Etapp Kyle (Alle Fotos: Sergei Veredin)
Etapp Kyle ist in der Technoszene vor allem für drei Charakteristika bekannt: Fordernde Sets, bei denen dieses Adjektiv nicht zur Platzhalter-Vokabel für atonales Gebolze verkommt, intelligente, tiefgängige Eigenproduktionen für besonders audiophile Hörer*innen und schließlich für seine Residency im Berghain.
Bis in diese Position war es allerdings ein langer Weg für den Ukrainer, der aus seiner Heimat im ländlichen Westen des Landes zunächst in den Moskauer Club Arma17 führte. Bevor jedoch überhaupt an professionelles Auflegen zu denken war, musste er sich erst mit Kassetten-Sets und Band-Gigs im Kulturhaus seines Heimatdorfes beweisen, wie er uns im Meine-Stadt-Feature verrät.
Die Kindheit auf dem postsowjetischen Land – Etapp Kyle ist 1987 geboren – bestand aber nicht nur aus Musik. Versteckspiele auf stillgelegten Kollektiv-Farmen waren ebenso an der Tagesordnung wie Joints in rustikalen Wohnhäusern während der Adoleszenz.
Etapp Kyle nimmt uns in einer optisch beeindruckenden Meine-Stadt-Ausgabe mit ins Umland von Czernowitz, einer 250.000-Einwohner-Stadt nahe der moldawischen und rumänischen Grenze. Dabei geht es um Kindheitserinnerungen, postsowjetischen Charme und die fordernde ukrainische Infrastruktur.
Wer halbwegs genau hinschaut, erkennt übrigens einige der Stationen im Video zu „Nolove”, dem Titeltrack der EP aus dem März dieses Jahres, wieder.
Das ist das Kulturhaus meiner Heimatstadt. In der Sowjetunion hatte jede Ortschaft eines. Allgemein waren diese Gebäude ziemlich groß und für verschiedene kulturelle oder pädagogische Veranstaltungen gedacht. An dieses hier habe ich sehr schöne Erinnerungen – hier habe ich mein allererstes DJ-Set, wenn man das so nennen kann, mit Kassetten gespielt. Außerdem stand ich ein paarmal am Synthesizer einer Band!
Auf diesem Foto befinde ich mich im Erdgeschoss eines typischen postsowjetischen Wohnhauses. In solchen habe ich als Teenager oft mit Freunden abgehangen. Treppen und Gänge wie auf dem Bild eigneten sich, um Zigaretten oder Gras zu verstecken. Außerdem waren die Häuser bei Regen oder Kälte ein guter Unterschlupf. Wir trafen uns, hatten manchmal ein paar Drinks und blieben, bis uns die Besitzer rausschmissen.
Das ist das verlassene Restaurant Dniester. Es steht auf einem Hügel neben dem gleichnamigen Fluss, übrigens der zweitgrößte der Ukraine. Das Gebäude liegt an der Grenze zwischen den Regionen um die Städte Czernowitz und Chmelnyzkyj – eine richtig schöne Gegend. Meine Mutter erzählte mir, dass das mal eines der angesehensten Restaurants der UdSSR war und mein Vater sie hierhin ausführte, bevor die beiden heirateten. Der Ausblick auf den Fluss von der Terrasse aus ist malerisch, die Atmosphäre hier war laut ihren Berichten einzigartig.
Das ist der Hauptraum des Restaurants. Für die Innenausstattung nahmen sie spezielles Holz, aus dem wunderschöne Lampen wurden, die zugleich die Akustik streuten. Deshalb war die Stimmung sehr intim.
Religion ist ein extrem wichtiger Teil der ukrainischen Kultur. Meine Großmutter hat mich als Kind oft mit zum Sonntagsgottesdienst genommen. Diese Kirche befindet sich etwas außerhalb meiner Heimatstadt, ich wollte sie aber trotzdem zeigen, weil sie eine besondere ist. Sie wurde 1738, hauptsächlich aus Holz, erbaut und hat die größten politischen, militärischen und kulturellen Beben der Ukraine mitgemacht. Im Ersten und Zweiten Weltkriegs wurde sie außerdem zweimal fast vollständig zerstört.
In der Sowjetunion gab es landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, auch Kolchosen genannt. Nachdem der Staat zerfiel, wurden die meisten von ihnen aufgelöst. Als Kinder haben wir dort oft Verstecken gespielt. Auf dem Bild stehe ich vor einem Kuhstall in meinem Dorf, der noch steht, die meisten davon wurden über die Jahre abgerissen.
Das ist Straße zum Nachbardorf und ein typisch ukrainischer Bus. Die Straße liebe ich, den Bus hasse ich. In diesen Dingern, die während der Fahrt auseinanderfallen, habe ich viel Zeit verbracht, als ich anfing, in anderen ukrainischen Städten aufzulegen. Manchmal musste man darin acht oder zehn Stunden ausharren, obwohl es im Winter drin fast so kalt wie draußen ist. Diese Erfahrung härtet allerdings auch ab.