Alan Abrahams – Ascend (Italic)
Der aus Südafrika stammende, nun in Paris lebende Alan Abrahams alias Portable alias Bodycode dreht mit Ascend die Perspektive seiner Klangwelt noch einmal um die eigene Achse in Richtung Ethereal Sophisticated Pop – raus aus dem Club, rein in ein introspektives Labyrinth aus urbanem Jazz, afrikanischer Anmutung und einem Hauch futuristischer Klassik. Veröffentlicht auf Italic, ist dies sein bislang wohl persönlichstes Album.
Gleich der Opener „It’s A Fragile Space” gibt den Ton vor: sanft pulsierende Beats, sparsam eingesetzte Percussion und episch angehauchte Keyboards, während Abrahams’ warme Stimme sich wie eine hypnotische Endlosschleife über das Arrangement legt. Das titelgebende Stück geht noch einen Schritt weiter – ein Klavier in Moll, surrende Geräusche wie aus einer verrauschten Polaroidkamera, pulsierende Bläser. Hier klingt der Groove so, als hätte sich Arthur Russell nach Johannesburg verirrt. Und dann „The Greasy Pole” – pure Melancholie, CR78-Beats, Violinen, dazu Abrahams’ unverwechselbares Timbre, das von Rastlosigkeit und Existenz in Zwischenräumen erzählt. Spätestens bei „I Used To Be” wird klar: Dies ist ein poetisches Werk über Entwurzelung, ein Pendeln zwischen Zeiten und Orten, zwischen analogen Streicher-Arrangements und digitalen Fragmenten. Alan Abrahams bleibt ein Meister darin, das Persönliche in etwas Universelles zu verwandeln. Ascend klingt nach transkontinentaler Sehnsucht, nach Reisenden ohne festen Hafen, nach einem musikalischen Raum, der weder jetzt noch hier verortet werden kann. Und genau das macht es so faszinierend. Liron Klangwart

Alarico – Sonora (Primal Instinct)
Ein Album, das modernen Techno repräsentiert wie kein Zweites. Zwei Jahre Arbeit stecken in den zwölf Tracks und spiegeln den Titel Sonora (italienisch für „Klang”) in einem minimalistischen und groovigen Stil à la Alarico wider.
„Iruka” setzt den sanften, atmosphärischen Einstieg für eine Reise durch elf Tracks voller Rhythmik. Der treibende Klang lädt dazu ein, auf dem Dancefloor oder beim Sitzen auf der Parkbank im Sonnenschein die Augen zu schließen und in eine eigene Welt abzutauchen. Bis „Caresses After Lies” wachrüttelt. Der Track zieht mit einer flüsternden Stimme in seinen Bann und lässt den Fuß mitwippen. Mit „Boiler” und „Stingray” demonstriert Alarico seine Fähigkeit, minimalistische und zugleich energiegeladene Tracks zu schaffen, die sowohl auf der Tanzfläche wie zuhause auf der Anlage funktionieren. Immer wiederkehrende Elemente, die man auf ähnliche Art und Weise aus vorherigen Produktionen wiedererkennt, verdeutlichen seinen Zugang zur Sounddesign-Technik. Mit „Mezcal y Sangre” bekommt das Album einen kurzen Break und knüpft mit Videospiel-ähnlicher Melodie an den atmosphärischen Einstieg an – fast so, als wäre man im letzten Level von Super Mario auf dem Weg zu Bowsers Festung, um Peach zu befreien.
Die zweite Hälfte des Albums läuten zunächst druckvolle Claps, ein nach vorne preschender Beat und passend eingesetzte „Ausatmen”-Vocals ein. „Chlorid”, „Sleepwalking“ und „I Used To Like God” sind wie aus dem Bilderbuch für den Dancefloor konzipiert und peitschen zum Tanzen an. Zum Abschluss verdichtet sich alles mit „Ashes of Regrets” und „Stimulant”. Sie schließen mit massiven Grooves und tiefen, pulsierenden Sounds den Kreis und runden das Album ab. Jacob Runge

Bandulu – Repercussions (Rawax) [Reissue]
Um 1993 war ich in Nordlondon auf einer Silvesterparty in irgendwelchen Filmstudios. Im Mainroom wurde zehn Stunden lang ein 20 Meter hohes Bild von Leonard Nimoy alias Mr Spock mit seiner „Live Long and Prosper”-Handhaltung an die Wand projiziert. Davor standen 5000 Menschen auf Ecstasy und LSD („Ishmalite”). Dieses Album war haargenau der Soundtrack damals. Diese Art von Grooves nannte ich immer Häschen-Hüpf („Long Count”). Geil! Entspannter, liquider Deep Techno.
Bandulu, das Trio aus Jamie Bissmire, John O’Connell und Lucien Thompson, wurde in den Neunzigern in Ermangelung neuer Begriffe in der Dub-Techno-Ecke verortet („Episode 7”, „Recent Past”, „Serial Operations”). Heute finde ich, der Begriff trifft den Klang nur ungenau. Denn der Sound der drei Nord-Londoner ist viel 808-lastiger, rollender, rund-bassiger, grooviger und trippiger als die Berliner 909-Hard-Wax-Schiene. Die Hallräume werden extrem präzise gesetzt, klingen teilweise fast wie Arpeggios und fallen so gar nicht aus dem Tempo. „Contingency” springt verspielt als Dub-Kaninchen durch den Raum, vielleicht weil die Nummer davor, „Paranormal Channels”, alles industriell gegen die Wand fährt. Genau so! Eigentlich brauchst du für dein DJ-Set nur diese eine LP, und dein Gig ist für 36 Stunden safe. Big Up, Techno Tribes („Advirus”)! Diese Platte macht tatsächlich nach fast 30 Jahren immer noch alles richtig. Mirko Hecktor

Darkside – Nothing (Matador)
Darkside sind zum Trio angewachsen, seit der Schlagzeuger Tlacael Esparza offiziell das bisherige Duo aus Nicolás Jaar und Dave Harrington verstärkt. Eine leicht fiebrige und doch angeregte Atmosphäre hat ihre Arbeiten schon seit dem Debütalbum Psychic ausgemacht. Doch nun gehen Darkside einen Schritt weiter, belassen es nicht beim Meistern der Atmo. Sie erfinden mit Nothing ihre Musik neu: Als einen Juicer, in den man sich Bossa Nova reinschüttet. Es folgen French Boogie, Japan-Drum’n’Bass, beatleske Collagentechniken, Downbeat und Jazzgitarre. Und es mundet! Darkside verarbeiten das alles zu einem zurückgenommenen Farbton in mattem Schillern. Es ist weich und zärtlich und voller Überraschungen. Motive können ebenso schnell von grundverschiedenen Geistern verfolgt werden wie Tempo oder Instrument.
„S.N.C” albert mit Disco rum und pitcht unter Bass-Slaps die Stimmen in absurde Höhen. Während der erste Teil der „Hell Suite” im Doo-Wop-Nachschlag erschallt, kommt der zweite in einem klassischen Hip-Hop-Beat rüber. „Slau” wobbelt, „Are You Tired?” schlendert, während „Heavy Is Good For This” durch die Lande walzt. Musik zum Cruisen auf einem Gefährt, das es noch nicht gibt. Christoph Braun

Gaiko – Gaiko (Nous’klaer Audio)
Auf seinem Debütalbum überschwemmt der Brüsseler Pianist Gaiko (eigentlicher Name: Kaito), halb Belgier, halb Japaner, mit Emotionen. Ein Wechselbad der Gefühle, die flutartig anschwemmen und sich dann wieder zurückziehen, umspülen und einhüllen, bis man ganz in diesem feuchten Klangkosmos unterzugehen scheint.
Dabei nimmt sein gelerntes Instrument, das Klavier, eine eher untergeordnete Rolle ein. Vielmehr sind es gebrochene Rhythmen, mal Drum’n’Bass-Randgebiete erforschend, dann wieder sich in verspielten Electronica-Melodien windend, verdrehend, um sich schließlich in warm groovenden Bass-Music-Wellen zu verlieren. Wellen, die zur Euphorie hinauftragen, umschnörkelt von polyrhythmischem Klopfwerk, das links und rechts wie dicke Regentropfen auf die Wasseroberfläche zu prasseln scheint, um dort in 1000 Spritzern zu zerstieben. Und dann wieder sanft hinabgleiten lassen in gepflegte, wolleweich entspannte Wiegenlied-Kontemplation.
Und ganz zum Schluss holt Gaiko doch nochmal das Piano hervor, beendet sein verträumtes Traum-Album mit einer klassisch anmutenden Ambient-Ballade. Und ja, Traum ist hier ganz ernst gemeint, sowohl was die durchgehende Atmosphäre der neun Stücke angeht als auch deren Qualität. Es ist nämlich ein Träumchen. Tim Lorenz
