In sich ruhende Klänge in avancierter Technik und einem weit offenen Musik-wie-Klang-Verständnis zutage zu bringen, erfordert eine Menge. Zum Beispiel die mentale Stärke, das Ego mal rauszunehmen, sich nicht in Virtuosität und Details zu verlieren. Fokussieren und konzentrieren, das Wenige, das noch übrig bleibt, mit Leidenschaft und Präzision auszuspielen. Der kanadische Kontrabassist Dan Fortin zeigt auf Cannon (Elastic Recordings, 8. November 2024), wie das gutgehen kann. Fortin findet anscheinend problemlos eine Zwischenwelt von Improvisation und moderner Komposition, die weitab etablierter akademischer, neumusikalischer, jazzender oder neoklassischer Mustervorlagen spielt und bei etwas ankommt, das (beinahe) Ambient, (beinahe) Drone, (beinahe) Minimal Music darstellt, aber vor allem radikal leise, rabiat schöne neue Musik wird.
Dazu passend kommt noch mehr neue Kammermusik aus Kanada vom verhältnismäßig jungen Montréaler Komponisten Alexandre David. Erwartbar brillant eingespielt vom bewährten und in dieser Kolumne schon öfter erwähnten Quatuor Bozzini, gibt Photogrammes (Collection QB, 13. Dezember 2024) Einblicke in eine ziemlich große Musikwelt, in der transatlantische Moderne (etwa Charles Ives) wie Québecer Folk-Traditionen den weiten Horizont kleiner akustischer Neuer Musik aufspannen.
Seiner Ausbildung als Mediziner und Pianist ist Tomoyoshi Date in seiner langen Karriere als Protagonist der avancierten Elektronik- und Improv-Szene Japans selten nachgekommen. Seine eigentliche Berufung liegt viel mehr in minimalistischer Sound Art und abstrakteren Spielarten von Ambient. Wie zentral Dates Rolle in der Musikszene Japans ist, lässt sich zum Beispiel in der Kompilation Micro Ambient Music hören, einer Hommage an den verstorbenen Ryūichi Sakamoto. Erfreulich wie erbaulich führen Dates jüngste Arbeiten allerdings zurück zu den Wurzeln im avancierten Klavierspiel. In der Piano Triology, einer dreiteiligen Tape-Veröffentlichung (Tsuyukusa Records, 10. November 2024) passiert das sogar im Titel, obwohl das Klavier nicht immer als solches erkennbar ist. Öfter ist es elektronisch verfremdet oder mechanisch präpariert, die vorsichtig getupften Klänge tauchen aus dem Hintergrund kurz auf, verschwinden wieder, verwehen, verklingen, als wäre es ein freundliches Stück aus Alvin Luciers Still Lives, ein langförmiges Pianosolo wie Triadic Memories von Morton Feldman, oder eben tatsächlich ein verlorenes Stück von Sakamoto. Den Aspekt des Verschwindens und Verwehens einzelner Töne, die auseinandergezogen ihren unmittelbaren Zusammenhang und die althergebrachte melodietragende Bedeutung verlieren, dafür neues Gewicht erhalten, zu anderen Ideen werden – ihn arbeiten Tomoyoshi Date & Bill Seaman auf den langsamen, leisen, piano-dominierten Duets (Quiet Details, 22. November 2024) noch deutlicher heraus. Letzteres Album ist inzwischen mehr als verdient zu einem kleinen Hit im Genre geworden.
Der altvordere britische Balearic-Producer Steven Miller alias Afterlife möchte offenbar nicht beim einmal Erreichten anhalten, um von den Tantiemen seines (Remix-)Hits „Another Chance” einen gemütlichen Lebensabend zu verbringen. Sein Projekt Timelines verzichtet tatsächlich komplett auf die Signatur-Sounds seiner Café-del-Mar-Sundowner-Nummern. In der jüngsten Fortsetzung Timelines 2 (Subatomic UK, 6. Dezember 2024) sind sogar die Beats gänzlich verschwunden. Als pures wie subtiles Langwerk im klassischen Stil der zweiten Selected Ambient Works hält gerade das neue Album die fragile Balance zwischen Abstraktion und kühler Distanz mit sonnenwarm balearischer Intimität – ohne dass Miller auf etwas von ihm Erreichtes zurückgreift. Das ist für sich genommen durchaus schon beeindruckend, und das Ergebnis spricht für neu erwachte Inspiration. Der erste Teil der Timelines erschien 2023 nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das sollte dieses Mal deutlich anders und besser laufen.
Vor etwas mehr als zehn Jahren wurde das ohne große Promotion rausgehauene Debüt der damals gerade mal volljährigen Schwedin Klara Lewis zu einem massiven Überraschungserfolg für Peter „Pita” Rehbergs Label Editions Mego. Zu Recht, denn Ett war seinerzeit ein frischer wie düster-kalter Entwurf atmosphärischen Ambients, der dem Label wie generell der experimentellen digitalen Musik neue Optionen offenlegte. Noch eine Dekade später weiß Lewis diese frühe Chance zu schätzen und hat mit Thankful (Editions Mego, 24. September 2024) ein Album vorgelegt, das zwischen freundlich zartem Ukulelen-Geklimper, grimmkaltem Dark Ambient und extrem harschem Noise einige Möglichkeiten für Neues aufzeigt und zugleich eine Hommage an den 2021 verstorbenen Impresario darstellt. Denn radikalen Noise aus unrein geschnittenen Samples zu ziehen und allerlei digitale Fehlerkultur zu kultivieren, darin ist Pita noch heute vielfaches Vorbild. Die kurz darauf erschienenen Bearbeitungen Thankful Remixes (Editions Mego, 6. Dezember 2024) sind klanglich weniger brutal, fokussieren eher die zarten Aspekte des Originals. Mit einem Ausfall (der dann aber wirklich katastrophal doof) ein ebenso exzellentes wie für sich stehendes Album.