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BAUGRUPPE90: „Wir sind große Fans davon, Dinge selbst anzupacken”

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Ein riesiges, faszinierendes Forschungsfeld

Louis und Paul lernten sich vor sieben Jahren in ihrer Heimat in Hessen über einen gemeinsamen Freund kennen, den sie über sein SoundCloud-Profil kontaktiert hatten und der irgendwann zu Louis‘ Mitbewohner wurde „Ihr müsst auch mal Mucke zusammen machen”, sagte er irgendwann zu ihnen. Eigentlich kamen beide aus dem House-Bereich und hatten eigene Projekte, waren aber zunehmend unzufrieden mit ihrem jeweiligen Sound. Zufällig bewegten sie sich parallel in dieselbe Richtung. Durch den neuen Austausch entdeckten sie die Musik der Zweitausender: „Es gibt eine ganze Welt in der Vergangenheit, die man noch entdecken kann”. Gleichzeitig eröffnete der gemeinsame Freund ihnen einen neue Perspektive auf die damalige Szene der späten Zehnerjahre.

„Es ist schön, zu hören, dass unsere Musik auch gute zehn BPM langsamer noch so gut funktioniert und nicht nur in unserem Tempo”

Als YouTube-Kids, aufgewachsen mit MP3s, hatten sie nie wirklich verstanden, wie Musik vor dieser Zeit verkauft oder verbreitet wurde. Dieses neue Wissen über die Vinylkultur motivierte sie, sich intensiver mit Clubmusik auseinanderzusetzen. Der Zugang zu alter Musik wirkte inspirierender, als einfach nur bei Beatport zu stöbern. Sie entdeckten eine ganze Welt voller Ideen aus der Vergangenheit, die noch immer relevant war. Über einen Bekannten lernten sie schließlich ihren heutigen Manager kennen, der ihnen vorschlug, ein Duo zu gründen – der nächste entscheidende Impuls, der BAUGRUPPE90 offiziell ins Leben rief.

Schon in jungen Jahren entstand bei Louis und Paul eine Verbindung mit elektronischer Musik. Pauls erster Berührungspunkt war der Bruder der Freundin seines Bruders. Für Louis war es der sechs Jahre ältere Sohn von Freunden seiner Eltern, der ihm als 13-Jährigen das Tomorrowland-Aftermovie von 2012 zeigte. Louis begann mit 13, Paul mit 15 selbst Musik zu produzieren – nicht wegen Partys oder Szene, sondern aus reinem Interesse an der Technik. Beide wollten damals natürlich noch unabhängig voneinander verstehen, wie Sound entsteht und gestaltet wird, anstatt ihn nur zu konsumieren. Musikproduktion und DJing wirkten damals mystisch und nerdy: Foren, endlose Threads, Tutorials – alles musste selbst erarbeitet werden. Für die beiden eröffnete sich ein riesiges, faszinierendes Forschungsfeld. Für Louis eine Alternative zum Zocken.

Nach Berlin kam Louis 2019, zwei Jahre später folgte Paul. Dort absolvierte Louis ein Praktikum im Riverside Studio bei Minimal-House-Veteran Tobi Neumann und arbeitete anschließend über zwei Jahre als freiberuflicher Misch-Assistent für ihn. Bis heute sind sie enge Freunde, und Tobi fragt regelmäßig nach neuen Tracks. Dass mit Tobi Neumann auch ein DJ aus einer früheren, langsameren Epoche der Clubmusik Baugruppe-Tracks auflegt, zeigt, wie offen ihr Kosmos ist: „Es ist schön, zu hören, dass unsere Musik auch gute zehn BPM langsamer noch so gut funktioniert und nicht nur in unserem Tempo”, sagt Paul.

Louis von BAUGRUPPE90 (Foto: Michael Anthony Baumann)
Louis von BAUGRUPPE90 (Foto: Michael Anthony Baumann)

Andere DJs können nach einem Triple-Weekender noch auf dem Floor stehen und feiern. Für Louis und Paul ist das jedoch kaum vorstellbar.

Auch heute haben Louis und Paul noch immer mehr Freude am Produzieren von Musik als an deren Konsum. Auf der Tanzfläche sind die beiden selten anzutreffen. Wobei Paul dann doch gelegentlich ein Weilchen länger auf einer Party nach einem Set bleibt, wie Louis sagt. Letztlich verbringen sie lieber Zeit im Studio.  Wenn sie mal ausgehen, dann in Bars oder Kneipen. Clubbesuche sind eher die Ausnahme, etwa wenn eine Legende wie Shed in der Else auflegen würde. Doch selbst dann bleiben sie selten acht Stunden auf dem Rave: Nicht die Musik selbst, sondern das gesamte Event und die Interaktion erschöpfen ihre „Social Battery”. Andere DJs können nach einem Triple-Weekender noch auf dem Floor stehen und feiern. Für Louis und Paul ist das jedoch kaum vorstellbar.

Sich vom Algorithmus unabhängig machen

Umso mehr Spaß macht dem Duo das Auflegen selbst – besonders im Club, wo mit dem Blick in die Gesichter der Tanzenden die direkte Interaktion mit dem Publikum gegeben ist. Obwohl die Distanz zur Crowd auf Festivals größer ist, würden die beiden gerne öfter auf welchen vertreten sein. Ihr diesjähriges Fusion-Set beschreiben sie als „Killer”. Aktuell befinden sie sich an einem Punkt, an dem sich ihr Fokus vom überwiegend cluborientierten Auflegen als mittelgroßer Act langsam auch auf kleinere Festivalbühnen ausweitet, finden sie.

Paul von BAUGRUPPE90 (Foto: Michael Anthony Baumann)
Paul von BAUGRUPPE90 (Foto: Michael Anthony Baumann)

Als BAUGRUPPE90 legen sie Wert darauf, Hörer:innen anzusprechen, die sich aktiv mit ihrer Musik auseinandersetzen. Das funktioniert auch: Viele Fans verfolgen das komplette Schaffen des Duos, schätzen den technischen Anspruch, das Handwerk und die gesamte Story hinter den Tracks. Deshalb ist es wichtig, den Kontakt mit der Community auch zwischen den Partys weiterzuführen.

Leider spielt der Instagram-Algorithmus da nicht immer mit. Früher konnten sie ihre Fanbase direkt erreichen, heute sehen nur noch wenige ihrer Follower die Inhalte, weil Algorithmen Werbung und Trend-Content bevorzugen. Über die Jahre haben sie sich zwar eine loyale Fanbase aufgebaut, aber leider erreichen sie diese nicht mehr zur Gänze, oft sorgt sogar ein simples Meme für mehr Aufmerksamkeit als neue Musik. Man mache aber keinen Meme-Channel, betont Paul.

Um dem entgegenzuwirken, starten sie nun einen Newsletter. TikTok und Instagram nutzen sie eher zum Dokumentieren ihrer Arbeit und nicht, um algorithmusgetriebene Reichweite zu maximieren. „Uns frustriert, dass Leute, die sich ernsthaft mit Musik beschäftigen, durch den Algorithmus oft untergehen”, sagt Louis.

Dass sie auf dieses Problem, mit dem sich fast alle Künstler:innen herumschlagen, mit einer neuartigen Lösung antworten, unterstreicht ihren Eifer und ihre Ambition: Parallel arbeiten sie nämlich an einer eigenen Plattforkm, einer Smartphone- und Web-App, über die Musiker:innen und Fans direkt, chronologisch und ohne Algorithmen oder Werbung connecten können. Noch steckt das Projekt in den Kinderschuhen, langfristig will BAUGRUPPE90 so unabhängig von Instagram und Co. werden.

Ein MONTAGE-Event in Amerika – das ist ein Traum, der noch in ferner Zukunft liegt.

In den kommenden Jahren wollen die beiden ihre Präsenz in Nord- und Südamerika deutlich ausbauen und arbeiten dafür mit der Analog Agency zusammen, einer Booking-Agentur, die ihre Aktivitäten in der Region betreut. Besonders in den USA sehen sie großes Potenzial für ihren Sound, der ihrer Einschätzung nach in den nächsten drei bis vier Jahren noch stärker gefragt sein wird. Ihr Lieblingsclub in Amerika ist das Basement in New York, wo sie bereits einige Male gespielt haben. Auch dieses Jahr werden sie noch zweimal nach Amerika fliegen, um in Clubs aufzutreten. Künftig wollen sie dort auch auf Festivals vertreten sein, etwa auf dem Hard Summer. Ihr jüngster Release Flight Tracker auf Hard Recs diente dabei als strategischer Schritt, um engere Verbindungen zur US-Szene zu knüpfen. Ein MONTAGE-Event in Amerika – das ist ein Traum, der noch in ferner Zukunft liegt.

Das ist jedoch längst nicht alles, der Tatendrang der DJs scheint unerschöpflich. Sie wollen die MONTAGE-Eventreihe auch hierzulande wieder aufleben lassen und spielen mit dem Gedanken, in Zukunft Release-Partys zu veranstalten. Der Studiokomplex soll weiter ausgebaut werden. Im Keller wird ein drittes Studio entstehen. Ein weiterer großer Schritt wären Live-Auftritte, die technisch anspruchsvoller sind als reine DJ-Sets. Die beiden können sich auch vorstellen, diese Shows mit auf die Musik abgestimmten Visuals in Anlehnung an ihr Bau-Thema visuell zu gestalten – quasi ein konzeptionelles Konzert.

Ihr größtes Ziel bleibt jedoch, weiter viel Musik zu produzieren. „Wir hoffen, mit der EP jetzt zu schaffen, dass alle sagen, okay, BAUGRUPPE90 hat ein eigenes Label – jetzt geht’s ab.”

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