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Januar 2025: Die essenziellen Alben (Teil 2)

Teil 1 der essenziellen Alben aus dem Januar 2025 findet ihr hier, Teil 3 hier.

Chlär – The Architects Of Shadows (Primal Instinct)

Chlär hat diesen einzigartigen Stil, durch den jede neue Veröffentlichung wie eine natürliche Weiterentwicklung wirkt – subtil, aber immer spannender, ohne je den Kern seines Sounds zu verlieren. So auch auf diesem Album. Veröffentlicht auf seinem eigenen Label Primal Instinct, verkörpert The Architects Of Shadows Techno-Musik als Protest. Mit jedem Tracktitel, der einen anderen Aspekt unserer zersplitterten Gesellschaft beleuchtet, lässt Chlor eine reinigende Flut organischer Beats los. Das ist sowohl ein Aufruf zum Handeln wie auch meisterhaft erzählt.

Der Schweizer Produzent startet das Album mit „Seeds Of Distrust”, einem fast nachdenklichen Einstieg, der wie die Ruhe nach dem Sturm wirkt, und ebnet damit den Weg für eine moderne Hommage an Techno. Während Tracks wie „Economic Mirage” und „Prophets Of Fear” eine minimalistische, aber mysteriöse Atmosphäre bieten, greifen Stücke wie „Fortress Of Illusion” und „Panopticon” auf robotische und chaotische Stabs zurück und erzeugen so die perfekte Explosion von Energie. Das Album endet mit dem erfrischenden Electro-Track „Insurrection”, einer überraschenden Wendung seines üblichen Stils, die aber genauso beeindruckend daherkommt.

Innovativen Techno mit Gesellschaftskritik zu vereinen, ist keine leichte Aufgabe, doch Chlär gelingt sie mühelos. Obwohl The Architects Of Shadows überwiegend digital klingt, taucht man ganz in die kraftvolle Musik ein. Jacob Hession

Hesaitix – Noctian Airgap (PAN)

Es kommt nicht oft vor, dass mir bei einer Alben-Besprechung innerhalb weniger Stunden und nach drei Hördurchgängen ebenso viele Ansätze für eine Kritik einfallen – und ich einen nach dem anderen verwerfe. Hier die finale Version vier: Bei Noctian Airgap handelt es sich um ein ungewöhnlich komplexes und raffiniertes Album. James Whipples gelingt es darauf, düstere Stimmungen und industrial-verwandte Sounds nicht einseitig dystopisch klingen zu lassen, sondern gleichzeitig Zuversicht und zarte Freude im Klang- und Kompositionsgeflecht unterzubringen. Letztere Aspekte wiederum drängen sich nie auf und bleiben durchgängig frei von jener Klebrigkeit, die einigen zu gut gemeinten Elektronika-Produktionen anhaftet. Das Album wird von langsamen Breakbeats und atmosphärisch-getragenen Synthesizer-Flächen dominiert, die Sounds tendieren eher in Richtung digital-crispe als organische Klangtönung. Aber immer, wenn daraus im Rezipientenhirn ein Kategorienkörbchen geflochten werden will, übernehmen wieder andere Zwischentöne und Atmosphärenfarben die Oberhand. Die teilweise außerordentliche Schönheit und rhythmische Eleganz der Beats von James Whipples entfaltet sich besonders im Titelsong und in „Anticrime”, wo diese Kraft den graugetönten Grundton umzukehren vermag in Spaß am Synkopentanz und dessen sanfter Ausgelassenheit im Slo-Mo-Modus. Auch das ursprünglich als Audioinstallation eingesetzte „Black Line” setzt kontrapunktische Akzente, hier dominieren bearbeitete Stimme und Pianosounds, die zwischen Versöhnlichem und Bedrohlichem abrupt hin und herswitchen. Mathias Schaffhäuser

HoxV-2: Spekki Webu x Heliobolus – Phylogenetic Analysis (Amniote Editions)

Es wird trippy. Davor klären wir aber erst mal biologische Fachtermini, um das Konzept hinter Spekki Webus neuem Album greifbar zu machen. Ein Heliobolus ist eine afrikanische Wüsteneidechse, sie sich sehr gut tarnen kann. Die Phylogenese, deren Analyse sich diese LP zur Aufgabe gemacht hat, bezeichnet die „stammesgeschichtliche Entwicklung der Gesamtheit aller Arten”. Nun erfolgt die große Transferleistung: „Stamm” heißt auf Englisch Tribe, und diese elf Tracks weisen ganz bestimmt tribalistische Tendenzen auf.

„Spectrum Analyzer” oder „White Room” sind in etwa das, was Djrum mal als „Ambient Gabber” titulierte. In jedem Track, egal ob mit gleichmäßig pochender Kick oder als ambienter Blick ins Innere des Individuums konzipiert, sirrt und flirrt es insektoid. „Symbiosis” setzt einen Breakbeat ein, über dem Synths von Jon Hopkins’scher Dringlichkeit rattern. Manchmal irrlichtern Stimmen durch den Mix, oftmals wähnt man sich in einem Titel der Metroid Prime-Serie.

Im Text zum Album macht Spekki Webu kein Geheimnis aus seinem Psychonauten-Dasein. Ein Auszug: In einem wiederkehrenden Albtraum sei er im Unterholz verfolgt worden. Ebenjene Wälder habe er später auf einem Pilztrip wieder durchstreift. Das liest sich riskant, vielleicht auch ein wenig ungesund, könnte aber auch einen revolutionären Ansatz der Traumabewältigung darstellen.

In den letzten Jahren war immer wieder die Rede von einem clubkulturellen Revival des Spiritualismus, das Protagonist:innen wie Eris Drew oder Octo Octa anführten. Wo die beiden mit ihrem kitschig betitelten Motherbeat Geborgenheit vermitteln und ihr Gefolge zu heilen gedenken, zersetzt Spekki Webu in seiner Musik ganze Existenzen, um sie reinzuwaschen und neu zu modellieren.

Michael J. Blood – Joy + Pain (Blood) 

Wie kaum ein anderer junger Künstler hat sich der Brite Michael J. Blood in kurzer Zeit einen Kultstatus für mutigen elektronischen Sound aufgebaut. Seine seit 2019 rasant wachsende Diskografie ist beachtlich und weist größtenteils Alben vor. Seine Produktionen sind dabei extrem vielseitig: House, Techno, experimentelle Elektronik. Alles drin, mal allein, mal hybrid. Immer frei gedacht und frisch getunet.

Auch sein jüngstes Tape Joy + Pain bildet keine Ausnahme. Elf Tracks, die das Rad nicht neu erfinden, es aber irgendwie frisch modellieren. Ein Album voll halluzinogener Stimmungen und imaginärer Klangtrickserei, das geschickt mit melodischen Rhythmen und chaotischen Harmonien spielt. Dazu sexy Electro-Jazz und Techno-Funk, der Fans von Autechre und Transmat gleichermaßen glücklich stimmen könnte. Richtig rasend sind seine jüngsten Stücke aber nicht. Sie slammen – abgesehen von Bangern wie „Snake Hips” oder „Repetition Theory” – eher im Beatdown-Style. Ein Album, das ganz ohne Worte einen hittigen Sog erzeugt. Michael J. Blood geht also weiter seinen singulären Weg als musikalischer Grenzgänger zwischen Club-Underground und der gefühlten Möglichkeit, auch mal einen internationalen Hit zu produzieren. Michael Leuffen

Pugilist & Pod – Iridescent (Of Paradise)

Schon wieder Pugilist, der macht ja seit Jahren nichts falsch. Hier teamt er mit dem ebenso in Melbourne lebenden Luc Paulus alias Pod. Von „Haus”, dem ersten Track, an finden die beiden zueinander. Da schwirren fiepsige Synthesizer und Windhauch-Klänge durch die Lüfte, und in ihren Läufen sprühen sie Funken. Das Titelstück wackelt gemächlich wie eine Bass-Raupe durch eine freundlich gesinnte Umwelt. Diese unterirdischen Lebewesen geben auf Iridiscent den Ton vor. Über „Mystic”, „Crisps” und „Sun-Dialed” verläuft die Spur knuspernder Tiefe.

Nicht nur auf solche Subfrequenzen setzen Pugilist & Pod. „Miriapoda” ist ein Bleep-&-Clonk-Track, „Swamp” gleitet mit Ambient-Flügeln über Wald und Au. „Pentagram” setzt den Schlussstrich in Chrom. Ein kräftiges Ja und Amen auf das Vermählen von Club und Kopfhörer. Christoph Braun

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