DJ Plead – Going For It EP (Livity Sound)
Der aus dem australischen Melbourne stammende Produzent Jarred Wheeler hat in den letzten Jahren eine wirklich eigene musikalische Sprache entwickelt. Einzuordnen ist seine Musik zwar irgendwo zwischen Bass oder UK Funky, ein ganz zentraler Einfluss seiner Tracks sind aber levantinische Rhythmusmuster aus den Genres Dabke und Mahraganat sowie Percussion-Sounds, die von Instrumenten wie der Oud und der Daf stammen. Erklären lässt sich dieses Faible dadurch, dass Wheeler familiär einen libanesischen Hintergrund hat. Die neue DJ Plead-EP Going for It ist auf dem stets hochinteressanten Londoner Label Livity Sound erschienen. Beinahe vollständig vertrauen die vier Tracks dieser Platte auf Percussion-Sounds, Synthesizer müssen sich mit sehr knapp gehaltenen Auftritten begnügen. Das Thema Dabke geht der Australier natürlich radikal anders an als etwa Omar Souleyman auf seinem letzten Monkeytown-Album – anders heißt hier vor allem abstrahiert. Eine Midschwiz-Klarinette hört man zumindest auf dieser neuen EP von DJ Plead nicht mal in angedeuteter Weise. Vom Titeltrack „Going for It“ bis zum UK-Funky-Banger „Ess“: all killers, no fillers, ganz im Ernst. Holger Klein
Gooooose & DJ Scotch Egg – JAC (SVBKVLT)
Bei SVBKVLT klingt die Zukunft wie ein Schlag in die Fresse. Das Experimental-Label aus Shanghai schmeißt alle zwei Monaten Platten in den Post-Anything-Äther, die zwischen utopischem Diaspora-Gebumms und verkokstem Schmonzetten-Geballer den Footwork aus Chicago durch 25 Effektgeräte schleifen, um ein „Made in China“-Label draufzupappen, obwohl man eigentlich nach zerbrochenen Glückskeksen aus dem Nyege Nyege-Lager klingt. Kein Zufall, dass sich Goooose und DJ Scotch Egg beim Festival in Uganda kennengelernt haben. DJ Scotch Egg kümmert sich seit den frühen 2000ern um das Chiptuning bei tiefergelegten Nissan-Schüsseln und futtert zum Frühstück Schottisch Eier (don’t google it!), Gooooose schrei-synthesizet sonst bei der Progressive-Rock-Band Duck Fight Goose. Verknüpfen beide ihre Ableton-Bildschirme wie auf JAC, biepst und quietscht und pritschelt es zwischen ausgehöhlten 808-Kicks, dass man nervös über passende Dance-Mooves grübelt, ohne gleichzeitig wie der ärgste Depp von einem Fuß auf den anderen zu hampeln. Nicht gerade die Mukke, um bei den Schwiegereltern vorzusprechen. Aber gut genug, um sie wieder loszuwerden. Christoph Benkeser
Konduku – Mantis 03 (Delsin)
Ein Lebenszeichen aus dem Reich des Techno. Es geht ihm gut, sehr gut sogar. Braucht keine „Neuerfindung“ oder andere vermeintlich radikale Umstürze dafür. Es genügt, die Grundzutaten ein wenig durchzuschütteln und so anzuordnen, wie sie dann halt landen. Was einigermaßen auf die Herangehensweise des holländischen Produzenten Ruben Üvez alias Konduku zutreffen dürfte. Bloß dass er seine tupferartigen Synthesizerklänge und Beats nach sehr genauen Vorstellungen dort hintut, wo er sie haben möchte. Komplexe Polyrhythmen, die ruhig und gleichwohl erkennbar gegen die althergebrachten geraden Viertel gebürstet wurden, ergeben ein Pochen, das in sich ruht und zugleich immer einen Hauch unrund wirkt. Die Kraft entsteht nirgendwo aus dem direkten Wumms, sondern aus sehr bewusst zurückgehaltenen Energien, die dadurch nur noch spannungsreicher fließen. Beim Meditieren über Kondukus Synkopen kann man denn auch leicht in Ekstase geraten. Große, sehr große Platte sogar. Tim Caspar Boehme
Love Club – Das Rote Haar (Running Back Double Copy)
Man muss nicht mal auf Rothaarige stehen, um diese Platte gut zu finden: Was Jens Lissat und Peter Harder 1990 als Love Club via RCA auf den seinerzeit noch jungen Deephouse-Dancefloor geworfen haben, vereint das Beste aller Welten in sich. Der Schrei des Seetauchers, der in vielen ozeanischen Hits wie „Sueño Latino“ oder „Pacific State“ zu hören ist und stets Assoziationen an einen nahegelegenen Strand weckt, ein Groove, der dem von Larry Heards „Can You Feel It“ sehr sehr nahe steht, mit einem Subbass wie in einer Bobby-Konders-Produktion – kein Wunder, dass Tony Humphries „Das Rote Haar“ noch im selben Jahr für einen KissFM-Mastermix verwendet hat. Zur Novelty-Platte wurde der Tune durch seinen deutschen Text: An ihren Erfolg mit „Erdbeermund“ anknüpfend, das Lissat und Harder 1989 als Siegmund und seine Freunde veröffentlicht hatten, verwenden sie auch hier einen Text von Francois Villon, der in der Übersetzung und Diktion rezitiert wird, in der Klaus Kinski die Gedichte des französischen Lyrikers hierzulande populär gemacht hat, wobei sie sich auch die Freiheit nehmen, einzelne Verszeilen zu rekombinieren: „Im Feld den ganzen Sommer war / Der rote Mohn so rot nicht wie dein Haar. / Jetzt wird es abgemäht, das Gras, / Die bunten Blumen welken auch dahin. / Und wenn der rote Mohn so blass / Geworden ist, dann hat es keinen Sinn, / Dass es noch weiße Wolken gibt… / Du hast nur leise mein Gesicht berührt / Ich habe da dein Blut gespürt / Ich hab mich in dein rotes Haar verliebt.“ Obwohl das Original gar nicht mal so selten ist – im Hochgefühl des vor 30 Jahren gerade prosperierenden Dancefloor-Markts dürften von dieser Major-Veröffentlichung erhebliche Stückzahlen produziert worden sein, von denen interessanterweise viele in Italien, aber auch in Spanien gelandet zu sein scheinen –, muss das Running-Back-Vinyl-Reissue dennoch als ausgesprochen verdienstvoll gelten: Was auf einschlägigen Second-Hand-Plattformen und in Flohmarkt-Grabbelkisten zu finden ist, dürfte überwiegend reichlich abgespieltes Material sein. Zumindest für diesen Herbst gilt: Balearischer wird’s nicht. Harry Schmidt
Parris – Polychrome Swim (The Trilogy Tapes)
Auf der einen Seite ist Polychrome Swim die erste Solo-EP von Parris seit zwei Jahren und „nur“ die zehnte überhaupt seit 2014. Diese zehn erschienen aber auf Labeln wie Idle Hands, Hemlock und The Trilogy Tapes, eine davon zudem in Zusammenarbeit mit Call Super. Last but not least landete einer seiner Tracks vor ziemlich genau einem Jahr auf Martyns FYE-Compilationreihe. Dieses Namedropping verdeutlicht, dass Dwayne Parris-Robinson, wie der Londonder im echten Leben heißt, von Kollegen hochgeschätzt wird, und es lässt eine Ahnung seiner stilistischen Bandbreite entstehen von Bassmusic bis Techno. Wer Parris’ sensibel-kunstvoll gestrickte Post-Dubstep-Minimalismen wie auf seiner bemerkenswerten Your Kiss Is Sour-EP von 2017 oder auf besagtem FYE-Sampler schätzt, wird sich von dem Opener auf Polychrome Swim erst einmal überrumpelt oder womöglich sogar abgeschreckt fühlen: „Harajuku Girls“ benutzt einen jenseits der 130 BpM-Grenze angesiedelten Technobeat, um darüber ein nicht enden wollendes Vocalsample und zerhackte Chords über gute acht Minuten ein Wettrennen veranstalten zu lassen. Setzen diese beiden Hauptelemente einmal kurzzeitig aus, entpuppt sich der Track als eher federnd und dezent fröhlich, aber diese Phasen dauern immer nur kurz und werden schnell wieder von weiteren beklemmenden Sounds und Breaks ausgehebelt. Die beiden folgenden Stücke wirken dann oberflächlich gehört wie trostspendendes Gegengift, leben aber auch von einer spezifischen atmosphärischen und harmonischen Uneindeutigkeit, von Dur- und Moll-Parallel-Linien und einer melancholischen Fragilität, die am Ende dem Fan pure Freude bereitet. Mathias Schaffhäuser