Foto: Christian Rothe.
1998 als Open Air-Party begonnen, ist das Nachtdigital seitdem zu einer deutschen Festivalinstitution mit internationaler Strahlkraft angewachsen. Trotzdem immer noch auf rund 3000 Besucher*innen begrenzt und stets im Bungalowdorf im sächsischen Olganitz. Es konnte auf einen treuen Publikumsstamm vertrauen. „Konnte“, denn nach 22 Ausgaben war in diesem Jahr Schluss. Auch die GROOVE zählte als langjähriger Partner zu diesem Stammpublikum. Aus diesem Anlass haben wir uns gefragt: Was macht das Nachtdigital unersetzlich? Ein Rückblick, nicht nur auf das Nachtdigital Mint am vorletzten Wochenende, sondern auch auf das Festival als solches.
„Warum das Nachtdigital so unersetzlich ist? Es ist ein Festival, hat aber alle Qualitäten eines guten Raves: Geradlinigen, harten Techno, der nicht von Popelementen verwässert ist, ein konsistentes Booking, das einen durch die gesamte Nacht in den Morgen führt, grelle Strobos und dichte Nebelschwaden, die nicht nur aus der Bühne sondern von überall hervorquellen. Das Booking ist ein Statement für sich, es diggt den Zeitgeist (Marie Davidson, Batu) und feiert klassischen Techno (Perm, Atom™ & Tobias.), es traut sich, unbekannte Namen an die Seite zugkräftiger Acts zu stellen.
Wo die aktuelle Technokultur mit ihrem Vinyl- und Anlagen-Fetisch oft bierernst daher kommt, gönnt sich das Nachti auch Späße wie die Techno-Safari und das Techno-Karaoke. Das unterstreicht, dass das Festival aus einer Clique von feierfreudigen Freunden mit unterschiedlichen, so ernsthaften und wie albernen Vorlieben entstanden ist und nicht als Joint Venture bestens vernetzter Professionals. Auf vielen Festivals zeigt sich Rave leider zu sehr als Geschäft – das Nachti kultiviert Rave als Übermaß an guter Laune.“ Alexis Waltz
„Als ich das Nachtdigital vor vier Jahren zum ersten Mal besuchte, machte es direkt „klick“. Ich war begeistert. Seitdem bin ich Jahr für Jahr zurückgekehrt und die Magie, die das Nachti einzigartig gemacht hat, blieb: Die Musik allein war es nicht, auch wenn die Mischung aus lokalen Festival-Residents (die Leipziger Manamana zum Beispiel) und großen Namen (in diesem Jahr unter anderem Helena Hauff) zu einer musikalischen Vielfalt von Trance bis Ambient führte, die nicht nur geschmackssicher, sondern auch wagemutig war. Dennoch, wie bei jeder Party zählen das Publikum und das Team dahinter: Herzliche Menschen, die einfach nur Lust auf gute Laune und Feiern haben. Besonders beim Klub Animadiso jeden Samstag wurde das ersichtlich; in diesem Jahr gab es zu Weißwurst und Oktoberfest-Hits ein musikalisches Frühschoppen, später einen Technoparade durchs Dorf. Wo auf anderen Festivals vielleicht schief geguckt werden würde, stürzten sich hier alle mit in die Polonäse. Sogar die Anwohner*innen aus Olganitz freuten sich mit. Es ist eine Unprätentiösität, die in allen Aspekten des Festivals ersichtlich wurde. Ein Schullandheim an einem kleinen, algigen See konnte sich da schonmal anfühlen wie die sächsische Riviera. Kein Wunder, dass beim letzten Set der Nachtdigital-Gründer MON am Sonntagabend einige Tränen flossen.“ Cristina Plett
„Neben Musik, Crew und der malerischen Location ist es vor allem eines, das das Nachtdigital zum ausgelassensten Festival des Landes macht: das Publikum. Nirgendwo sonst gibt es eine Community, die dermaßen kompromisslos in wenigen Stunden den Schumacher-Track, Techno-Bretter und Nelly Furtados „All Good Things (Come To An End)” gleichermaßen abfeiert. Facebook-Gruppen in denen Vorfreude oder im Nachhinein Flashbacks in Form von Liebeserklärungen an das Festival so hochkochen oder Track-IDs in minutenschnelle erkannt werden. Respektvoller Umgang aller miteinander, ganz ohne Proll-Gehabe oder Techno-Elitismus sondern mit Grinsen übers ganze Gesicht. Egal ob Crazy Chris (Moderator der Techno-Karaoke, Anm. d. Redaktion) einen ausgibt, oder der Headliner den nächsten Acid-Track auflegt, auf der Nachti haben alle vor allem eines: Bock zu feiern.“ Christoph Umhau
„Das Nachti 2019 war ein ganz besonderes Festival, obwohl eigentlich alles war wie immer. Die bestechend schöne Szenerie mit idyllischem Ost-Charme, das heterogene aber auffallend Musik-interessierte Publikum sowie das erstklassige Programm aus geschätzten Veteranen, spannenden Newcomer*innen und vielen dem Festival eng verbundenen Künstler*innen. Eines merkte man jedoch gleich zu Beginn: Alle waren darauf aus, ihrem Nachti einen würdigen Abschluss zu bereiten. Somit lag von Anfang an etwas elektrisierendes in der Luft, es gab Gänsehaut-Momente am laufenden Band und die Arme wollten gar nicht mehr runter gehen.
Während der Festival-Höhepunkt sonst meist erst Sonntagmittag erreicht war, gab es heuer schon ab dem ersten Morgengrauen kein Halten mehr. Plötzlich war überall Alarm: egal ob vor der Bühne, am Strand oder im Wasser. Die Party tobte überall und fand einfach kein Ende mehr, bis man sich Sonntagabend schließlich wehmütig in den Armen lag, Abschieds- und Freudentränen vermischt wurden und alle mit der Erinnerung an das wahrscheinlich beste Nachtdigital aller Zeiten entlassen wurden.“ Leopold Hutter
„Die letzte Edition des Nachtdigitals fuhr noch einmal ganz groß auf. Auf vier Floors/Bühnen und Insel des Glücks (der Name verspricht nicht zu viel) wurde ein letztes Mal ausgiebig gefeiert. Der Sonnenuntergang am Samstagabend läutete die letzten 24 Stunden Rave im Bungalow-Dorf Olganitz ein, in denen es dann nochmal richtig rund ging. Meine persönlichen Highlights offenbarten sich in Helena Hauffs Performance auf der Main Stage und Credit 00s Live-Set im Tent. Zuerst wurde mit langsamen, düsteren Breaks und unheilvoll-hallenden Flächen die Stimmung im Zelt angeheizt. Danach ging es mit schnellem, brachialem Electro und Acid-Techno auf der Hauptbühne weiter. Ein paar Tracks waren wiedererkennbar, was die Tanzlaune dann natürlich noch ein bisschen mehr hob; „Blindside“ von The Dexorcist brachte die Mainstage nochmal so richtig zum Wackeln, bevor Wata Igarashi übernahm. Schön war’s, Nachti Nachti.“ Luzie Seidel
„Es ist schwierig, einen Text darüber zu verfassen, warum das Nachtdigital so speziell war, wenn man Olganitz pünktlich zur letzten Ausgabe das erste Mal besucht hat. Die Atmosphäre, die im Bermudadreieck zwischen Badesee, Haupt- und Zeltbühne vorherrschte, hob sich dann aber doch deutlich von anderen Festivals ab. Das Nachtdigital setzt auf keine wirren Genre-Kompromisse oder beugt sich kontemporären Trends und fängt plötzlich an, R’n’B- oder Trap-Acts zu buchen. Diese radikale No Bullshit-Policy spiegelt sich auch in den Gemütern der nur rund 3000 Besucher wieder, die innerhalb weniger Sekunden zwischen Live-Sets von Marie Davidson und Aleksi Perälä pendeln können, ohne nennenswerte Anstrengungen aufwenden zu müssen – Luxus pur! Egal ob Techno-Karaoke, die Parade durch das Dorf oder eben das Treiben im beziehungsweise neben dem See im Bungalowdorf – alles wirkte wie aus einem Guss, zu keinem Zeitpunkt aufgesetzt und vor allem eins: hemmungslos unprätentiös.“ Maximilian Fritz