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Mischa Fanghaenel: „Es wird den Moment geben, in dem wir uns angrinsen”

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Du stehst immer sonntags an der Tür?

Ja. Ich habe das ein bisschen reduziert, weil mein Kind gerade in die Schule gekommen ist. Es gibt so einen bescheuerten Paragraphen, der besagt, dass man als Arbeitnehmer 15 Sonntage im Jahr freihaben muss. Das ist eine Herausforderung, weil die Disko, in der ich arbeite, da ihren Kerntag hat. Aber ich sehe auch den Vorteil: Ein Wochenende pro Monat bin ich auf jeden Fall zuhause.

Nochmal zu deinem Auswahlprozess für NACHTS: Du hast die Leute nur anhand deiner Insta-Story ausgewählt? Nicht an der Tür gefragt?

Nur auf Insta. Wenn ich die Leute an der Tür frage, ob ich sie fotografieren darf, denken die sich nur: Wenn ich Nein sage, lässt er mich dann trotzdem rein? Wenn ich Ja sage, bin ich dann noch zu was anderem verpflichtet? Ich habe das strikt getrennt. Ich wollte das unbedingt machen, wollte aber nicht, dass die Leute ein bescheuertes Gefühl bekommen, sondern wollte am Wochenende trotzdem einfach Türsteher sein können. Dass das alles dazu führt, dass wir hier drüber reden, konnte ich nicht ahnen.

Wieso, denkst du, tun wir das?

Wir sind Teil einer Szene, die medial oft anders dargestellt wurde, als sie sich mir präsentiert. Damit meine ich Fotostrecken à la Du bist nicht reingelassen worden oder Ich war zehn Stunden in der Disko. Oder: Was musst du anziehen, damit du reinkommst? Ich dachte mir: Warum schreibt ihr darüber, wenn ihr nie dort drin wart? Wieso schreibt ihr nicht darüber, wenn ihr Teil dessen seid? Auf eine Art und Weise, dass ihr das Schöne betont? Stattdessen konzentrieren sich alle aufs Negative.

Es klickt. Ich glaube nicht, dass es dem x-ten Journalisten Spaß macht, solche Artikel zu schreiben. Hast du von der neuen ARD-Serie The Next Level mitbekommen?

Ja, habe ich.

Die ist von einem Spiegel-Journalisten, der einen Artikel über den Tod einer Frau im Berghain geschrieben hat.

[Alexander, Anmerkung der Redaktion] Osang. Ich kenne den, der kann unfassbar gut schreiben. Ich war lange Spiegel-Abonnent. Dann hat der 2018 dieses Ding rausgebracht, und ich dachte: Wow, krass.

Dann hast du gekündigt?

Nein, das hatte damit nichts zu tun. Trotzdem ist es schade, dass er aus einer Geschichte, die so einseitig dargestellt wurde, einen Riesenartikel gemacht hat. Und dass der jetzt noch eine Serie geworden ist, wow. Ich verstehe natürlich das Interesse daran, hundertprozentig. Trotzdem ist das so einseitig, dass ein verzerrtes Bild entsteht, was ich schade finde. Hast du die Serie schon gesehen?

Noch nicht, aber ich bin auf die Clubszenen gespannt. Die sehen in den meisten Produktionen anders aus als in der Realität.

Glaubst du, dass wir, die wir aus der Berliner Clubszene sind, gar nicht verstehen, wie andere Leute feiern gehen?

Ich habe das Glück, dass ich vom Dorf bin und die Diskos dort besucht habe. Deshalb kenne ich die Unterschiede. Zum Beispiel zwischen Club und Disko. Auch wenn du das Berghain auch Disko nennst.

Ich sage das gern, weil wir nicht in den China Club gehen, wo wir ein Kärtchen brauchen.

Ich glaube, dass sich vor allem die Motive beim Ausgehen unterscheiden. Das mag nicht immer zutreffen, aber ich würde tippen, dass man auf dem Land eher weggeht, um sich jemanden zu klären, wie man hier sagt.

In den Technoclub geht man eher für sich selbst. Was da passiert, passiert halt. Aber man hat nicht die Intention, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es wird sehr wahrscheinlich schön sein. Wie schön, das stellt sich vor Ort heraus.

Apropos Motive: Mich würde nochmal interessieren, wie genau der Auswahlprozess für NACHTS ablief.

Ich war im Urlaub und habe eine Instagram-Story mit einem Aufruf gemacht. Alle, die auf den Aufruf reagiert haben und die ich als Gast wiedererkannt habe, habe ich eingeladen.

Kannst du erklären, wieso du jemanden für NACHTS ausgewählt hast? Oder handelst du rein intuitiv, wie bei der Selektion als Türsteher auch?

De facto. Wenn es bei mir im Kopf klickt, und ich erkenne jemanden wieder, war das Grund genug für mich, zu sagen: Ich würde dich gerne im Projekt haben. Das ist die gleiche Grundlage. Ich habe niemanden ausgesucht, weil er so schöne bunte Haare hat.

„Ich weiß nicht, ob junge Leute, die die Tür machen, mich heute noch reinlassen würden.”

Es ging dir nicht um Oberflächlichkeiten.

Das ist der Grund, warum ich diese Szene so mag. Den Gedanken mochte ich bei Hip-Hop auch immer: Dass beispielsweise unattraktive Leute aufgrund ihres Könnens populär werden. Genau so ist es auch im Techno. Du musst nicht gut aussehen, um Erfolg zu haben.

Aber es hilft. Es gibt Künstler:innen, die sich auf Social Media stark inszenieren.

Aber sind die in der Techno-Szene oder in der Ibiza-Szene unterwegs?

Das verschwimmt. Im Umkehrschluss sollte man aufpassen, dass man den Erfolg von Künstler:innen nicht nur auf ihr Aussehen zurückführt. Besonders bei Frauen wird das gerne gemacht. Wobei etwa auch ein Ben Klock gut ankommen dürfte.

Da gibt es sicher einige Beispiele. Mir ging es jedenfalls bei Auswahlprozessen immer um die Frage: Bist du aus den richtigen Gründen Teil dieser Kultur?

Wenn jemand total basic aussieht und vielleicht nicht der Attraktivste ist, wird es doch trotzdem schwer, den an der Tür in Sekundenbruchteilen zu beurteilen.

Ich liebe Menschen. Und ich habe die Hoffnung, dass ich genug Erfahrung habe, um das einzuschätzen. Weil ich es sehr schade fände, wenn die Technokultur sich dahin entwickelt, dass wir nur noch schöne Leute auf der Tanzfläche haben. Ich weiß nicht, ob junge Leute, die die Tür machen, mich heute noch reinlassen würden. Ich sehe normal aus, bin ein erwachsener Mann. Ok, ich laufe viel in Schwarz rum, aber trotzdem. Schöne Menschen, ja, aber schön hier. (klopft auf seine Brust)

NACHTS

Wir haben über den Prozess hinter der Auswahl gesprochen. Wie hast du das Projekt deinem Arbeitgeber erklärt?

Der Wunsch, es umzusetzen, existiert schon ein paar Jahre. Aber ich war zurückhaltend, weil ich wusste, wie es um Bilder im Club-Kontext bestellt ist. Bevor ich das erste Bild gemacht habe, habe ich den Besitzer und ein paar mir nahestehende Menschen gefragt. Ich wollte wissen, ob ich mich irgendwo verrannt hatte, aber wurde von allen unterstützt.

Du fotografierst seit deiner Kindheit und hast in einem Interview erzählt, dass du früher mal mit einem professionellen Fotografen unterwegs warst.

Ich habe eine Ausbildung gemacht.

Die du in Tränen abgebrochen hast.

Das war bitter, ja.

Welche Lehren hast du aus dieser Erfahrung gezogen?

Ich war Mitte 20, als ich den Ausbildungsplatz in Düsseldorf bekommen habe. Ich habe abgebrochen und bin in Tränen nach Hause gefahren.

Wieso?

Das mit dem Ausbilder hat gar nicht funktioniert. Wir waren zwei Gockel, die nicht zusammen konnten.

Eine schlechte Meister-Schüler-Dynamik.

Ganz schlimm. Ich habe viel gelernt, aber wir sind aus persönlichen Gründen nicht zusammengekommen. Ich hatte aber vorher schon Bilder verkauft und war schon zehn Jahre dabei, habe also nicht von Null auf gelernt. Ein Zettel, auf dem steht, wer man ist, ist in Deutschland aber nicht nachteilig. Die gescheiterte Ausbildung hat meinen Weg etwas verlangsamt, mir aber auch genug Zeit gegeben, mich zu entwickeln. Den Entschluss, das professionell aufzuziehen, fasste ich aber erst mit 40.

Wieso erst so spät?

Ich war glücklich damit, wer ich war. Ein Berliner Türsteher, das lief alles. Aber zu sagen: Ich teile jetzt mehr von mir – den Entschluss habe ich erst spät gefasst. Mit massiver Unterstützung meiner Frau.

Du hast Sven Marquardt als deinen Mentor bezeichnet. Wie entstand eure Beziehung und in welcher Hinsicht ist er das für dich?

Nicht als Fotograf, als Mensch. Der Typ kann halt, was er da macht. Und er hat es mit mir geteilt. Mentor im dem Sinne, dass er mir beim Blick auf Menschen eine Menge beigebracht hat. Das war spannend.

Das hat er dir während eurer Schichten erklärt?

Man hat genug Zeit, wenn man zusammen Menschen guckt. Wenn du ein paar Jahre an der Tür arbeitest, kommen Menschenkenntnis und die Erkenntnis, dass jeder unterschiedlich ist. Und auch einzigartig. Vom Oberflächlichen wegzukommen und auf eine andere Ebene – das ist vielleicht der Grund, warum Berliner Clubkultur so erfolgreich ist. Warum alle nach Berlin wollen und gucken, was da los ist.

Viele wollen das sicher auch, um extrem lange Feiern zu gehen, weil sie das zuhause nicht können.

Dafür brauchst du aber die richtigen Leute.

Foto: Mustafa Abdulaziz

Als Türsteher bist du bemüht, Leuten nicht böse zu sein, wenn sie dich beleidigen. Du lässt das an dir abprallen, weil sie dich in deiner Funktion beleidigen, nicht als Mensch. Nun gibt es Sven Marquardt, der im Berghain Türsteher ist und fotografiert. Und dich, der im Berghain Türsteher ist und fotografiert. Dass das Angriffsfläche bietet, muss dir schon bewusst gewesen sein, bevor du NACHTS gemacht hast. Tangiert dich das?

(grinst) Nein. Sven ist nunmal eine Berliner Figur, die die Leute kennen. Ausstellungen macht er auch schon lange genug. Wir machen beide Porträts, aber so unterschiedliche Sachen. (Überlegt) Ich habe dafür keine Worte, das ist mir wirklich so egal. Ich bin extrem glücklich mit dem, was ich mache. Und es freut mich, dass es Leute gibt, die das mit mir teilen und schön finden. Wenn’s Leute gibt, die das scheiße finden – bitte schön.

Und an der Tür?

Da werde ich laut, wenn ich das Gefühl habe, Leute sind unfair.

Euch gegenüber?

Ne. Die stellen sich hin und sagen was von wegen „Ihr seid alle schwul”. Dann läuft meinetwegen gerade wer raus, den sie noch mehr beleidigen können. Das trifft mich persönlich. Ich bin zwar nicht der größte Typ, aber ich stehe stabil genug da, dass ich mich entspannen kann. Aber wenn Leute erniedrigt werden, die das vielleicht nicht können – das kitzelt mich. Ich habe über die Jahre begriffen, dass wir einen Raum geschaffen haben und erhalten, aus dem der Alltagsscheiß größtenteils draußen bleibt. Da sind wir wieder bei der Einzigartigkeit. Es gibt die Geschichte oft genug, dass Leute nach Berlin gezogen sind, weil sie hier so sein können, wie sie sind. Weil man sich hier fallen lassen kann. Wir entwickeln diesen Raum auch in der Hoffnung, dass Leute was daraus nach Hause mitnehmen. Es ist schön, zu sehen, dass wir die Welt eventuell ein kleines bisschen besser machen.

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