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Motherboard: Januar 2025

Umherschweifende Klänge, mäandernde Riffs, fragil schwebende Melodielinien und gekonnt kontrastierendes Geklapper. Der apart instrumentierte Ambient-Jazz von MM Works zieht weite Kreise, ohne irgendwo ankommen zu müssen. Percussion und elektrische Gitarre umkreisen sich, von gelegentlicher Flötenbegleitung aufgehellt und elektronisch zum Schmelzen und Fließen gebracht, sind die Stücke auf Park (12K, 6. Dezember 2024) doch überaus klar konturiert. In aller ausgestrahlten Ruhe besitzt die Musik des Kopenhagener Duos eine immense innere Spannung. Das ist definitiv kein verkiffter Späthippie-Kram, sondern hochkonzentrierte Improvisation, die so lässig rüberkommt, dass sie zu atmosphärischen Raumflugbegleitern werden darf. Das Londoner Duo Tout bewegt sich auf ähnlichen Pfaden in ähnlichem Unterholz vom Ambient-Jazz. Das Klangbild von Fourth (Trestle Records, 18. Dezember 2024) baut auf ein Fundament aus Akustikgitarre und Percussion, die von diverser Elektronik, aber auch Kontrabass, Streichern und Bläsern umflattert werden. Das kann kurzzeitig in frei quietschende Gefilde ausbrechen, kehrt aber stets zum entspannten Flirren und Schweben zurück.

Und noch mehr bewegt sich im Überflutungsgebiet von Ambient zu Jazz. Es ist eine liquide, eigentlich gar keine Grenze, die die Genres trennt. Zumindest wenn der Jazz von Aviva Endean und Nick Ashwood alias Driftwood kommt, entsteht Ambient mit ein bisschen Drone quasi von selbst. Das australische Duo mäandert auf dem gleichnamigen Album Driftwood (Room 40, 18. Dezember 2024) mit Klarinette und Akustikgitarre um archaisch brummende Orgel-Statik. Als Duo sind Driftwood Debütanten, als Musiker:innen keineswegs. Die Erfahrung aus Dekaden in diversen experimentellen Ensembles hört man eben doch immer heraus. Sie tut der inneren Ruhe und Gelassenheit der Driftwood’schen Klänge keinen Abbruch.   

Der Edinburgher Saxofonist Andrew Ostler bleibt mit jeder seinen durchaus zahlreichen Veröffentlichungen erfreulich unberechenbar. Wo bislang Ambient, jazzige Electronica oder Post-Rock war, baut The Blind Sublime (Expert Sleepers, 28. Oktober 2024) üppige Chor-Arrangements am Emo-Maximum. Eingebettet in tiefe Drones und fragmentiert,  durcheinandergewirbelt, immer wieder von den dunklen Flächen weggespült, werden diese aber wiederum zu etwas Anderem. Es ist ein Sound, der ganz offen schon im Titel mit dem Erhabenen spielt – Chöre legen das nunmal nahe –, dieses aber immer wieder durch Schönheit unterspült. Ostler gelingt es, eine subtile Spannung zu halten, die von der Oberfläche in die Tiefe weist.

Die in Italien geborene, seit langem in Oslo lebende Komponistin und Musikerin Andrea Giordano macht etwas, das im weitesten Sinne noch als orchestrale Neoklassik identifizierbar ist, allerdings von zwitschernden Flöten und elektrisch flirrendem Noise weit in den Raum hinein geöffnet – und, bei der ehemaligen Studentin der norwegischen Vokal-Akrobatin Sidsel Endresen, dazu von Stimmen durchwirkt: ihrer eigenen im Piemonter Dialekt und der dortigen Folklore-Tradition sowie vielstimmig und choral arrangiert. Diese Vielfalt, die nie gezwungen oder überfrachtet wirkt, macht ihr Orchesterwerk Àlea (SOFA, 23. Oktober 2024) zu einer extrem dynamischen und frei fließenden Fantasie.

In Zeiten elektronischer Produktion und KI-Komposition ist es schon ein wenig ungewöhnlich, noch auf die althergebracht-modernistische Weise Klänge zu entwickeln. Ein Beispiel? Der Violinist Stefan Smulovitz, der auf Bow & Brush (Redshift Music, 15. November 2024) zwölf grafische Partituren der kanadischen Komponistin und bildenden Künstlerin Nadina Tandy interpretiert. Wobei interpretiert eventuell unter Anführungszeichen stehen sollte, denn so frei sich die Einseiter aus eleganten Kurven und aquarellierten Batik-artigen Flächen als Sound interpretieren lassen, so frei und improvisatorisch geht Smulovitz mit diesen um – und bleibt doch ganz nahe am Urtext. Was entsteht, ist Sound-Art im besten vorstellbaren Sinn. Klänge, die sich auf jedem avancierten Ambient- oder Postrock-Album exzellent machen würden.

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