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Meakusma 2022: Bis zum Verrauchen der letzten Dub-Schwaden

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Glaubt man Wikipedia, hat Eupen an die 20.000 Einwohner:innen. Nur etwas weniger Künstler:innen spielen auf dem Meakusma, das vom 1. bis 4. September in der belgischen Grenzstadt nur etwa 16 Kilometer von Aachen entfernt stattfindet. Das Festival ist größtenteils ausverkauft, etwa 1500 Personen campieren, wohnen in Weihnachtsmarkthütten oder haben sich in Hotels oder Airbnbs eingemietet. Die Kapazitäten sind begrenzt.

Das ist tatsächlich nur ein Teil des Line-ups des Meakusma 2022.

Zwei Jahre in Folge fiel das Meakusma aus, was erklärt, wieso das diesjährige Line-up beinahe den Flyer sprengt. Die Pandemie und das Hochwasser, das Belgien im letzten Sommer hart traf, sind die Gründe dafür. 2022 spielen deshalb – neben gänzlich neuen Bookings – einige Künstler:innen, die schon für die vorherigen Ausgaben gebucht waren. Das Aufgebot zielt auf Liebhaber:innen so ziemlich aller Facetten elektronischer Musik und experimenteller Klänge ab.

Club-Acts stehen neben Neuer Musik und dispersen Listening-Konzepten, Bands und Neoklassik-Ensembles buhlen um Aufmerksamkeit. Neben dem Alten Schlachthof, der als Schaltzentrale des Meakusma alleine schon fünf Bühnen beherbergt, gibt es über Eupen verstreut noch diverse weitere Spielstätten. Etwa die Friedenskirche, in der Orgelkonzerte stattfinden. Oder den Eupen Plaza, ein leerstehendes Einkaufszentrum, in dem mit dem Splitter Orchester ein Konvolut aus avantgardistischen Musiker:innen gleich zwei Auftritte absolviert.

Meakusma Huetten by Fabonthemoon
Eine unorthodoxe Übernachtungsmöglichkeit: Weihnachtsmarkthütten. (Foto: fabonthemoon)

Die Dance-Music-Acts bespielen aber hauptsächlich den Alten Schlachthof, wo mit SKY H1 & Mika Oki schon am Donnerstag ein potenzielles Highlight lockt. Das Live-Set, das pünktlich um 20 Uhr beginnt, ist der einzige Auftritt des Abends auf dem größten Floor namens „Halle”. Das soll die nächsten Tage über nicht so bleiben: Im dunklen, sterilen Raum mit großer Bar nahe des Eingangs fühlen sich Club-Acts wie zu Hause.

Die beiden Künstlerinnen, die nun spielen, sind Vorbotinnen dessen: Neben beatlosen Passagen fräsen sich nach dem Motto Dekonstruiert, was euch dekonstruiert nämlich auch erste Breakbeats und gerade Technoklänge durch die Menge. Ab Sekunde eins wirbelt ein etwas betagter Ausdruckstänzer, der wie ein paranormales Phänomen praktisch überall auf dem Festival gleichzeitig zu sein scheint, durchs Publikum, zuerst auf der rechten, dann auf der linken Seite des Saals. Auch er ist Vorbote, allerdings nicht für Club-Acts, sondern für den exzentrischen Charakter des Meakusma. Es sind nicht nur nerdige Hipster mit Kopfbedeckungen, auf denen im Idealfall das Logo des eigenen Labels – so eines hat hier jede:r, der:die etwas auf sich hält – prangt, die das Publikum ausmachen. Neben den Heads sind es hippieske Freigeister wie der von den Festivalerfahrenen Meakusma Dancer genannte Herr, die das hiesige Bild prägen.

SKY H1 & Mika Oki by Caroline Lessire
SKY H1 & Mika Oki haben sich in einem Baldachin verschanzt (Foto: Caroline Lessire)

Die menschlichen Visuals lenken vom Live-Set fast ein wenig ab. Insgesamt funktioniert aber, was SKY H1 & Mika Oki bieten. Ein Missgeschick reißt die Zuschauer:innen allerdings aus der audiovisuellen Trance: Eine der beiden fasst an ein offenbar empfindliches Kabel, das Live-Set bricht zusammen. Im Publikum stöhnt ein Zuschauer ein mitfühlendes „Scheiße”. Nach wenigen Sekunden sind die Technikprobleme aber gelöst, und der Closer „I Think I Am”, eine von SKY H1s bekanntesten Nummern, beschwört die entrückte Atmosphäre wieder herauf.

Parallel spielt Philipp Matalla live im kleineren Kesselraum. Glücklicherweise ist der DJ aus dem KANN-Umfeld am nächsten Tag an gleicher Stelle nochmal zu sehen. Keine Seltenheit auf dem Meakusma, auf dem Künstler:innen oft mehrere Projekte präsentieren oder mehrmals spielen – der Pianist und Multiinstrumentalist Simon James Phillips hat beispielsweise vier Auftritte zu absolvieren. Matalla beginnt ziemlich experimentell in Salon-des-Amateurs-Manier, seine undurchsichtigen, beatlosen Stücke gehen aber immer stärker in organische Grooves über, die gegen Ende in rohem, entfesseltem Funk gipfeln. Wenn das Meakusma ein DJ-Set wäre, dann wohl dieses.

Meakusma Friedenskirche by Caroline Lessire
Die Eupener Friedenskirche. Über uns: Die Orgel. (Foto: Caroline Lessire)

Obwohl das Festival sich nicht nur in auskennerischem Eklektizismus übt: Bereits tagsüber füllten Delphine Dora und eben erwähnter Simon James Phillips die Friedenskirche mit Orgelklängen. Das Konzert der Französin kam der sakralen Atmosphäre eines regulären Gottesdienstes mit inbrünstigem Gesang und theatralischem Spiel dabei gefährlich nahe, Phillips setzte auf dronige, zarte Töne, spielte die Orgel behutsam und ließ sekundenlange Verschnaufpausen zwischen den Anschlägen.

Meakusma Pessimist by Mirka Farabegoli
Pessimist frönt seinem schlurfenden Dubstep-Trott. (Foto: Caroline Lessire)

Doch zurück zur elektronischen Tanzmusik: Auch in diesem musikalischem Milieu beweist das Meakusma einen Sinn für Vielfalt: Pessimist spielt Hänger-Dubstep mit shufflenden Hi-Hats, die im Delay ertrinken, und zündet sich aus diesem Anlass eine nach der anderen an. Gavsborg, Teil des Kollektivs Equiknoxx, nutzt die Mehrzweckhallen-Anmutung der Halle und sorgt mit Kelis’ „Milkshake” als Highlight seines starken Sets für Abifeten-Stimmung. Re:ni bestreitet von 3 bis 5 Uhr den Abschluss und feuert ein makellos britisches Set aus Techno und Breaks auf die verbleibende Menge ab, deren harter Kern bis zum Ende durchhält.

Der Heuboden, ein Floor mit tropischen Temperaturen unter dem Wellblechdach des Gebäudes gegenüber, ist an jedem Festivaltag am längsten geöffnet. Schummriges Licht und wenig Platz sind bekanntermaßen zwei formidable Zutaten für Spaß auf dem Dancefloor. Dazu allerlei Gewächs, eine halbwegs elastische Holzbank, die im Laufe des Festivals an einer Stelle brechen sollte, und für die wildesten Raver:innen Warnzettel, die dazu aufrufen, die Fenster auf keinen Fall zu öffnen – Polizeigefahr! In dieser Sauna des musikalischen Distinktionsbedürfnisses spielen Acts wie Japan Blues, Nosedrip, Moopie, Tapes oder Pretty Sneaky. Je nach Tageszeit ändern sich Auslastung und die Bewegungsbereitschaft der Anwesenden. Während bis in den frühen Abend hinein vor allem gesessen wird, beginnt das Tanzgebahren meist gegen 22 Uhr.

Besucher Meakusma by Caroline Lessire
In den früheren Abendstunden konnte man auf dem Heuboden noch sitzen, später war der kleine Floor bis zum Bersten gefüllt. (Foto: Caroline Lessire)

Am dritten Festivaltag gesellte sich zum fülligen Bühnenaufgebot noch der Hinterhof. Dort baute das 54Kolaktiv sein mächtiges Soundsystem auf, den zugehörigen Dancefloor säumten Perserteppiche. Eine perfekte Spielwiese für Al Wootton, Felix Hall oder DJ Plead, die auf der einzigen Freiluftbühne mit Dub, Dancehall, Reggaeton und anderen basslastigen Spielarten dichte Graswolken und Ballonhosenträger:innen auf den Plan riefen. Beobachtung: Sowohl in der Kirche, wo diese Begebenheit natürlich am auf dem Altar zugeschnittenen Architekturkonzept liegt, wie vor dem Soundsystem saßen respektive tanzten die Besucher:innen mit dem Gesicht von den Musiker:innen und DJs abgewandt. Was sich Realkeeper seit Jahren sehnlichst wünschen, scheint auf dem Meakusma zumindest teilweise in Erfüllung zu gehen. Das Ziehen von Analogien zwischen elektronischer Musik und Religion bleibt aber Material für Jutebeutelsprüche und soll hier nicht weiter verfolgt werden.

Meakusma Anthony Naples by Caroline Lessire
Anthony Naples spielte ein Set, das übers konventionelle Warm-up hinausging. (Foto: Caroline Lessire)

In der Halle dominierten am Samstag erst mal Indie- und Trip-Hop-Klänge. James K führte die Anwesenden in ihr kommendes Album Random Girl LP ein und gab einiges zum Besten, was sich wie eine Mischung aus Bowery Electric und Portishead anhörte. Mal sang die New Yorkerin selbst, mal kam ihre nachdenkliche Stimme aus der Live-Set-Konserve, was die Transzendenzerfahrung am Frühabend perfekt machte. In die Realität zurück bat anschließend Ks Labelchef Anthony Naples, der mit atzigen Tech-House-Selektionen und haufenweise Vocals ein Set spielte, das leicht übers konventionelle Warm-up hinausging.

Shed präsentierte um 2:30 sein Liveprojekt The Higher: Eine Alibi-Ambientfläche am Anfang, danach versetzten Amen-Break-Geballer und Hardcore-Sounds in eine Zeit zurück, die die wenigsten im Publikum – der Autor eingeschlossen – aktiv miterlebt haben, was die Begeisterung und Andacht erklärt, die sich breitmachte. Das Closing des ekstatischsten Festivaltages blieb Phillip Jondo überlassen, der bis 5:30 so ziemlich alle erdenklichen Genres kunstvoll ineinanderwob und wie re:ni am Vortag eines der Sets des Festivals spielte. Nur ganz anders eben.

Am vierten und letzten Tag des auf Überlänge konzipierten Festivals war Auslaufen angesagt. Anil Eraslan, Ignaz Schick und Tom Malmendier rüttelten mit einem atonalen Zusammenspiel aus Schlagzeug, Cello und Turntables, das sich mit fortlaufender Hördauer in bemerkenswertes akustisches Wohlgefallen auflöste, nochmal auf. Auch Laurine Frosts über 90-minütiges Ableton-Live-Set aus Jazz-Perkussion, haufenweise Polyrhythmen und organischen Breaks überzeugte. Wer sich noch aufraffen konnte, dem bärtigen, zotteligen Ungarn mit Fedora beizuwohnen, wurde mit überragenden Tracks wie „When God Divided By Zero” entlohnt. Noch bis in die frühen Morgenstunden glomm  selbstverständlich der Heuboden weiter, wo schließlich auch die letzten Dub-Schwaden verrauchten.

Meakusma Campingplatz by Maximilian Fritz
Leicht abschüssig: Der pittoreske Campingplatz des Meakusma. (Foto: Maximilian Fritz)

Das Meakusma als Festival einzuordnen, ist ein schwieriges Unterfangen. Vom kompromisslosen Dauerrave und dessen Institutionalisierung ist es gleichermaßen weit entfernt. Hier tummeln sich vor allem Musikliebhaber:innen, manche würden sie auch als Nerds verunglimpfen, und liebenswerte Sonderlinge, die das Eupener Stadtbild ein paar Tage lang prägen.

Meakusma Garten by Maximilian Fritz
Der Garten des Meakusma adressierte die Besucher:innen mit einem großzügigen Angebot. (Foto: Maximilian Fritz)

Vor praktisch jedem Restaurant oder Café sitzen Personen mit Hemd und Cap, die eifrig das Programmheft studieren und dessen Punkte lebhaft diskutieren. Neben dem Alten Schlachthof, auf dem Campingplatz, praktizieren Festivalgänger:innen und das Veranstalterteam ihre besten Manieren: Selten erlebt man derart saubere Veranstaltungen, noch seltener, dass den Gästen die Früchte des angrenzenden Gemüsegartens wie selbstverständlich zum Verzehr angeboten werden. Auf dem Meakusma klappt das ohne autoritäre Strenge, und das ist vielleicht sein größtes Verdienst.

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