Heute startet der Film Rave On in den Kinos. Zusammen mit Hauptfigur Kosmo (dargestellt von Aaron Altaras) tauchen wir darin in eine Nacht in einem Berliner Club ein und erleben Musik, Rausch und Drogen auf eine Weise, die nicht unmittelbarer und drastischer sein könnte. Wie das gelingt, welche Rolle dabei eine Platte in einem Jutebeutel spielt und wie der Film von Techno-Legende Hieroglyphic Being zusammengehalten wird, erklären das Regie-Duo Viktor Jakovleski & Nikias Chryssos im Gespräch mit Alexis Waltz.
GROOVE: Ihr nähert euch dem Nachtleben nicht nur über die Stimmung, über laute Musik und den Rausch, sondern über die Geschichte eines Menschen, der sich verloren hat und sich wiederfinden muss.
Viktor Jakovleski: Jeder wurde mal an einer Clubtür abgewiesen, genau so passiert das Kosmo. Bei ihm gibt es aber einen besonderen Grund – eine Backstory, die wir am Anfang noch nicht kennen. „Es ist besser, wenn du hier nicht reingehst”, sagt der Türsteher zu ihm. Es ist kein einfaches „Heute leider nicht”. Der Subtext ist hier: „Du hast hier mal Scheiße gebaut, deshalb gehörst du hier nicht mehr dazu”. Das ist das, was wir im Laufe der Geschichte erfahren.
Eine Party ist eine komplexe Erfahrung, es geht um den Ort, die Musik, aber auch um die Leute, mit denen man ausgeht.
Viktor Jakovleski: Unsere Frage war: Schaffen wir es, eine Cluberfahrung auf die große Leinwand zu bringen? Gelingt es uns, dieses besondere Erlebnis so authentisch wie möglich und nah an der Figur darzustellen, dass der Kinozuschauer das nachempfinden kann? Dabei ging es nicht darum, einen Film über Berliner Clubs zu machen. Es ist auch kein Film über einen besonderen Club, kein Film über die Szene und auch kein Film über Techno.
Nikias Chryssos: Das war von Anfang an ein ständiges Austarieren: Was ist das Minimum an Plot, das wir am Anfang brauchen, um mit ihm einzutauchen? Wie kann der Zuschauer zumindest einen Teil seiner Gefühle verstehen, um mit ihm immersiv in die Nacht eintauchen? Es stand natürlich immer die Frage im Raum: Wer ist das Publikum? Für wen erzählen wir das?
Viktor Jakovleski: Und wie schafft man es, an einer Figur dranzubleiben und alles zu erleben, was sie erlebt? Wir wollten eine Achterbahn mit allen Höhen und Tiefen in einem Spielfilm nachvollziehbar machen – und nicht nur von außen draufschauen.

Nikias Chryssos: Auf der einen Seite wollten wir authentisch erzählen, auf der anderen Seite mussten wir uns die Freiheit nehmen, Dinge dramatisch zuzuspitzen. Zum einen ist es schwer, gute Clubszenen zu drehen. Das war uns sehr wichtig, das war ein Teil des Experiments, des Abenteuers. Am Ende haben wir die Backstory stark verkürzt.
Als wir mit Kosmo vor dem Club stehen, wissen wir nichts von ihm.
Viktor Jakovleski: Wir hatten 30 Drehbuch-Seiten, die zeigen, was Kosmo vor dieser Nacht macht: Wie er im Studio blockiert ist, wie er auf Baustellen geht und dort Sounds aufnimmt. Uns ist dann aber klar geworden, dass uns Kosmos Erfahrung in dieser Nacht wichtiger war als die Vorgeschichte.
Nikias Chryssos: Damit ist man gleich von Anfang an ihm dran. Wir hatten lustige Ideen in der Vorgeschichte: Kosmo hat zum Beispiel die aktuellen Klänge von Orten aufgenommen, an denen sich früher Clubs befanden. Er hat die Dubplate im Mastering-Studio abgeholt, die er mit in den Club mitnimmt.
„Um was geht es hier eigentlich?”
Viktor Jakovleski: Nikias hat dann die ersten 30 Seiten des Drehbuchs einfach gestrichen und mir die neue Version geschickt. Da ging es um einen Dude, der mit einem Jutebeutel mit einer Platte drin in den Club geht – das hat mich sofort neugierig gemacht. Das hat einen starken Zug, wenn man erst mal verstehen muss: Um was geht es hier eigentlich? Was will der mit der Platte machen?
Nikias Chryssos: Letztlich wollten wir eine Geschichte der Befreiung. Für uns kann der Technoclub so ein Ort sein, an dem man sich einmal komplett verliert, wo das Puzzle in seine Einzelteile zerfällt, wo man sich aber auch wieder zusammensetzen und finden kann. Das ist die Quintessenz unseres Films.
Kosmo will ja eigentlich gar nicht feiern gehen oder Drogen nehmen – aber gerade weil er es doch macht, kommt er zum Ziel, oder?
Viktor Jakovleski: Wie oft funktioniert das, auf einen Drink rauszugehen? Ich habe das noch nie geschafft. (lacht) Das Unverhoffte ist oft das, was eine geile Nacht ausmacht.
Wie habt ihr die Clubszenen gedreht?
Viktor Jakovleski: Ich habe den Film unserem Produzenten Andro Steinborn 2017 gepitcht und schon damals gesagt, dass ich in echten Clubs drehen will. Bei vielen Filmen hat man dieses „Alle auf Anfang und Musik an”-Gefühl, und das sieht man einfach. Meine Idee war es, das radikal anders zu machen, weil ich nicht in derselben Falle landen wollte. Wir wollten eine hybride Form finden. Wir wollten einen Ort haben, an dem wir die Sachen, die nicht auf dem Dancefloor spielen, wie bei einem normalen Film drehen können. Die Szenen auf dem Dancefloor oder am Eingang sind alle dokumentarisch gedreht.

Welcher Club ist das?
Viktor Jakovleski: Die Innenaufnahmen sind in einem Berliner Club entstanden, der nicht genannt werden möchte. Die Außenszenen wurden aufgrund von Förderung in Frankfurt gedreht. Das ist kein Club, sondern eine Getreidemühle.
Wie habt ihr die Szenen im Club gedreht?
Nikias Chryssos: Wir haben mit dem Club vereinbart, dass wir an zwei Tagen in der Woche drehen können. An einem Tag haben wir Nebenräume wie Flure und Toiletten gemacht, am anderen haben wir jeweils eine echte Party mit freiem Eintritt veranstaltet, mit bekannten DJs wie Steve Bicknell oder DJ Killing. Wir haben aber offen kommuniziert, dass hier ein Film gedreht wird.
Dazu habt ihr öffentlich eingeladen?
Viktor Jakovleski: Genau. Wir hatten echte Raver auf dem Dancefloor, die zum Tanzen und Feiern da waren. Da haben wir alles mit Kosmo gedreht. Man versucht natürlich, das Team so klein und unscheinbar wie möglich zu halten. Die Ansage an die Crew war: Zieht euch an wie Feiernde. Die Kamera war dann wirklich unscheinbar. Es war nicht einfach, bei ballerndem Techno zu drehen.
Es hat sich gelohnt, die Szenen fühlen sich tatsächlich wie in einem Club an.
Nikias Chryssos: Es war auch nicht leicht, eine echte Party auf die Beine zu stellen. In Frankfurt haben wir mit dem Robert Johnson zusammengearbeitet, in Berlin mit einem Kollektiv, das tatsächlich auch Partys veranstaltet.
In vielen Filmen wirken Feierszenen seltsam statisch, bei euch sind immer Menschen in Bewegung zu sehen. Auch die Kamera ist ständig in Bewegung.
Viktor Jakovleski: Wir hatten von Anfang an das Konzept, dass wir mit der Kamera immer bei der Figur bleiben. Unsere Kamera von Arri hat einen 16mm-Crop-Modus. Da wird vom Chip weniger belichtet, so entstehen mehr Unschärfen, sodass sich das Bild wie ein Dokumentarfilm von früher anfühlt. Das hat uns geholfen. Der gesamte Sensor hätte viel mehr sichtbar gemacht und mehr Schärfen gehabt. Der Fokus sollte aber auf der Hauptfigur liegen, alles andere wischt nur vorbei. Das vermittelt auch die Unsicherheit, die Kosmo am Anfang hat, als er in den verwinkelten Club kommt.

Nikias Chryssos: Deshalb wirkt der Film so rough, wir wussten nicht, wer durchs Bild läuft, wann jemand an die Garderobe kommt. Gleichzeitig hatten wir eine ausgeklügelte Farbdramaturgie, wir haben geplant, wann wir in welche Optiken gehen, wann das Bild verzerrt. Situationen wie die, in der Kosmo aus dem Lichtschacht kommt und vor seinem Helden steht, haben wir mit unserem Oberbeleuchter und dem Licht-Team des Clubs gestaltet.
Viktor Jakovleski: Unser Oberbeleuchter saß mit dem Lichtmann des Clubs am Pult, gemeinsam haben sie das Licht für verschiedene Szenen entwickelt und gespeichert. Wir haben den Club aber nicht wie ein Filmset betrachtet, wo man mit viel Licht ankommt und erstmal alles ausleuchtet. Wir haben das Club-Licht genutzt und mit dem Oberbeleuchter geschaut, wie man das am besten einsetzen kann. Hier und da haben wir das Licht, das da war, ein wenig verlängert.
„Wir haben den Club nicht wie ein Filmset betrachtet.”
Nikias Chryssos: Gleichzeitig mussten wir immer darauf achten, die Party nicht zu sehr zu interrupten. An den beiden Party-Tagen hatten wir ein zweites Kamerateam. Die sind mit Schauspielern, die keinen Text haben, durch den Club gelaufen oder aufs Klo gegangen, da hatten wir eine freie Atmosphäre, da ist viel wirre Footage entstanden. (lacht)

Viktor Jakovleski: Auf dem Dancefloor gibt es aber viel Dunkelheit, viele Dinge, die man gerade eben so sieht. Das ist für mich einer der Aspekte, die die Erfahrung im Club so besonders machen. Wenn ich clubben gehe, sehe ich auch ganz viel nicht. Das macht den Reiz aus.
Ihr sprecht von zwei Partytagen, wie viele Drehtage hattet ihr insgesamt?
Nikias Chryssos: Wir haben den Film an zwölf Tagen gedreht. Im Club hatten wir acht Tage, jeweils von Montag bis Donnerstag. Am Montag und Dienstag haben wir alles gedreht, was nicht Dancefloor war, am Mittwoch hatten wir einen großen Probentag, wo wir die Abläufe für den Partytag komplett durchgegangen sind, damit die Schauspieler genau wussten, wie sie im Chaos der echten Party agieren mussten.
Die Dialoge sind dann nachträglich dazugekommen. Die Musik auch?
Nikias Chryssos: Die Dialoge auf dem Dancefloor: Ja. Bei der Musik haben wir auf die BPM-Zahl geachtet. Unser Editor, Anselm Koneffke, hat früher aufgelegt und produziert. Sein Gespür für Rhythmus hat ihm erlaubt, frei zu denken und Bilder von verschiedenen Partys und Drehtagen zusammenzuschneiden.

Wie seid ihr mit der Musik umgegangen?
Viktor Jakovleski: Wir haben uns gefragt: Wie erlebt man die Musik, wenn man auf dem Dancefloor steht? Wenn Kosmo an der Bar steht, liegt noch mehr Hall drauf. Nachdem er die Pille nimmt und auf den Dancefloor geht, knallt sie richtig. Auf den Klos scheppert es. Das war ein spannender Prozess, an dem auch Ed [Davenport, Anm d.Red.] beteiligt war.
Der Soundtrack von Ed Davenport und John Gürtler ist aber zurückgenommen.
Viktor Jakovleski: Ed hat Anselm einen ganzen Ordner mit Musik geschickt. Dass er beim Schneiden nicht mit Temp-Tracks arbeiten musste, die am Ende durch die finale Musik ersetzt werden, ist ein Privileg. Ed hat gesagt: Hier ist alles dabei, nutz‘ das, was du für den Schnitt brauchst, so wie es für den Schnitt am besten ist. Anselm hat drei bekannte Tracks eingebaut, die er in den Neunzigern selbst aufgelegt hat: „Ultrahigh” von The Revenge of the Maya Gods am Anfang des Films, Team Deep – „Morninglight” in der Mitte und „Camargue” von CJ Bolland am Ende des Films, weil er das Stück oft als Closing-Track gespielt hat. Das waren drei geile Marker, da wollten wir uns nicht nochmal auf die Suche machen, einen Soundalike zu finden.
War es schwer, die Stücke zu lizenzieren?
Nikias Chryssos: Das war bei jedem Track ein Prozess. Es war auch nicht klar, wer jeweils die Rechte hat. Team Deep haben wir einen Liebesbrief geschickt, die wollten wissen, ob ihr Stück zu einer Drogenszene läuft, was ja auch der Fall ist. In der Zeit hat Ed in der Panorama Bar aufgelegt, und um halb 12 Uhr mittags den Team-Deep-Track gespielt. Ich habe aufgenommen, wie die Leute gejubelt haben und ihnen das geschickt. Am nächsten Tag haben sie zugesagt.

Zum Schluss: Wie habt ihr euch kennengelernt?
Viktor Jakovleski: Nikias und ich sind seit 20 Jahren befreundet, wir haben eine filmische Partnerschaft. Ich liebe seine Filme und denke, dass er auch mag, was ich mache. Letztlich hat uns bei dem Projekt aber das Raven zusammengebracht. Ich recherchiere schon seit 2012 daran, was eine filmische Form des Ravens sein könnte. Ich habe mir über die Jahre viele Scribbles, viele Notizen gemacht, auch mal im Club im Separee auf dem Handy. Als wir dann im Berghain waren, habe ich Nikias davon erzählt, und er war sofort Feuer und Flamme. Ich habe ihm dann meine Notizen geschickt, auch weil ich jemanden brauchte, der mit klaren kalten Augen draufschaut und eine Geschichte findet. Dann sind wir auf die Geschichte mit der Platte gekommen. Dann war auch klar, dass wir den Film gemeinsam machen wollen.
„Er hat ja ein wenig das Gefühl, dass ihn die Zeit überholt hat.”
Nikias Chryssos: Dieser Prozess war möglich, weil wir uns so lange kennen und wissen, wie der andere tickt. Wir haben uns 2004 oder 2005 kennengelernt und sind dann auch viel ausgegangen.
Mich hat die Stimmung in dem Club im Film tatsächlich an das Feiern in den Zweitausendern und Zehnerjahren erinnert, zum Beispiel an die Griessmuehle.
Nikias Chryssos: Da waren wir mehrmals zusammen.
Auch weil es nicht der aktuelle Blick auf das Nachtleben ist, aber auch nicht jener der Neunziger, sondern einer aus der Zeit dazwischen.
Viktor Jakovleski: Das war auch eine Frage: Wie ist das genau verortet, wie guckt Kosmo auf die anderen Leute? Er hat ja ein wenig das Gefühl, dass ihn die Zeit überholt hat. Die Figur war ursprünglich älter angelegt als Aaron.
Was für eine Rolle hat er bei der Entstehung des Films gespielt?
Viktor Jakovleski: Aaron war von Anfang unfassbar committed, er hat mitgeackert und gefightet. Am Anfang fand er den Clubtalk cringy und hat geholfen, ihn besser zu machen. Er ist kein Schauspieler, der dreimal in den Club geht, um sich da qua Method Acting reinzuversetzen. Er kennt das – auch weil er mit seinenm Bruder als Alcatraz selbst Musik macht.
Nikias Chryssos: Sie sind Teil der Live-From-Earth-Crew.
Viktor Jakovleski: Wichtig für den Film ist aber auch Hieroglyphic Being. Es war immer eine Frage, wen man da findet. Es muss natürlich jemand sein, den wir als legit empfinden, der wirklich gute Musik macht und für irgendwas steht. Es war auch sehr lustig mit ihm, er ist für jeden Schabernack zu haben und kann unfassbar gut Geschichten erzählen.

Nikias Chryssos: Da haben wir im echten Leben jemanden gefunden, zu dem Kosmo aufschauen würde, für den er ganzen Trip machen, dem er die Platte wirklich persönlich in die Hand drücken will.