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Good2U: Die angestaute Spannung in sphärisches Wohlgefallen überführen

Im vergangenen Jahr feierte das Good2U seine Erstausgabe. Das Konzept, mit dem seine Macher:innen antraten, war klar: Ein kleines Liebhaberfestival ohne Marktmaximalismen, von der Szene, für die Szene. Das funktionierte, musste sich aber im zweiten Jahr und inmitten einer veritablen Festivalkrise der Bewährungsprobe stellen. Wir waren dabei und haben herausgefunden, ob das geklappt hat.

In Königs Wusterhausen wird eine Brücke neu gebaut. Ein maximal schnöder Satz, der doch eine große Auswirkung auf die Anreise zur zweiten Ausgabe des Good2U in Görlitz hat. Die Direktverbindung zwischen Berlin und Cottbus ist dadurch nämlich unterbrochen, was die Fahrtdauer auf über vier Stunden ansteigen lässt und zudem die Anzahl der nötigen Umstiege erhöht. Besonders auf der letzten von drei Etappen, von Cottbus nach Görlitz, macht sich trotz zweier Sonderzüge bemerkbar, dass das Festival dieses Jahr mehr Gäste, nämlich an die 800, erwartet als noch bei seiner Premiere. Jeder Quadratzentimeter der kleinen ODEG-Bahn wird als Sitz- und Stehmöglichkeit genutzt. Wer austreten muss und sich am falschen Ende befindet, muss noch mehr Strapazen auf sich nehmen. Der Zugführer registriert das Treiben mit einer Mischung aus Erstaunen und Belustigung. Vom Festival, das dieses bunte und doch uniforme Publikum anzieht, hat er nichts gehört.

Am Bedarfshalt Görlitz-Weinhübel leert sich der Zug rapide. Raver:innen strömen an zwei verdutzt dreinschauenden Typen in Dynamo-Dresden-Merchandise vorbei und hasten in der Hitze zum wenige Gehminuten entfernten Festivaleingang vor dem Kühlhaus. Auch der Campingplatz muss in diesem Jahr mehr aushalten. Besucher:innen, die erst am späteren Nachmittag ankommen und ihr Zelt an günstigen Standorten aufschlagen wollen, haben schlechte Karten und üben sich in unbeholfenen, für beide Seiten unangenehmen Verhandlungsgesprächen. Dabei sticht das auf Festivals extrem polare Verhältnis zwischen Frustration und Genuss ins Auge: Leute nehmen unverhältnismäßigen Stress auf sich, um sich anschließend über Gebühr entlohnen zu dürfen. Der große Vorteil des Good2U: Der ganze Aufwand wirft hier schlicht mehr ab als anderswo, Entspannung stellt sich deshalb schnell ein.

Ein Grund: Die kurzen Distanzen. Vom Campingplatz bis zum Kühlhaus legt man keine drei Minuten Fußweg zurück. Es sei denn, man trifft eine der Festivalbekanntschaften, die sich aufgrund des kleinen Publikums zwangsläufig ergeben. Dann wären da noch die Wartezeiten: Bis auf die abendliche Stoßzeit an der Bar am einzigen Floor außerhalb des Kühlhauses, der Loading Bay, halten sich die Schlangen für Getränke, Essen und Toiletten in absolut zumutbaren Grenzen. Noch ein Wort zu Letzteren: Das Festival profitiert nicht nur stark von der Infrastruktur des Kühlhauses mit seinen befestigten Klos, diese sind obendrein rund um die Uhr weitaus sauberer als andernorts.

Dieses Komfortpaket bekommt man so zwar auch auf gut geführten Raststätten. Dennoch ist es eine Erwähnung wert, denn es ermöglicht eine Atmosphäre wie auf dem Good2U überhaupt erst. Was bringen gutes Booking, Licht und Deko, wenn es an den Grundlagen mangelt? Erst ein Ablauf, bei dem ein Rädchen ins andere greift, gewährleistet jene Zerstreuung im intimen Rahmen, wegen der Hunderte die Fahrt an die polnische Grenze auf sich nehmen.

Der mit Matratzen gepflasterte Pavillon des Good2U (Foto: Yannick Berger)

Nun zum Essenziellen, der Musik: Konzeptionell ändert sich im Vergleich zum Vorjahr wenig, was für die Erstausgabe spricht. Eher wird an Stellschrauben gedreht, etwa beim mit Matratzen gepflasterten Pavillon auf halbem Weg zwischen Camping und Kühlhaus. Die Chillout-Area, für die man sich die Schuhe ausziehen muss, gewinnt in diesem Jahr an Bedeutung und wird etwa von Tereza bespielt. Sie macht den schwülen Sonntagmittag mit einer geschmackssicheren Auswahl aus obskurem und bekanntem Funk, Soul und Disco für all jene erträglicher, die sich noch nicht zum Tanz aufraffen können.

Die Loading Bay bei Tag, gesäumt von Tüll und Blumen (Foto: Karl Magee)

Bei den Dancefloors das gewohnte Bild: Die überdachte Loading Bay bleibt die einzige Bühne außerhalb der massiven Kühlhauswände. Drin wartet mit Greenhouse – House – und Heatworks – Techno – die bewährte Raumaufteilung, die auch mit mehr Besucher:innen als im Vorjahr eine Schwachstelle aufweist: Zwar füllt sich das deutlich größere Heatworks situativ, in Konkurrenz zum oftmals aus allen Nähten platzenden Greenhouse mit seiner üppigen Vegetation zieht es aber meist den Kürzeren. Ob das daran liegt, dass die Festivalcrowd schlicht mehr Lust auf hell erleuchtete House-Abfahrt Schulter an Schulter denn auf selbstzentrierten Gemeinsam-Einsam-Techno im Zwielicht hat? Oder gewinnt einfach der Floor, der leichter voll wird und schneller Gemeinschaft konstituiert? Am höheren Sauerstoffgehalt kann es jedenfalls nicht liegen – der ist auf beiden Floors gering und zwingt hin und wieder durch die Schallschleusen hindurch zu Zigarettenpausen.

Dabei macht im Kühlhaus auch Techno Spaß, wie schon die Freitagnacht beweist: .VRIL mit einem wie immer starken Liveset, Rødhåd mit fokussierten Grooves, die die nötige Tiefe erzeugen, und Lea Occhi im b2b mit Amotik, die die angestaute Spannung in den Morgenstunden in sphärisches Wohlgefallen überführen, überzeugen hintereinander weg. Wer bis zum Ende bleibt, steht vor der schwierigen Aufgabe, Schlaf zu sammeln: Auch der Samstag ist größtenteils brüllend heiß, sodass die omnipräsenten Fresh-&-Black-Zelte – der Festivalsommer mutet auch in diesem Jahr an wie der gigantomanische Fiebertraum der Quechua-PR-Abteilung, das Good2U bildet keine Ausnahme – an ihre Grenzen stoßen.

Dieses Jahr mit Schalldämpfern versehen: Die Zugänge zu Heatworks und Greenhouse (Foto: Daniela Da Cruz)

Dementsprechend schwierig schwoft es sich zur Mittagszeit in der immerhin schattigen Loading Bay, während die zahlreichen Blumen im angrenzenden Beet und die dekorativen Tüllstreifen an der Seite des Floors im Wind wogen. Abhilfe schafft ein Wasserschlauch im Hof, unter dem sich Raver:innen abkühlen wie verspielte Hunde in einem Gebirgsbach. Wer es loungig will und sich noch nicht zum Tanz aufraffen kann, dem bieten sich – neben dem bereits erwähnten Pavillon – etliche weitere Sitzmöglichkeiten auf dem liebevoll gestalteten Gelände: Stühle, Liegen, eine ausladende grüne Stofflandschaft, die man nur ohne Schuhe betreten darf, orange Gartenmöbel im Hof, die im tiefsten Osten italienisches Urlaubsflair erzeugen. Trotz Line-up-Purismus weist das Good2U seine Floors nicht als alternativlos aus. Wer Ruhe will, bekommt sie in aller Regel auch.

Heatworks (Foto: Karl Magee)

Am späten Nachmittag sinken die Temperaturen auf ein erträgliches Niveau, sodass sich die Loading Bay zusehends füllt. Das mag auch an der Neugier des Publikums liegen, denn nun tritt der mysteriöse Surprise-Act auf den Plan. Dabei handelt es sich um Amotik und PAREKA, ihres Zeichens Techno-DJs, die beide auf eine House-Vergangenheit zurückblicken können. Die lassen sie für zwei Stunden wieder aufleben, passend in kurzärmelige Hemden mit bunten Mustern gewandet. Die Chemie zwischen den beiden stimmt, es laufen Klassiker, gegen Ende hin eröffnet das Duo mit großräumigeren Tracks den imaginären Big Room und markiert den Übergang zu den ekstatischsten Stunden des zweiten Festivaltages.

Im Anschluss spielt Victor und zeigt, wie man den letzten Slot außerhalb des Kühlhauses angemessen nutzt. Es sind diese drei Stunden von 21 bis 0 Uhr, in denen das Publikum am stärksten zu einer Einheit zusammenwächst. Weil alle sich auf einem Floor tummeln, entweder am Geländer auf der Empore oder auf dem tatsächlichen Dancefloor einen Meter tiefer. Diese keineswegs forcierte Zweiklassengesellschaft bringt eine eigene Dynamik mit sich, eine angenehme, euphorische Version ebenjenes Sehen-und-Gesehen-Werdens, das andernorts inszeniert und aufgesetzt wirkt. Victor agiert in diesem Treiben als Brandbeschleuniger, indem er seinen Mix aus House, Garage, Techno und geschmackvollen Edits auf die Crowd loslässt und Gespür dafür zeigt, wann ein Track ein paar Minuten laufen darf, wann ein Stimmungswechsel angesagt ist und wann es Spannung braucht. Diese liefert etwa DJ Dellers „Romantic 2001”, das den klandestinen Loop aus Jaydees „Plastic Dreams” mit Garage-Ästhetik mischt und mit Vocals versieht und sich kontinuierlich steigert. Dennis Quins „Naminus” zieht mit Build-ups und einer brachialen Garage-Bassline Gejohle nach sich, ein unveröffentlichter Edit von Peggy Gous „(It Goes Like) Nanana” mit monotonen und doch sinnlichen Vocals sorgt für den großen Pop-Moment, szenisch unterstützt vom gemeinsam mit dem Beat wieder einsetzenden Licht. Momente, in denen das Good2U seine volle Stärke ausspielt: Eine denkbar professionelle Rave-Umgebung im denkbar kleinen Rahmen. Ein Boutique-Festival ohne Boutique-Snobismen, der allgegenwärtige Beauty-Sekt entstammt schließlich dem objekt klein a und geht zu fairen Preisen über die Theke.

Die Loading Bay im Vollbetrieb (Foto: Daniela Da Cruz)

Auch anschließend warten starke Sets, etwa von Akua, die skelettierte, puristische Techno-Grooves durch die Heatworks schickt, oder der Leipziger Crew Nice 4 What, die nebenan im Greenhouse mit House und UK-Breakbeat für extrovertiertes, aber keinesfalls trashiges Feiern stehen. Doch wer schon letztes Jahr auf dem Good2U war, weiß, dass fürs Closing Sonntagnacht besser ein paar Körner aufgespart bleiben.

Sonntagnachmittag regnet es. Endlich. Eigentlich die Höchststrafe für viele Festivals, bedeutet das hier Erleichterung. Und hat für die Bühnen keine negativen Auswirkungen: Wir erinnern uns, Pavillon und Loading Bay sind überdacht. Den so richtungsweisenden letzten Slot im Freien spielen Helena Hauff und ihr Lieblings-b2b-Partner Moopie. Zu Beginn ihres dreistündigen Sets beschnuppern sich die beiden mit House und leftfieldigen geraden Tracks, später stoßen sie in härtere Gefilde vor. Es rattern Techno und Electro zwischen Boden und Dach, die Hamburgerin wirbelt hinter dem Trockeneisnebel schemenhaft mit den Armen durch die Luft wie eine Berghain-Raverin auf den guten alten Podesten.

Drin danach: Rosati, dessen Hardware-Liveset zwischen Techno und Electro pendelt und eine signifikante Anzahl an Personen zu neugierigen Zuschauer:innen und Tänzer:innen zugleich mutieren lässt, und Sevensol und Map.ache, ehedem Manamana, die nach ihrem viel betrauerten Abschied aber nicht als solche auftreten und ein umjubeltes, druckvolles House-Set spielen. Und obwohl die Greenhouse-Temperaturen dem Namen des Floors ein weiteres Mal alle Ehre machen, geht die Crowd auch in Nacht drei voll mit.

Nun steht das Closing an. Wo letztes Jahr ItaloJohnson mit Tech-House-Salven durch die Menge schnitten, treten Don Williams & XDB genüsslich auf der Stelle und schweißen mit mittelgeschwindigem, dubbigem Tech-House satte elf Stunden lang zusammen. Der Vibe erinnert dabei an die inzwischen stark romantisierte Minimal-Zeit: Es könnte jederzeit etwas passieren, tut es aber nicht wirklich. Große Kunst, wie die beiden im rosagelben Zwielicht des Heatworks-Floors eine Zeitschleife des Müßiggangs erschaffen. In der letzten Stunde erhöhen sich Tempo und Intensität, um schließlich in Efdemins „Parallaxis” im Traumprinz-Remix zu gipfeln, der die eine oder andere Träne auf dem Dancefloor nach sich zieht. Nach dem wohlverdienten Applaus geht es ins Sonnenlicht, vollbepackt zum Bahnhof Görlitz-Weinhübel. Weg von einem Festival, das sich in seinem zweiten Jahr definitiv auf die Landkarte gesetzt hat.

Hat das Zeug zum ikonischen Bild in der Festivallandschaft: Die Fenster des Kühlhauses (Foto: Daniela Da Cruz)

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