Es ist eines der erfolgreichsten Instagram-Videos dieses Sommers: Adrian Shala von Adriatique stützt den feiermüden Solomun bei seinem 48-Stunden-Gig im A’DAM Tower in Amsterdam. Während Butch eher gleichgültig daneben steht, hält Shala seinen Mentor, ohne den seine Karriere ziemlich anders verlaufen wäre. Adriatique sind schon lange fester Bestandteil von Solomuns Diynamic-Zusammenhang. Bekannt wurden sie 2011 durch ihren Remix von Feists „Deep In The Three”, von da an etablierten sie sich durch ihre stetige Präsenz bei den Diynamic-Partys auf Ibiza. Obwohl ihr romantischer, gefälliger Sound einen gewissen Konformismus widerspiegelt, schätzt sie die Szene. In ihrer Homebase etwa, dem Zürcher Club Zukunft, werden sie bis heute wie kein ein anderer Act gefeiert. GROOVE-Autorin Aline Fürer traf Adrian Shala vor einem Auftritt von Adriatique in Basel, den Shala wie das Interview alleine bestreiten musste – denn Adrian Schweizer war auf Tour erkrankt und musste im Hotel bleiben.
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Eigentlich soll mein Interview mit Adriatique vor ihrem Auftritt im Basler Club Nordstern stattfinden, aber die Ankunft von Adrian Shala und Adrian Schweizer aus Tel Aviv verzögert sich. Dann schreibt ihr Manager auch noch, dass Schweizer eine Grippe bekommen hat und sein Hotelzimmer nicht verlassen kann. Kurz wird diskutiert, ob der Auftritt ausfällt, aber die beiden Adriane entscheiden, dass Shala auch allein auflegen kann, erfahre ich später. Deshalb findet unser Treffen nicht wie geplant im Club statt, sondern bei seinem Basler Lieblingsitaliener.
Shala wirkt müde aber kontaktfreudig, als er in dem bodenständigen Italiener eintrifft. Den allzu professionellen Habitus, den die Musik widerspiegelt, strahlt Shala nicht aus. Er fragt mich, wie es mir geht und was ich mache und scheint sich auch wirklich für mich zu interessieren.
Er bestellt Pasta, ich Gnocchi. Dann erzählt er vom straffen Zeitplan der vergangenen Tage. Vor Tel Aviv spielten Adriatique in den USA und auf Ibiza. „Wir versuchen gerade, mit etwas mehr Sport und gesunder Ernährung Beständigkeit in die vollgepackten Tage unterwegs zu bringen”, erklärt er. Was nach einem Neujahrsvorsatz klingt, scheint Shala durchaus ernst zu meinen. Es brauche schon etwas mehr Disziplin im Umgang mit der eigenen Gesundheit. So versuchten sie auch mal, in das hoteleigene Fitnessstudio zu gehen.
Rund vier Monate lang reisten Adriatique im Rahmen ihrer Nude-Tour zu ihrem Debütalbum um den Globus, danach ging es ohne Unterbrechung weiter. Aber Erfolg allein macht noch keine gute Musik, und es ist bekannt, dass es in den Clubs auf Ibiza selten wirklich um die Musik geht. Wo liegt denn nun für ihn die Grenze zwischen dem Underground und dem Kommerz? Ist es vielleicht gerade der Balanceakt zwischen beiden Welten, der Adriatique so erfolgreich macht? Und schließlich ist der Underground in mancherlei Hinsicht auch auf den Mainstream angewiesen. Shala lässt sich von meinen Fragen nicht aus der Ruhe bringen. Er antwortet so gelassen, wie er das wahrscheinlich schon hundertmal getan hat: „Wenn du auf der Bühne stehst und vor dir 20.000 Menschen deine Musik feiern, dann ist das einfach ein krasses Gefühl.”
Im Übrigen genießen sie als fester Bestandteil der Diynamic-Crew auch jede künstlerische Freiheit: „Diynamic ist ein bunt gemischter Haufen an Musikern, und genau diese Vielfältigkeit macht es aus. Wir können und konnten immer das machen, worauf wir Lust hatten”, betont Shala. Ihr Gärtchen haben Adriatique aber trotz der schöpferischen Möglichkeiten nie verlassen. Sie bewegen sich mit ihrem träumerischen und technisch durchstrukturierten Techhouse auf sicherem Grund. Experimente finden in Adriatiques Sound nur soweit Einzug, solange sie nicht damit anecken.
Ob sich Adriatiques Musik ohne die prägende Zusammenarbeit mit Diynamic vielleicht etwas anders entwickelt hätte, kann Shala nicht sagen. „Klar, Du wirst ja irgendwie immer beeinflusst, aber darüber haben wir uns nie groß Gedanken gemacht – wir haben ja sowieso unser Ding durchgezogen.” Für Adriatique war ihr Debütalbum Nude, das vor knapp einem Jahr auf Afterlife erschienen ist, ein entscheidender Schritt aus Solomuns goldenem Käfig: „Wir haben mit Nude sprichwörtlich die Hosen runtergelassen und etwas anderes gemacht als zuvor – dafür steht auch der Name.”
Dabei nehmen die Tracks auf dem Album schon die melancholische Grundstimmung ihrer Maxis auf. Der Anspruch lag darin, variabler und verspielter zu klingen. Außerdem haben sie mit einer Reihe von Gästen gearbeitet. Nebst Delhia de France, die als Mitstreiterin von Robot Koch bekannt wurde, haben Adriatique mit dem klassisch ausgebildeten Musiker Johannes Brecht kollaboriert. „Er ist großartig, mit ihm haben wir die Strings aufgenommen. Die wurden von einem Quartett eingespielt. Wenn ich mir diese Aufnahmen heute anhöre, bekomme ich noch immer Gänsehaut”, sagt Shala. Wer will ihnen diese Freude verübeln? Tatsächlich verfolgt jeder Track auf dem Album – stärker als bei ihren EPs – einen eigenen Ansatz. Dennoch greifen sie ineinander und ergeben eine Einheit. Das Album beginnt mit dem epischen Opener „Dawning”. „Buchlas Dreaming” ist eine Hommage an Don Buchla, den Synthesizer-Pionier und Vertreter der sogenannten West Coast Philosophy, die sich von Robert Moogs Ansatz an der Ostküste der USA abgesetzt hat.
Synthesizer sind aber ein Steckenpferd des anderen Adrian. “Wir haben lange an der Reihenfolge der Tracks herumgetüftelt”, erzählt Shala. Er erklärt, dass er im Studio vor allem für die Melodieverläufe, die Hintergrund-Sounds und die Effekte verantwortlich sei, während Schweizer stundenlang an einer Kick herumbasteln könne und eher der Tüftler der beiden sei. So wie sich die beiden bei der Studioarbeit ergänzen, tun sie dies auch in anderen Bereichen ihres Lebens. Nebst der Musik verbindet Adrian und Adrian nämlich eine enge Freundschaft – sie wohnen sogar zusammen. Gehen sie sich da nicht auch mal auf die Nerven? Auch da antwortet Shala ein wenig blass und unpersönlich wie auf die meisten andere Fragen: Ein bisschen Streit gehöre immer dazu. Wie sie das Duett der beiden Adriane orchestrieren, kann ich nicht weiter in Erfahrung bringen. Shala und Schweizer scheinen sich auf ihre Stärken zu konzentrieren, die Arbeitsteilung geht nahtlos auf. Ihr Erfolg quittiert diese Form des gemeinsamen Wirkens.
Shala, der in Bregenz aufwuchs, ist vor zehn Jahren nach Zürich gezogen. Schweizer lernte er auf einer Party von gemeinsamen Freunden kennen. „Ein gemeinsames Projekt zu starten ist einfacher, wenn du nicht hunderte von Kilometern voneinander entfernt wohnst.” Auch sei es in Österreich nicht leicht, in der elektronischen Musik Fuß zu fassen. „Du hast einfach nicht überall die gleiche Ausgangslage, und wenn du etwas erreichen willst, musst du dich örtlich bewegen. Obwohl wir in einer Zeit leben, in der du nicht mehr zwingend ein Label brauchst, um deine Tracks an den Hörer zu bringen, sind persönliche Kontakte mit anderen DJs, Produzenten und Künstlern extrem wichtig.” Zu Solomun zum Beispiel. In ein Zentrum der elektronischen Musik wie Berlin oder London zog es die beiden dennoch nicht. Denn Schweizer ist heimat- und familienverbunden, und Shala wollte auch nicht allzu weit entfernt von Bregenz leben.
Neben dem Debütalbum auf Afterlife war für sie die Gründung ihres eigenen Labels ein wichtiger Schritt. Das Schaffen einer eigenen künstlerischen Plattform gehört in der elektronischen Musikszene schon fast zum guten Ton. Adriatique reihen sich mit Siamese in dieses Schema ein. Natürlich ist der Name Siamese eine Anspielung auf die jahrelange Freundschaft der beiden: „Ein Ergebnis von Erfahrungen und Erlebnissen, die über die Jahre zusammengekommen und verschmolzen sind”, sagt Shala. Er beschreibt das Label als ein Zuhause für Kunst in all ihren Formen und Ausprägungen, eine Bühne für kreative Begegnungen. Konkret formuliert sich das in Maxis, Alben und Compilations mit Künstlern wie Luca Ballerini, SOEL und Ed Davenport aus.
Adrian und Adrian verschmelzen in Adriatique – dieses Statement ist krasser als ihre Musik und wird von dem Labelnamen Siamese nochmal unterstrichen. Wie sieht es dann aus, wenn wie heute Abend einer der beiden nicht mit auftreten kann? Ganz entgegen ihrer Zwillings-Vision spielt dann nur einer der beiden: „Wenn Adrian verhindert ist, krankheitshalber oder weil er anderweitig engagiert ist, dann spiele ich alleine – oder umgekehrt”, erklärt Shala. Zu zweit mache das Auflegen zwar mehr Freude, doch sei es besser alleine zu spielen, statt einen Gig abzusagen. Auch hier siegt der Pragmatismus.
Bei Adriatique ist der eine des anderen Backup. Nicht anders als beim Musikmachen zeigt sich auch hier: Adriatique sind gerne auf der sicheren Seite. Diesem Anspruch werden sie auch auf ihren Social Media-Kanälen gerecht. Sie sind aktiv, aber nur so, dass ihre Fans durchschnittlich im Wochentakt mit Posts bei Laune gehalten werden. „Wir pflegen unsere Community, wollen sie aber auch nicht täglich mit Eindrücken aus unserem Berufs- und Privatleben füttern und so überfordern. Dafür fehlt uns schlicht und einfach auch die Zeit.” Beispiele aus der elektronischen Szene in den letzten Jahren haben gezeigt, dass es manchmal besser sei, wenn man sich mit bestimmten Äußerungen einfach zurückhalte. Aber sollte man sich nicht eben genau als Künstler*in die Freiheit nehmen, sich zu kontroversen Themen zu äußern? Und liegt es nicht auch in der Verantwortung der Künstler*innen, ihre bzw. seine Sichtweise der Dinge zu vertreten und sichtbar zu machen? „Nur dann, wenn Du auch wirklich dahinter stehen kannst”, entgegnet Shala salomonisch.
Adriatique treten am 5. September bei Afterlife im Hï Ibiza auf. Ferner sind sie auf der Compilation Realm Of Conciousness IV vertreten, die ab sofort über Afterlife erhältlich ist.