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O-Wells: „Nicht unbedingt was ganz Neues sein, aber eben auch kein Abklatsch”

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Orson Wells, O-Wells, Frankfurt Bass, Mystic MirrorLennard Poschmann hat sich unter diversen Pseudonymen einen Namen gemacht. GROOVE-Autor Jens Balkenborg stellt den in Berlin lebenden, aus Frankfurt am Main stammenden Musiker vor, der auf eine riesige Diskografie zurückblicken kann und mit seinem Sound zwischen Detroit, US-House und Drum’n’Bass eine einzigartige Signatur erschaffen hat.

Wer am letzten Samstagabend im März in der Nähe des Frankfurter Kulturcampus an der Bockenheimer Warte war, konnte das Wummern nicht überhören. Die Gruppe Ort3 hat zur Musiknacht „Interzone” eingeladen und auch Lennard Poschmann alias O-Wells eine fette Außenbühne bereitet. „Es war fast schon episch”, beschreibt der im Gespräch seinen Eindruck. Das trifft es ganz gut: Vor dem DJ und Producer die geschichtlich aufgeladene breite Betonwüste voller Tanzwütiger und das Café KoZ, hinter ihm eine Schiene mit flackernden Lichtröhren, die die Nacht und die markante Fassade der alten Kunstbibliothek zum Leuchten brachte.

O-Wells (Foto: Lisa Bär)

In Frankfurt weckt der Kulturcampus ambivalente Gefühle. Lange hat sich dort in architektonischer Hinsicht nichts getan. Seit Jahren schon ist geplant, das alte Areal der Goethe-Uni an der Bockenheimer Warte zum Ort einer stadtplanerischen Großvision umzugestalten. Kürzlich haben die Stadt Frankfurt und das Land Hessen bekanntgegeben, dass dort neue Räume für die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HFMDK) Frankfurt geschaffen werden sollen. Ein Ort des Umbruchs also, dessen Geschichte mit der von Poschmann verquickt ist und dessen Staub der Musiker mit seinem Set ordentlich durchgeschüttelt hat.

Sauer, spritzig, Nostalgie!

Wir treffen uns in der Woche nach dem Gig in einer Traditionsapfelweinschänke in Frankfurt Sachsenhausen. In der Bestellung des Musikers steckt eine gute Portion Rhein-Main-DNA. Er trinkt sauergespritzen Apfelwein und genießt Handkäs mit Musik. Poschmann, 1991 in Frankfurt geboren, mittlerweile aber leidenschaftlicher Berliner, wirkt ganz selig, als er von seinen Eindrücken von der Interzone berichtet. Für ihn sei das auch ein nostalgischer Trip gewesen, denn ab seinem 15. Lebensjahr sei er regelmäßig als Gast dort gewesen und später als Musiker, erzählt Poschmann.

„Im KoZ haben Benjamin Milz, Emil Seidel (Toni Moralez/DJ Disrespect) und ich das Auflegen gelernt. Ab 2011, 2012 hatten wir über Emil einen Donnerstag im Monat, an dem wir gespielt haben.” Das Trio konnte sich dort ausprobieren und austoben, der Eintritt war frei. Eingeladen zum Interzone-Gig wurde er von Leuten, die ihn während seiner Anfänge im Café KoZ gehört haben.

„Ich musste das machen, weil ich nicht anders konnte.”

Poschmann hat, das kristallisiert sich im Gespräch heraus, einige größere und kleinere Umbrüche hinter sich. Musikalisch war er zunächst in einer Rockband als Bassist unterwegs, bis ihn Emil Seidel fragte, ob er die Bassline für einen elektronischen Song einspielen könne. „Ich hatte keine Ahnung von elektronischer Musik, weil ich früher vor allem Rock, Bob Dylan, Delta Blues, Hendrix und solche Sachen gehört habe.”

Nach der Schulzeit kamen schließlich die Faszination und Erkenntnis, dass sich eigene Ideen für elektronische Tracks recht problemlos zuhause realisieren lassen. Milz, Seidel und ihm sei dann klargewesen: „Wir hängen uns jetzt voll rein in diese Musik, wir kaufen Platten, tauchen ein.” Es ging direkt in die Vollen: Classic Chicago House, New York, Techno. „Jeden Tag voll weg, ich musste das machen, weil ich nicht anders konnte und gut werden wollte”, sagt der DJ. Ein wichtiger Netzwerk-Motor sei die damals breite Soundcloud-Szene gewesen.

Lifesaver Robert Johnson

2012, 2013 kam Oliver Hafenbauer, zu der Zeit noch Booker und Label-Verantwortlicher im Robert Johnson, auf Poschmann zu und hat ihn auf die erste The Lifesaver Compilation geholt. „Über Oli hat es angefangen. Ich habe ihm ein paar Tracks geschickt und er meinte: „Cool, lass‘ ne Platte machen!” Ein regelrechtes Katapult für jemanden, der gar nicht zuvorderst eine Karriere im Sinn hatte und auch nicht szenemäßig unterwegs war, sondern einfach Bock hatte, Musik zu machen.

Dabei sei das Alter Ego Orson Wells gar nicht auf Orson Welles, Genie und Enfant terrible des klassisches Hollywoodkinos, bezogen. Zwar kennt Poschmann den Regisseur und Filme wie Der dritte Mann. Aber der Name hätte trotzdem nicht so recht was mit dem Regisseur zu tun. Er fand den Namen einfach cool und wollte damit ein bisschen undercover bleiben, was aber nicht geklappt habe, weil der Name zu groß war. „Ich bin super schlecht darin, Namen zu finden”, sagt er dazu lächelnd.

Poschmann wurde Resident im Robert Johnson, es folgten Anfragen von Innervisions, die durch Soundcloud auf ihn aufmerksam geworden waren. Ihm sei nicht bewusst gewesen, wie groß das Label war, auf dem schließlich seine EP Endless (2014) erschien. „Das war eine produktive Zeit mit einem guten Netzwerk und vielen guten Gigs”. 2015 erschien A Connection bei 777 Recordings.

O-Wells will hinter seiner Musik stehen, nicht davor (Foto: Lisa Bär)

Stilistisch hat sich Poschmann, der auch als Frankfurt Bass bekannt ist, über die Jahre verändert. Auf Pneumatics (2017), seiner letzten Platte auf Live at Robert Johnson, firmierte er noch unter dem Namen Orson Wells, danach unter O-Wells. „Als Orson Wells war ich eher melodielastiger unterwegs, vielleicht auch ein bisschen naiver. Als es dann um bewusstere Entscheidungen in der Musik ging, habe ich mit dem neuen Namen ein neues Kapitel aufgeschlagen.” Bei nur einem Label zu veröffentlichen, das für einen bestimmten Sound steht, kann der Musiker sich nicht vorstellen. Das wäre in seinem Fall nicht authentisch, schließlich wolle er unterschiedliche Stile spielen.

Bitte kein Ego-Ding!

Ein heftiger Cut war für Poschmann, wie für so viele, die Corona-Pandemie. Ein Cut, der, so liest es sich aus seinen Erzählungen, auch einen Moment der Selbstreflexion markierte. „2020 wäre krass geworden, ich hatte Anfang des Jahres große Gigs bis August durchgeplant.” Dann kam die pandemische Vollbremsung, bevor, so der Musiker, Ende 2021 alles in sich zusammenfiel.

Durch Corona wurde beschleunigt, was sich vorher schon abzeichnete: Die Musikszene hat sich verändert, wurde, auch wegen der Dauer-Social-Media-Beschallung, noch personenbezogener. Poschmann nennt es ein „Ego-Ding”, das ihn überhaupt nicht interessiere. „Alles ist visueller geworden: das Auflegen, die Performance und die sozialen Medien. Dieses ganze Drumherum ist einfach nicht meine Welt, ich bin eher so der Antipersonenkult-Mensch”.

„Jetzt ist der Druck, Gigs zu bekommen, weg.”

Dadurch, dass so viele Leute finanziell drinhängen, gehe es heute oft weniger um die Musik als um die auflegenden Menschen und Influencer, die einen Club potenziell vollmachten, so Poschmann. Vormachen solle man sich nichts, meint der Musiker. Denn auch wenn sich vieles, etwa in Sachen Diversität, zum Positiven verändert habe: „Diese Szene und das Modell dahinter ist das Neoliberalste, das man sich vorstellen kann.”

Poschmann selbst wollte sich nicht von diesem Haifischbecken abhängig machen, und auch weil er sich in der Szene nicht mehr ganz zuhause fühlte, trat der Musiker einen Schritt zurück. Er beendete sein Studium der Japanologie an der FU in Berlin und geht heute einem gewöhnlichen 9-to-5-Job nach. „Und danach mache ich, woran ich Spaß habe”, lächelt er und betont die gewonnene Freiheit. „Jetzt ist der Druck, Gigs zu bekommen, weg, und ich kann die Sachen auf mich zukommen lassen und frei wählen. Ich will einfach mit Freunden eine gute Zeit haben. Das sind immer die Nächte, die mir am meisten geben.”

Hinter der Musik stehen

Ein zentraler emanzipatorischer Baustein ist sein Label Spektrum, auf dem Poschmann seine Musik rausbringt. Ein eigenes Label sei am unkompliziertesten, um ohne Zeitdruck und nach den eigenen Ansprüchen und Vorgaben zu veröffentlichen. Zwischendurch erscheint O-Wells aber auch auf Labels von Freunden. In diesem Jahr wird noch eine Platte beim Zürcher Label Ozelot seines Kumpels Manuel Fischer erscheinen. „Ich bringe Musik raus, hinter der ich stehe”, so Poschmann. Bisher hat er auf seinem Label in kleinen Formaten releast, seine letzte Platte Spektrum 001 ist nur 25 Mal gepresst worden. „Keine Promos oder Premieren. Einfach hochgeladen, und dann war es das. Durch Plattformen wie Bandcamp bekommt das eine Langlebigkeit”, so Poschmann.

Heute betrachtet sich Poschmann eher als Produzent denn als DJ. Als Producer ist er ein elektroakustischer Bildhauer, sein Werkzeug eine Mischung aus digitalem und analogem Equipment. Analoge Sounds seien wichtig, denn die Art und Weise, analog zu arbeiten, sei viel direkter, weil haptischer. Während des Kompositionsprozesses nimmt er Sounds auf, sampelt diese nochmal, jagt sie durch analoge Mischpulte und weitere Schnittstellen, um alles ein bisschen „knarzen” zu lassen.

„Ich mag’s nicht, wenn der Sound zu clean ist”, so Poschmann. Deshalb spiele er mit Lautstärken und Filtern, die nicht getaktet seien, lasse diese gegeneinander laufen oder verändere Sounds über den Verlauf eines Tracks. „Es geht darum, dem ganzen Zeit zu lassen. Ich klatsche was drauf, nehme was weg, bis ich es irgendwann gut finde. Das kann an einem Tag passieren oder mehrere Wochen dauern.”

Bloß keine Klischees bedienen

O-Wells‘ Sound ist stark affiziert von Detroit. „Die Musik, was sie beschreiben will und das Mindset dahinter geben mir sehr viel”, meint Poschmann. Ansonsten interessiere ihn alles, was von den Frequenzen eher „deeper” daherkomme: Jungle, Drum’n’Bass, Dubstep, House. Als großes Idol nennt er den amerikanischen DJ und Produzenten Ron Trent, weitere wichtige Einflüsse sind Underground Resistance, Claude Young, Robert Hood oder Photek

„Da fühlt man einfach nochmal den Nervenkitzel.”

„Es geht mir nicht um ein bestimmtes Genre, sondern um die Musik an sich”, so Poschmann. „Meine Lieblingsmusik ist die subtilere, die einen nachdenken lässt und keine Klischees bedient.” Diesen Anspruch stellt er auch an seinen eignen Sound, bei dem es ihm darum gehe, etwas beizutragen, das nicht unbedingt was ganz Neues sei, aber eben auch kein Abklatsch.

Aktuell plant er die nächste Veröffentlichung auf seinem eigenen Label und schraubt an seinem Live-Setup. Am 22. Mai präsentiert er sein Live-Set bei der Magic-Power-Nacht in der Säule im Berghain. „Die Livesets in der Vergangenheit liefen gut. Live ist nochmal anders”, sagt Poschmann. „Da fühlt man einfach nochmal den Nervenkitzel.”

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