Trauma Bar und Kino (Sämtliche Fotos: Presse)
In der Eigentumwohnungswüste der Europacity am Berliner Hauptbahnhof befindet sich einer der einflußreichsten jüngeren Clubs der Stadt. Schon der Name verweist auf seinen interdisziplinären Ansatz, der internationales, hippes Publikum in die abgelegene Gegend lockt. Unsere Autorin Nastassja von der Weiden besuchte den Club vor der Coronakrise und erkundigte sich bei den Macher*innen nach Motivation und Vision.
Progressiv, visuell-ästhetisch, neue Dimensionen und Schnittstellen erkunden – so könnte man den Kunstort und Club Trauma Bar und Kino in der Berliner Heidestraße, etwa zehn Minuten vom Hauptbahnhof entfernt, beschreiben. Keine funktionierende Website, aber ein gut kuratierter Instagram-Feed. Stilmäßig so schnörkellos-hip wie zeitgenössisch-überbordend, irgendwo zwischen White-Cube-Kunst und Moodboard des Vice-Magazins.
Kino, Bar, Club und Kunstraum
Trauma Bar ist mehr als ein Club: Kuratierte Musiknächte, Partys, Konzerte, Ausstellungen, Installationen, Performances oder auch eine feministische Gaming Group und – wie der Name schon sagt – ein Kinoprogramm finden in der Location Platz. Übergreifend, ineinander übergehend. Rund um das Gelände wird gebaut, auf dem Hof parken Autos und Räder neben dem angrenzenden Baumaschinenverleiher. Hinter dem Clubgebäude ragt ein monströser gelber Baukran empor. Eines der wenigen alten Gebäude dieser Gegend, der neuen sogenannten Europacity, ist das Zuhause der Trauma-People.
Seit 2018 betreiben sie hier den Club-Kunstraum-Hybrid, in dem die Arbeiten von Musiker*innen und bildenden Künstler*innen verwoben und exponiert werden. Juliana Huxtable, Brooke Candy oder Rui Ho sind nur drei der zahlreichen namhaften Künstler*innen, die beim Durchscrollen des Veranstaltungskalenders ins Auge springen dürften.
Die drei Performer*innen sind der Inbegriff einer neue Ära der modernen, genreübergreifenden Clubmusik. Juliana Huxtable ist Musikerin, Schriftstellerin, (Grafik-)Künstlerin, Performerin, DJ und widmet sich auf unterschiedlichsten Wegen den Themen Gender, Queerness und Identität, hält Vorträge darüber, was es bedeutet, „den eigenen Körper in Besitz zu nehmen”. Als weiteres thematisches Feld forscht die US-Amerikanerin zu Sklaverei und Rassismus und lässt darin auch ihre persönliche Biografie einfließen. Brooke Candy aus L.A. ist seit Jahren als Rapperin, Sängerin und Tänzerin bekannt, wobei die frühere Stripperin (nicht zuletzt durch ihre gemeinsamen Auftritte und Kollaborationen mit Charlie XCX und Lizzo) 2018 einen großen Karrieresprung machte und passend dazu erstmals im Berghain auf der Bühne stand. Schon Monate vor diesem Auftritt war sie in der Trauma Bar zu Gast. Rui Ho taucht ebenfalls überall da auf, wo es um Grenzbereiche der Clubmusik geht. Im Falle von Rui Ho ist es die Kombination von traditioneller chinesischer Musik mit elektronischen Klängen. Trauma Bar und Kino verdeutlichen mit der Auswahl dieser Künstler*innen ihr über die Maßen progressives Booking.
Leipzig, Cluj, Berlin
Das Büro ist im Nebengebäude des eigentlichen Clubs angesiedelt. Dort treffe ich Madalina Stanescu und Kyle Van Horn. Wir setzen uns in einen großen, hellen Raum an eine weiße Tischinsel. Ein bisschen unbehaglich ist es, die Stimmung ist distanziert und ganz weit weg von herzlich. Aber, es ist eben ein Montag – was nicht ist, kann ja noch werden.
Kyle Van Horn, der aus den USA stammt, arbeitete vor seiner Berliner Zeit in Leipzig, wo er in verschiedene Projekte und Veranstaltungen aus dem Umfeld des Institut fuer Zukunft eingebunden war. Hier kuratierte er auch die erste Edition des Balance Club / Culture Festivals gemeinsam mit Franz Thiem. Madalina Stanescu kommt hingegen aus der Kunstszene. Sie arbeitete in der Fabrica de Pensule in der rumänischen Stadt Cluj, der inoffiziellen Hauptstadt Transsilvaniens. Die Fabrica de Pensule ist ein bekannter alternativer Kunstraum, von dem mittlerweile leider nur noch die Überreste übrig seien, wie sie erzählt.
„Wer hierher kommt, entscheidet sich ganz bewusst dafür – man kann nicht einfach über uns stolpern“
Man wolle Kunst in einem anderen Raum und Format als üblich darstellen, sagt Madalina Stanescu gleich zu Anfang des Gesprächs. Es gehe bei Trauma Bar und Kino nicht nur um Clubnächte, Subkultur oder das laufende Veranstaltungsprogramm. Vielmehr gehe es darum, Künstler*innen aus verschiedenen Kunstrichtungen und Communitys vor und hinter der Bühne zusammenzubringen.
Der Raum und das Umfeld sind hierfür entscheidend. Trauma Bar und Kino gab es schon einmal in Friedrichshain, erzählen die beiden. Der Umzug in die Heidestraße bot sich an, da das Team im Szenekiez Friedrichshain mit seinen zahlreichen Cafés, hippen Clubs, Bars und Spätis in bester Lage nicht wirklich glücklich war. Zu viele „random people”, zu viel Laufkundschaft. Das bewusste Nicht-im-In-Bezirk-sein sehen die Macher*innen als Vorteil für ihre Events: „Der Raum war verfügbar und wir haben die Chance genutzt, Trauma Bar und Kino hier einzurichten. Wer hierher kommt, entscheidet sich ganz bewusst dafür – man kann nicht einfach über uns stolpern. Das ist ein großer Vorteil für uns und unser Konzept.”
Mit dem Umzug in eine semi-abgelegene Location – einerseits ist die Heidestraße mitten in der Europacity-Area, andererseits sind hier überwiegend gläserne Büros und Baustellen – kamen die regelmäßigen Samstagsveranstaltungen und Ausstellungen. Das Konzept formierte sich neu, und das Team arbeitete daran, die neue Location mit Leben und vor allem mit Kunst zu füllen.
Zwischen White Cube und Subkultur
Wie passen bildende Kunst aus der eher sterilen White Cube-Welt mit dem schwitzig-dreckigen Clubkosmos zusammen? Eine mögliche Antwort wäre, dass somit Menschen zusammenarbeiten, die über die gängigen Definitionen und Grenzen dessen, was als Club gilt, hinausdenken. Das kann sowohl kontrastierend als auch ergänzend sein, findet Van Horn.
Dass das Trauma-Team besonders an dieser Art Freidenker*innen interessiert ist, zeigt sich auch innerhalb ihrer Arbeitsstrukturen: 40 Menschen arbeiten mittlerweile in dem organisch gewachsenen Team, erklärt Stanescu. Fähigkeiten seien dabei genauso wichtig und wertvoll wie eine offene und gute Atmosphäre zwischen denen, die miteinander arbeiten und kreativ sind, betont sie. Das Booking-Team nimmt beispielsweise den Input des restlichen Teams mit auf. In den Events fließen alle Ideen zusammen in das gemeinsam erarbeitete Veranstaltungskonzept und Line-Up.
„Wir wollen Kunst mit musikalischem Inhalt zusammenbringen, ohne dass beides zwingend aus der gleichen Szene stammt.”
Natürlich ist es keine unbekannte Mission, Kunst und Clubkultur gemeinsame Sache machen zu lassen. „Wir denken nicht, dass wir einzigartig sind. Alles war schon mal da, wer etwas anderes denkt, ist sehr naiv”, sagt Stanescu. Für sie liegt der Unterschied in der Stellung der Kunst innerhalb des Clubs: „Ich habe das Gefühl, viele Clubs haben künstlerische Arbeiten als dekorative Elemente adaptiert – und ich bin nicht sicher, ob das die passende Art und Weise ist, wie mit Kunst umgegangen werden sollte. Dahinter verbirgt sich keine zeitgenössische Philosophie. Wir wollen Kunst mit musikalischem Inhalt zusammenbringen, ohne dass beides zwingend aus der gleichen Szene stammt.”
Bei Kunst, die spezifisch für den Club kreiert wurde, fehlt Stanescu häufig der Kontrast, die Reibung. Trauma Bar und Kino entschied sich daher bewusst dafür, Kunst aus der White-Cube-Welt in einem Nachtclub auszustellen. Die Idee scheint aufzugehen: Trauma Bar und Kino wird ganz selbstverständlich als Geheimtipp der Szene gehandelt. Dafür spricht auch der große Erfolg des Openings Anfang 2019, das den beiden noch sehr gut in Erinnerung ist. Viele Menschen standen an diesem Abend über eine Stunde in der Schlange. Nicht um zu feiern, sondern um eine Ausstellung von Mary-Audrey Ramirez and LUKAS8K anzuschauen. Dass Menschen so lange für eine Ausstellung angestanden haben, sei für beide ein wichtiger Moment gewesen, der sie auch stolz gemacht habe.
Wir beschließen dieses Treffen mit einer Führung durch die Location. Es geht wieder raus in den Hof und vor die Türen der Trauma Bar, durch einen Vorraum, in dem sonst die Garderobe aufgebaut wird. Nach ein paar Stufen abwärts sind wir im Club. Die menschenleeren, putzlichtgefluteten Räume haben – selbstredend – nichts mit dem Vibe im Club zu tun, wenn eine Veranstaltung läuft. Ohne Publikum und ohne Musik sind es auch bloß schwarz gestrichene Wände, eine blau beleuchtete Bar, eine lange Bühne mit DJ Pult, hängende Anlagen-Boxen und Rotlicht in den Gängen zur Toilette. Nichts völlig Unbekanntes, außer vielleicht, das alles sehr neu und clean wirkt.
Eine auf Stahlträgern eingezogene Zwischenetage ist allerdings ein Blickfang, da hier eine Art schwebender Chill-Out-Bereich eingerichtet wurde, unter dem Menschen durchlaufen oder auf einer schmalen Bank verschnaufen können. Das Kino ist natürlich ebenso ein Highlight: eine Reihe von dunkelblauen, gemütlichen Kinositzen ist zur Leinwand ausgerichtet, auf der Videoinstallationen oder Filme gezeigt werden können. Eine integrierte „giant videobox”, wie Van Horn sie bezeichnet. Auch die Feminist Gaming Group gastierte hier mit einem Workshop, wie er mir bei der kurzen Führung erzählt.
Bereits beim ersten Betreten des Vorraumes des Clubs ist mir aufgefallen, dass es eine Rollstuhl-Vorrichtung seitlich der Treppe des Eingangs gibt. Es ist nicht selbstverständlich, dass ein privatwirtschaftlicher Kulturraum sich darum bemüht oder die Kapazitäten hat, sich der Zugänglichkeit für alle Menschen zu widmen. Genau dieser Fakt wird mir auch am Abend in der Trauma Bar wörtlich und praktisch begegnen, wenn ich in die Clubatmosphäre und die mäandernden Ströme von Publikum, Kunst, Kino, Live-Performances und DJs eintauche.
Kunst im Club neu gedacht
Zwei Wochen später. Wieder warte ich im Hof der Heidestraße 50, dieses Mal aber nicht auf meine Interviewpartner*innen, sondern auf meine Feierbegleitung. Um halb eins stehen wir in der kurzen Schlange vor der Location. Die Türsteher*innen im offenen Pavillon-Zelt sind aufmerksam und nett – im Berliner Nachtleben oft keine Selbstverständlichkeit. Die Frage „Wart ihr schon mal hier?” wirkt nicht einschüchternd oder in Abfrage-Manier hierarchisierend, sondern ehrlich interessiert daran, die Besuchenden und vor allem Neulinge auf die Performances, die momentane Ausstellung und den heute im Kino laufenden Film von Juliana Huxtable und Ziúr aufmerksam zu machen. Die Tür zum Club schwingt auf und Musik, es klingt nach Gabber, dröhnt heraus. Einer der Türsteher lacht und fragt seine Kolleg*in an der Kasse: „Kommt sowas heute etwa die ganze Nacht?” Dann lässt er uns durch, damit wir bezahlen können.
Schnell rein, an der Garderobe vorbei, die Treppe herunter, und schon stehen wir mit ein wenig Abstand zur Bühne mitten im Geschehen. An der Bar reden ein paar Leute, auf der stählerne Zwischenetage sitzen rauchende Grüppchen auf kleinen Sitzblöcke oder aber am Rand, unterhalten sich sitzend oder liegend und beobachten diejenigen, die es sich auf den glatten Podesten in der Mitte bequem gemacht haben.
Ob mit abrasierten Haaren und einem weißen, durchsichtigem Hemdchen bekleidet, mit viel aufwändigem orange-gelben Make-Up und Plateau-Heels oder einfach cozy in Jeans und T-Shirt – die Gäste scheinen respektvoll, achtsam, wenn man so will.
Unterhalb der Zwischenetage befinden sich zu dieser Zeit Teile der Ausstellung QT UR EA. Auch hier ist eine Bank eingezogen, auf der zwei Menschen eng umschlungen sitzen, eine dritte Person schaut fasziniert eines der Ausstellungsstücke an und macht ein dunkel-verschwommenes Foto. Kein Selfie, sondern ein Foto des lila angestrahlten „Etwas”, das da hinter Glas installiert wurde.
Die Beobachtung passt zu Stanescus Worten während unseres Interviews. Sie sprach davon, dass man im Club auch mal müde vom Tanzen werde und dem Chaos des Dancefloors entfliehen möchte. Genau das sei die Zeit, in der Besucher*innen auf Bänken säßen und in ein Kunstwerk eintauchen, die Ecken des Clubs erkunden können, Neues entdecken und dadurch nicht nur mehr Kunst sehen, sondern auch mehr Kunst im Kopf behalten würden als während einer normal-anmutenden, offiziellen Vernissage in einer Galerie. Q.e.d., right.
Zugänglich, sexpositiv und safe(r)
Zwei Rollstuhlfahrende begeben sich ohne zu zögern auf die Tanzfläche, wo die meiste Energie fließt. Für mich geht es hingegen zuerst ins Kino, denn der Film von Juliana Huxtable und Ziúr, der als 30 minütiger Loop die ganze Nacht über gezeigt wird, scheint ein guter Startpunkt zu sein, um in die passende Stimmung für den Abend zu kommen.
Der Kinosaal ist von der Bar aus zu erreichen und ist halb gefüllt. Das Publikum ist konzentriert, und nur wenig Club-Geräuschkulisse dringt ins Kino vor. Gezeigt werden unter anderem sexuell aufgeladene und explizite Szenen, die vor allem die letzte Reihe anregen und aktiv werden lassen. Das Geschehenlassen spricht für einen safen und sexpositiven (Kino-)Raum, ein durchaus sexuell aufgeschlossenes Publikum und einen LGBTQI*-safe(r)-space.
Draußen, im großen Saal, wird währenddessen getanzt. Die feiernde Crowd zu beschreiben fällt schwer, es ist nicht direkt kategorisierbar, was sie in Style oder Haltung eint. Angenehm, divers, in Neon oder schwarzen Harness gestylt. Ob mit abrasierten Haaren und einem weißen durchsichtigem Hemdchen bekleidet, mit viel aufwändigem orange-gelben Make-Up und Plateau-Heels oder einfach cozy in Jeans und T-Shirt – die Gäste scheinen respektvoll, achtsam, wenn man so will. Kein random Druffi-Publikum, das ist zumindest meine Beobachtung.
Eine wirklich außergewöhnlich durchschlagende Energie kommt dann während der Live-Performance der japanischen Pianistin und Performance-Künstlerin Golin auf, die vor zwei Jahren in die Liste der Shape-Artists aufgenommen wurde und damit in einem Atemzug mit Catnapp, Schwefelgelb, Nkisi und Sarah Farina genannt werden darf. Mit ihr am Mikrofon entsteht plötzlich eine Konzertatmosphäre, die zwischen Japan-Pop- und Hardcore-Attitude alle mitreißt. Da sind keine Grüppchen mehr oder zurückhaltende Am-Rand-Tänzer*innen, es sind alle Augenpaare auf die Show gerichtet. Golin tanzt mit nach oben gerissenen Armen und auf dem Boden, läuft von einer Bühnenseite zur anderen. Würde sie, egal von wo, ins Publikum springen, wären da sofort 50 Hände, die sie tragen würden, so voll ist es vorne.
Genau hierfür scheint die Trauma Bar gemacht zu sein: für außergewöhnliche Kollaborationen, eine außergewöhnliche Crowd und eine außergewöhnliche Zugänglichkeit auf mehreren Levels, umsäumt von installativer Kunst. Ob diese Kunst während einer Clubnacht wirklich als Kunstobjekt und nicht doch als dekoratives Add-on verstanden wird, bezweifle ich jedoch.
Nach dem Interview und der eindrücklichen Nacht in der Trauma Bar und im clubeigenen Kino ist klar: Es ist einiges spezieller als an anderen Orten. Dazu gehören das Kino, die Crowd, die Installationen und das ausnehmend gute Booking der mitunter interessantesten internationalen und nationalen Musiker*innen und DJs. Es wird durch die Lage ein gewisses Commitment vorausgesetzt, das sich offenbar positiv auf den Vibe im Publikum auswirkt. Ob die Macher*innen hiermit einen Raum für Kunst schaffen, der auch ohne den Nachtclub als solcher wahrgenommen wird und „Kunst im Club” in einer unüblichen Dimension präsentiert, wird sich hoffentlich in Zukunft herauskristallisieren.