serviert. Zur Abkühlung rauscht und kratzt und bimmelt es christlich wie zur Weihnachtsmette, während Pew-Pew-Synthies im Schein der Tageslichtlampe furzen, sich nervöse Blicke zuwerfen und durch den kalten Entzug raufen. Das Ergebnis hüpft zwischen der Hotness dreier Slibowitz-Aufgüsse und dem Schmerzlevel einer Wurzelbehandlung hin und her. Eine Platte als liturgischer Horrortrip. Christoph Benkeser
Patrice Scott – The Uprise (Sistrum)
Der Macher des legendären Detroit-Labels Sistrum hat sein House- und Techno-Handwerk seit den späten 1980er Jahren sympathisch von Grund auf gelernt. Angefangen hat er als DJ, dann kam das Produktions-Equipment, das er durch Zufall billig erstand, – die legendären Geschichten anderer Detroiter Musikproduzenten, die eine Roland TR-808 oder TR-303 auf Flohmärkten für fünf Dollar kauften, sind wohlbekannt – und dann lernte er erst eine Weile seine Instrumente besser kennen. Wesentlich später, im Jahr 2006, als er kein Label fand, das seinen Sound herausbringen wollte, entschied sich Patrice Scott, ein eigenes Label zu gründen. In der Hochzeit des Minimal war das erste Deep-House-Revival, das im Gegensatz zum Original bereits durch digitale Produktionstechniken geprägt war, in Sicht. Wegen Scotts oldschooliger, analoger Produktionsweise wurde sein Label in Europa schnell zum Instant-Hit und ein Garant für deepen und schön rohen House Detroiter Machart. Das hat sich bis heute nicht geändert („The Uprise”). „Ghetto Love” ist ein warmer, melancholisch verspielter und flächiger Chicago-Electronic-Boogie-Groove mit einem hinterlistig schleichenden Basslauf, der von einer SH101 stammen könnte. Im Mittelteil kippt der Track nach dem Break mit einem klassischen Deep-House-Rhodes-Sample episch nach vorne. Das erinnert an die heiß-feuchte Soundsignatur von Larry Heards Album Love’s Arrival und zeigt Scotts Chicago-Einfluss deutlich. „That Vibe” auf der B-Seite rattert als überdrehter Disco-Rolltreppen-Loop mit offener Hi-Hat im Turboliner-Wagon der 1970er Jahre zwischend der Twin- und Windy City entlang. Vor allem die optimistischen Synth-Triolen überzeugen über den verwehten Chor-Synth-Patterns mit einem sommerlichen Chicago-Balearic-Touch zwischen Boo Williams und Glenn Underground. Das dritte analoge Deep-House-Revival kann kommen. Mirko Hecktor
Peter Grummich – Onions EP (B2)
Der relativ unterschätzte Peter Grummich produziert seit mehr als zwei Jahrzehnten Deep-House-Minimal-Detroit-Electro-Dancefloor-Killer. Der Berliner veröffentlichte während dieser Zeit zwar auf wichtigen Labels wie Shitkatapult, Kompakt, Sender, Spectral Sound, Morris / Audio oder Mule Musiq sowie auf seinem eigenen Imprint Inner Bird. Trotzdem blieb er als DJ-Producer bisher etwas unter dem Radar der Weltöffentlichkeit. Mit der Onions EP legt er auf B2 aus Athen erneut einen dichten, stimmig-rauen, verhalt-rauschigen, psychedelisch anmutenden Deep-Acid-Klassiker hin. „Basement Memories” tuckert untenrum rund und entspannt zwischen Detroit-Electro und Dub Techno dahin. Bis die Cowbell und die hölzerne TR-707-Clap im gut paranoiden Spät-1980er-Chicago-Acid-Riot-Stil nach vorne dreschen. Die Pressemitteilung klärt die*den Hörer*in auf, dass auf dem Release mit der Drummachine Casio RZ-1 – die eher ein Sampler mit Sequencer und Drum-Factory-Settings ist – experimentiert wird. Falls das stimmt, hat Grummich dafür wohl die füllig-organischen Sounds der TR-808/909 gesampelt. Wahrscheinlich beschreibt der B2-Beipackzettel damit aber die Stab-Reverb-Flächen. Mit „Hello Rave” beweist die EP, dass Grummich der wesentlich coolere Joris Voorn aus den späten 2000ern sein könnte. Und am Titeltrack der Platte, „Onions”, unter seinem Pseudonym Lee Anderson erkennt man in der Ferne seine alte Liebe zur Italo-Disco. Zwischen einem hypnotischen, italienischen UMM-Label-Groover und holländischem Balearic House in Nähe guter Touché-Records-Platten schwillt der Track zu Acid-Electronic-Boogie an. Bevor kurz eine verwehte Disco-Funk-Gitarre einsetzt, und den Italo-Deep-House-90s-Dub-Remix rauslässt. Ein weiterer stimmiger Beitrag für das dritte Deep-House-Revival der übernächsten Generation. Mirko Hecktor
Source Direct – Dangerous Curves (Speed)
Seit 2012 veröffentlicht das niederländische Label Tempo Records neben der Musik von zeitgenössischen Drum‘n‘Bass-Produzent*innen auch Tracks von Veteran*innen. Das neue Sublabel Speed scheint nun komplett auf die Jetztmusik von längst etablierten Acts spezialisiert zu sein. Nach jeweils einer EP von DJ Trace und DJ Krust, die beide in den frühen 1990ern Drum’n’Bass mitformten, nun Source Direct. Jenes legendäre Produzenten-Duo aus dem britischen Städtchen St. Albans, das durch ihren im Action-Horrorfilm Blade benutzten Track „Call & Response” 1998 kurzzeitig global gefragt war. Mittlerweile zum Soloprojekt geschrumpft, hat Source Direct nicht seinen Signature-Sound aufgegeben. Gewieft konstruierte Breakbeats, abenteuerliche Tempo-Experimente, neblige Noir-Sounds und tief wummernde Bassfrequenzen zeichnen auch die neuen Stücke „Dangerous Curves” und „Game Play” aus. Für die nie eingeschlafene und seit den frühen 1990ern vor allem in Europa durchgehend aktive Drum’n’Bass-Szene dürften diese Tracks nichts Besonderes sein, denn Source Direct haben/hat nie aufgehört, Musik zu veröffentlichen und waren/war besonders 2020 auf dem eigenen, gleichnamigen Label digital sehr aktiv. Für die neuen Fans des aktuellen Drum’n’Bass- und Breakbeat-Revivals indes erscheinen hier zwei absolute Qualitätsproduktionen, die den frühen Geist des Genres dezent aufpoliert ins Hier und Jetzt retten. Teilweise erinnern die Stücke sogar an die Sci-Fi-Jazz-Produktionen von Hokusai, einem kurzweiligen Seitenprojekt von Source Direct. Und die sonnigen, von Filtersounds und digitalen Gitarrenlicks getragenen Atmosphären im Titeltune mahnen modern an alte Source Direct Veröffentlichungen auf Labels wie Good Looking. Alles natürlich absolut präzise arrangiert, durchgehend vollgepumpt mit dunkler Suspense und überraschenderweise nicht anachronistisch. Michael Leuffen