Fotos: Press

Nein, ein solch düsteres Debütalbum wie Palais hätte der Australier Kris Baha in seiner sonnigen Heimat Melbourne garantiert nicht produzieren können. Dieser kehrte er 2015 vom einen auf den anderen Moment den Rücken, angezogen vom Freiheitsversprechen, das wohl die meisten Künstler*innen nach Berlin zieht. Drei Jahre lang sammelte er in Kunstausstellungen, Neuköllner Bars und den schwitzigen Darkrooms Leder-verliebter Fetisch-Partys Inspiration, die er nun in Albumform gegossen hat.

Doch wer hinter seinem unterkühlten Sound-Entwurf zwischen Cyberpunk, EBM, Industrial und Techno nur eine nostalgische Hommage an die Zeit vermutet, als seine Wahlheimat noch „Mauerstadt“ genannt wurde, der greift zu kurz. Kris Baha ist ein vielseitiger, versierter DJ und Produzent, der den futuristischen Anspruch, den elektronische Tanzmusik mal hatte, durchaus ernst nimmt. Seine Relevanz für die Szene bewies er bereits mit Releases auf dem Label Bahnsteig 23, zusammen mit Freund und Aussie-Expat-Kollegen Dreems als Die Orangen auf Malka Tuti und eben auf dem Label der Partyreihe „Cocktail D’Amore“, wo nun auch Palais erscheint. Wir haben Kris Baha in Berlin getroffen. Ein Gespräch übers Ankommen, den Urin-Geruch Berlins und seine Schwierigkeiten mit dem Begriff „EBM“.

Kris Baha (Foto: Press)

Ich würde gerne den Artikel mit der Behauptung beginnen, dass es zwei Kris Bahas gibt. Da wäre der lustige, offenherzige, rothaarige Australier, der sich mittlerweile häuslich eingerichtet hat in Berlin. Und dann wäre da noch der Kris Baha, den man in Clubs weltweit entweder hinter den Plattentellern oder einer ganzen Reihe von analogen Geräten beim Performen beobachten kann. Konzentriert und fokussiert wird hier Tanzmusik der härteren Gangart produziert, die Drumsticks knallen förmlich auf die Pads und zwischendurch, wenn Baha in das Mikro shoutet, meint man, die Achtziger-New-York-Legende Alan Vega wäre von den Toten auferstanden. Doch die beiden Kris Bahas stecken im gleichen Körper, sind und bleiben eine Person. Eine Person mit Tiefe, die sich gerade nicht auf Plattitüden einlassen mag, sondern wohlinformiert Auskunft über seine Musik und sein Seelenleben geben kann.

Das gelingt in gleichem Maße im Interview, wie auch auf der Debüt-Platte Palais, die auf zwölf Tracks ein Bild der ersten drei Jahre in Berlin nachzeichnet. Der Übergang von der australischen Heimat in das neue Zuhause dauerte lang. Doch Baha trat in keine der beiden Berlin-Fallen: Weder schloss er sich in seine „fortress of solitude“ ein, noch versank er im verführerischen 24/7-Nachtleben der Hauptstadt. Mittlerweile gehört Baha zum Inventar der Neuköllner Szene, mit ihren Wohnzimmer-Clubs, Techno-Geheimtipps und unzähligen Bars mit vorzüglichen DJ-Bookings.

Du hast gerade einen ziemlichen Lauf und scheinst ganz schön beschäftigt: Du produzierst solo, hast Die Orangen, ein geplantes Projekt mit Niklas Wandt von Neuzeitliche Bodenbeläge, mixt Platten für andere und spielst nahezu jedes Wochenende als DJ oder live in ganz Europa und darüber hinaus. Hattest du das geplant, als du nach Deutschland kamst?

Das war genau der Grund, warum ich nach Berlin gezogen bin. Ich wollte mich von zu Hause, von Australien und Melbourne lösen. Dort ist es normal, sich mit 24 zu fragen, wann man denn ein Haus baut. Es ist alles sehr karriereorientiert. Berlin, deswegen ziehen hier ja viele DJs hin, ist da anders. Überall passiert was. Und auch wenn man, wie ich, nicht so viel ausgeht, ist die Freiheit, die man hier spürt, eine andere.

„Auch wenn es hier an jeder zweiten Ecke nach Urin riechen kann, ermöglicht Berlin einem doch Freiraum zum Atmen.“

Berlin hat ja die gefährliche Qualität, dass es, obwohl nicht so Metropolen-mäßig wie New York oder London, einen trotzdem erschöpfen kann.

Das stimmt natürlich. Und auch wenn es hier an jeder zweiten Ecke nach Urin riechen kann, ermöglicht die Stadt einem doch Freiraum zum Atmen. Die ersten drei Jahre seit 2015, als auch Palais entstand, war ich damit beschäftigt, Musik zu machen, aber auch Kunstausstellungen zu besuchen, neue Ecken von Berlin zu erkunden. Der Unterschied zu den anderen Metropolen, ist, dass es hier viel mehr Platz gibt. Es ist hier nicht so klaustrophobisch.

Kris Baha (Foto: Press)

Trotzdem, wenn man dem Titel deiner Platte folgt, brauchtest du ein „Palais“, einen Rückzugsort.

Einerseits beschreibt die Platte die Phase des Umzugs und des Ankommens hier in der Stadt. Es war eine schwierige Phase in meinem Leben, da sie auch zusammengefallen ist mit dem Verlust eines Freundes. Aber dieser Rückzug bezieht sich viel stärker auf meine alte Heimat Melbourne. Anfangs bin ich noch hin und her gependelt, habe meine Familie besucht und versucht meine wöchentliche Party-Reihe „Power Station“ zu managen. Als mein Bruder und ich das Projekt dann eingestellt haben, konnte ich erstmals komplett abschließen. Wobei ich das eh schon getan hatte, als ich von einem Tag auf den anderen alle meine Sachen, mein Studio und die Instrumente nach Berlin verschifft habe. Ich war tatsächlich seit drei Jahren nicht mehr zu Hause.

Die Platte spiegelt diese Phase für dich wider?

Ja, hoffentlich. Zuerst waren es nur Songs und Tracks, die ich langsam ansammelte. Aber jetzt, auch mit Abstand zur Fertigstellung, merke ich immer mehr, wie diese Platte eben jene Geschichte erzählt, wie ich in Berlin angekommen bin. Von Leuten, die ich getroffen habe. Oder von Orten. „Safeword“ ist zum Beispiel ein Gruß an die Darkrooms bei der Cocktail D’Amore-Party. 

Die Platte erscheint auch bei Cocktail D’Amore auf dem Label.

Schon in Melbourne, bei meiner Party, wollte ich Discodromo einladen, weil ich ihren Sound erstaunlich passend und gut fand. Das gelang aber nicht. In Berlin ging ich dann zu einer der Partys und hatte sogar eine Platte dabei, um „Hallo!“ zu sagen und sich auch mal im echten Leben zu sehen. Discodromo kannten mich sogar, da sie selbst schon Tracks von mir – aus einer ominösen Quelle – zugespielt bekommen hatten. Wir verstanden uns auf Anhieb super und ich hatte immer wieder die Möglichkeit, meinen eigenen Sound und meine DJ-Sets dort zu spielen – ob vier oder auch mal sieben Stunden. Obwohl ich nicht durchgehend „Vollgas“ gebe. Das funktioniert dort erstaunlicherweise sehr gut und ich bin froh, dass man sich gefunden hat.

„Ich habe Probleme mit der Zuschreibung EBM. Ich fühle mich da nicht unbedingt zu Hause.“

Berlin als Oberfläche spiegelt sich auch in deinem Sound – mit offensichtlichen Einflüssen von EBM, Industrial, Cold- und Minimal-Wave und selbstverständlich Techno. Viele haben ja ein Problem, mit dem Begriff Techno. Trifft das für dich auch zu?

Ich habe viel mehr Probleme mit der Zuschreibung „EBM“. Es ist halt heute so, dass man dem Kind einen Namen geben muss. Und das Archiv hilft einem, auch gefunden zu werden, wenn man dieses oder jenes Label hat, wie „EBM“ und „Industrial“. Aber ich fühle mich da nicht unbedingt zu Hause. Es ist jedoch gut, wenn jemand die Minimal- und Cold-Wave-Einflüsse hört, weil die mir wirklich am Herzen liegen und sehr häufig Inspiration für das Album waren. Zum Thema Techno: Der Begriff ist ausgefranst, beziehungsweise steht mittlerweile für etwas ganz Bestimmtes. Und eben auch nicht. Proto-Techno-Sounds aus New Beat, zum Beispiel, wird man bei mir sicherlich auch finden.

Kris Baha (Foto: Press)

Oder man erfindet einfach ein neues Genre: Dein Pressetext spricht von „2042 Cyberpunk“ in Bezug auf den Track „Defied“. Auch „Brink Reality Part 2“ hat eine ähnliche Textur, die man futuristisch nennen könnte. 

Ich finde es gut, wenn man die futuristische Qualität hört. Ein großer Teil des Albums ist geprägt von einer gewissen Nostalgie, wie eben erwähnt. Ich schaue häufiger zurück, habe aber immer auch versucht etwas Neues hinzuzufügen. Ich glaube nämlich auch, dass es da viele Sounds gibt, die eben nicht bloß retro sind.

Ich musste dabei an Blade Runner denken, an Soundtracks aus der Zeit der frühen Achtziger. Man könnte da Parallelen zu deiner Platte hören, die ja teils nur bedingt „party-tauglich“ ist.

Klar, einige Tracks wie „Palais“ oder „Repenting“ sind wie Soundtracks gedacht. Andere dafür eher wie Songs. Nicht alle kann man auf einer Party spielen, das stimmt. Aber es ging mir darum, meine Geschichte bestmöglich zusammenzufassen.

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